200 Millionen Jahre später

A.E. van Vogt

 “The Book of Ptath” – wie der Roman im Original heisst – folgt zwar klassischen Motiven in A.E. van Vogt, ist aber durch die Herkunft im „Unknown“ Magazine – die Erstveröffentlichung stammt aus dem Oktober 1943 – eher eine Fantasy Geschichte eines Übermannes/ Übergottes teilweise im Körper eines Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, der wie bei Burroughs in einer anderen Welt allerdings weit in der Zukunft seinen Mann stehen muss. Fantasy Press veröffentlichte den Roman 1947 noch einmal als Hardcover. 

Auch wenn die nachfolgende Zusammenfassung des Plots aus heutiger Sicht eher wie eine Aneinanderreihung von Klischees erscheint, beginnend mit den Mythen Robert E. Howards, spricht van Vogt durch seine exzentrische Plotführung und den in der deutschen Übersetzung von Jesco von Puttcamer eher schwerlich erkennbaren Schachtelsätzen voller Ideen einige Themen an, die auch für die Fantasy der vierziger Jahre zumindest latent originell gewesen sind.   Im Gegensatz zu seinen Science Fiction Romanen geht es dem Autoren weniger um Erklärungen oder gar Erläuterungen, sondern er setzt plakativ Schlaglichter. In der fernen Zukunft ist der Mond deutlich näher an der Erde dran, ohne dass es klimatische oder gar ökologische Veränderungen gibt. Es ist ein Fakt, der eindrucksvoll und sprachlich gewaltig aufzeigt, dass der mit einem partiellen Gedächtnisverlust aufwachende Protagonist nicht mehr im vom Krieg durchgerüttelten 20. Jahrhunderts sich befindet.  Jede Idee einer Parallelwelt ignoriert van Vogt, in dem er in diese Geschichte von Göttern, Zauberern und schließlich auch „Zaubersprüchen“ Hinweise auf die irdische Vergangenheit wie ein Verschieben der Kontinente mit einbaut. Seine Zukunftswelt verfügt nur noch über drei Kontinente, wobei sich van Vogt auch als Zahlenfetischist erweist, der nicht nur seine Story 200 Millionen Jahre in der Zukunft angesiedelt hat, sondern mit Armeen agiert, der Köpfe Dutzende von Millionen umfassen. So liegt Gonwonlane mit einer Bevölkerung von nur rund 54 Millionen Menschen auf der südlichen Halbkugel. Wie es sich für diese Art von Geschichten gehört, stammt aus diesem unbedeutenden Teil der Welt auch Ptath.  Nushirvan ist quasi der Außenseiter mit immerhin 5 Milliarden Menschen und der größte Kontinent ist Accadistran mit 19 Milliarden Menschen.   Auch wenn die bekannten Kontinente wie Amerika oder der Isthmus/ mittlere Osten noch klar zu erkennen sind, verzichtet van Vogt auf jegliche futuristische Technologie. Auf der anderen Seite ist es auch nicht erkennbar, wie diese gewaltige Zahl von Menschen auf einem der Erde ähnelnden Planeten   überhaupt ernährt werden kann.  Wer sich mit van Vogts Werken auskennt, hat das unbestimmte Gefühl, als habe der Autor den Gigantismus seiner Space Operas eher bemüht als überzeugend in eine mittelalterlich erscheinende Erde quetschen wollen, ohne die ökologischen und vor allem auch technischen Hintergründe auch nur rudimentär zu erläutern. Das Ergebnis ist ein Roman, der inhaltlich an die unendlichen Wüsten erinnert, durch die Helden wie Conan gestreift sind und auf der anderen Seite mit Zahlen um sich wirft – so gibt es alleine 400 Seiten mit jeweils 1800 Namen von politischen und kriminellen Häftlingen, die mit einem Federstrich hingerichtet werden sollen -, welche das zugrundeliegende Szenario eher unglaubwürdig erscheinen lassen.

Wie Ptaht gibt es in dieser Welt eine Handvoll Wesen Göttern gleich, die aufgrund ihrer übernatürlichen Kräfte und vielleicht auch Fähigkeiten zumindest aus ihrer Sicht zum Regieren geboren worden sind, während die unzähligen Menschen sie anbeten sollen. Auch hier fehlen die natürlichen Hintergründe, wobei van Vogt sehr einfach die Mechanismen der Heroic Fantasy adaptiert und nicht weiter extrapoliert.  

Er mit der zwangsweisen Versetzung des potentiellen Gotts unter den Göttern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in die wirklich sehr ferne, H.G. Wells Dimensionen erreichende Zukunft nimmt der Plot erkennbar, aber auch in der ersten Hälfte vorhersehbar an Fahrt auf. Ptath bzw. der noch um seinen Verstand kämpfende Flieger aus dem Zweiten Weltkrieg dient dabei auch als unfreiwilliger Reiseführer für den Leser in einer nur oberflächlich bizarren und wenig vertrauten Welt.

In der Zukunft entwickelt van Vogt dann einen eher bizarren, auf sehr vielen Zufälligkeiten aufgebauten Plan. Der eigentliche Ptath steht auch in der Zukunft zwischen zwei Frauen. Während Izvestia als aggressive Halbgöttin – in dieser Hinsicht sind die Argumente van Vogts eher ambivalent und die Positionen der Frauen schwankend – Ptath als Teil ihres Plans sieht, versucht  L´onne die zukünftige Menschheit zusammen mit Ptath zu schützen.  Izvestia möchte die drei so unterschiedlichen Kontinente in einen Bürgerkrieg ziehen, an deren Ende sie über die Reste herrscht. Der Autor macht deutlich, da sie sich von ihrer menschlichen Seite komplett entfernt hat und sie gegen die Wege arbeitet, die Ptath vor seinem Verschwinden / Gedächtnisverlust nicht gut geheißen hat.  Der zweite Schritt wäre, den immer noch desorientierten Ptath anzugreifen, seine unbestimmten Schutzzauber zu durchbrechen und ihn dann zu töten, bevor er die Vollendung dieser Pläne verhindern kann. In der Theorie hätte sie insbesondere in der ersten Hälfte des Buches, in dem sich der Soldat und der Gott in einem Körper gefangen annähern, ausreichend Gelegenheit gehabt.  L´onne fängt Ptath quasi ab und schützt die beiden Männer so lange, bis er wieder aktiv in das Geschehen eingreifen kann. Die Idee, das aus dem Nichts heraus vor allem ein Übermensch – dabei spielt es keine Rolle, ob dessen Fähigkeiten unerklärlich Gott gleich sind oder es gezüchtet worden ist – erscheint, um die dekadente Grundordnung in Frage zu stellen und spätestens nach dem erfolgreichen Kampf ein neues System zu etablieren, ist keine neue Idee im umfangreichen Schaffen van Vogts.  Es sind die phantastischen Erklärungen im direkten Vergleich zu den technokratischen Ideen seiner Science Fiction Romane, welche die  vorliegende Geschichte noch lesenswert machen. Ptaths Fähigkeiten sind nicht nur durch die Rückkehr aus der tiefsten Vergangenheit schwach.  Seine Anhänger haben das Vertrauen in ihn verloren und dadurch fehlt ihm deren kraft. Die Lösung ist bedingt technisch. Auf dem Gottesthron in Nushirvan könnte er seine Fähigkeiten wieder verstärken und zu alter Stärke zurückkehren. Alleine aus spannungstechnischen Gründen gegen alle unterliegende Logik will Izvestia ihn zerstören. Diese Sequenz gipfelt in einer Art psychedelischem Moment, in welchem van Vogt ganz bewusst fast subversiv die Klischees des Fantasy Genres unterminiert und Ptath zumindest für einen Moment zu einem tragischen Verlierer macht. Sprachlich intensiv und verspielt wirkt das Ende dieser Reise improvisiert wie zynisch, aber diese Augenblicke zeichnen van Vogts ganzes Werk trotz einer Vielzahl anderer Schwächen wie fehlender innerer Logik und Konzentrationsmangeln im Gesamtaufbau aus.

L´Onne zum Beispiel kann aus ihrem Gefängnis in Izvestias Palast nur indirekt eingreifen. Sie überträgt ihr Bewusstsein in verschiedene Frauen, die Ptath/ Holroyd unterwegs helfen. Dabei wird nicht immer nachdrücklich herausgearbeitet, ob es sich wirklich um Ptaths Zweitfrau handelt oder eine unbeteiligte und unbeeinflusste Dame.  In van Vogts  Welt nutzen dabei die „Götter“ ihre Fähigkeiten wechselseitig bei den normalen Menschen. Das wirkt teilweise verwirrend, ordnet sich aber während des stringenten, fast abrupten Finals wieder.  Dadurch wirkt der ganze Roman selbst in der stilistisch weniger erratischen Übersetzung im Vergleich zum Original teilweise surrealistisch und hebt sich von den ganzen, ebenfalls in den zwanziger bis vierziger Jahren veröffentlichten Science Fantasy Geschichten eines Mannes auf einer fremden Welt oder einer Zeit, in welche er objektiv nicht, relativ aber natürlich gehört, sehr positiv ab. 

Der Leser braucht beginnend mit dem deutschen Titel „200 Millionen Jahre später“ im Grunde nicht erschrecken.  Die Zahlen sind in erster Linie Spielerei und dienen eher als eine Art Überrumpelungselement, während die grundlegende Geschichte vor allem auch wegen einer Reihe für das Fantasy Genre der damaligen Zeit überraschender Ideen, mit denen der Autor bei seinen Science Fiction Arbeiten schon experimentiert hat, grundsätzlich erstaunlich geerdet daher kommt und sich die Menschen in dieser fernen Zukunft immer noch gierig, macht hungrig, rücksichtslos, manchmal auch liebevoll, aber in erster Linie erkennbar benehmen.

 

Pabel Moewig Verlag

Taschenbuch, 160 Seiten

Erstveröffentlichung 1965