Karl Mays Old Shatterhand Band 1 "Aufbruch ins Ungewisse"

Thomas Ostwald

“Aufbruch ins Ungewisse” ist der Titel des ersten Bandes einer Trilogie von sehr frühen Old-Shatterhand-Abenteuern, nicht unbedingt gänzlich in der Tradition Karl Mays geschrieben, sondern eines anderen Pioniers des Abenteuerromans. Auch der Untertitel der Trilogie „Die schwarzen Teufel von Missouri“ deutet in diese Richtung, denn Friedrich Gerstäcker hat einige seiner Texte unter Banditen spielen lassen und die klassischen Gut/ Böse Strukturen Karl Mays unterminiert.

Thomas Ostwald – Jahrgang 1949 – ist ein Kenner der Materie. Seit mehr als 32 Jahren leitet er das Gerstäcker Museum in Braunschweig und hat viele Artikel zu diesem Thema verfasst. Daneben hat er unter anderem die sehr beliebte Vorkriegsserie Rolf Torring fortgesetzt. Zusätzlich schrieb Ostwald nicht nur Biografien Friedrich Gerstäckers, sondern auch zu Karl May und Jules Verne. Mit den ebenfalls im Blitz Verlag erscheinenden neuen Abenteuern des Kapitän Nemos schließt sich der literarische Kreis- unabhängig von seinen "Rolf Torring" Abenteuern - von Thomas Ostwalds momentan verfassten Serien.

Mit „Karl Mays Old Shatterhand“ setzt er chronologisch gesehen deutlich früher als Karl May in seinen Wild-West-Geschichten an. Sein Ich-Erzähler will nicht zum ersten Male, aber noch nicht so oft wie bei den Original Karl May Abenteuern in die Vereinigten Staaten nach der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs reisen. Dabei wird der Auftakt von „Winnetou“ auch ein wenig ignoriert, denn es ist schon ein Alter Ego Karl Mays mit entsprechender Frontiererfahrung und nicht das in „Winnetou“ 1 noch deutlicher von seinem Verfasser „abgetrennte“ Greenhorn, das in dieser Novelle auftritt.

Thomas Ostwald erzählt von einer dieser Überfahrten und lässt dadurch fast achtzig Prozent der Geschichte in Deutschland spielen. Wer vor allem die frühen Kolportage Arbeiten als auch einige der außerhalb der großen Zyklen spielenden Romane kennt, erlebt hier kein Karl May Debüt. Auf dem Fluss von Dresden kommend lernt der Erzähler einen berühmten Abenteuerliteraturschriftsteller – auch ohne direkte Namensnennung ist klar, dass es sich um Friedrich Gerstäcker handelt – kennen. Er selbst hat bislang nur einige wenige Artikel verfasst. Ostwald stellt gleich klar, dass sich dieses Alter Ego von Karl May/ Old Shatterhand seiner kriminellen Vergangenheit stellt.

Ein wenig überraschend ist für einige Leser, dass dieser noch relativ junge Old Shatterhand schon über den Bärentöter und den Henrystutzen verfügt. Die Überfahrt nach Hamburg und von dort auf einem buchstäblichen Seelenverkäufer nur bis zum Untergang des Schiffes vor der Küste Helgolands und nicht in die USA erzählt Ostwald relativ zügig. Die teilweise unmenschlichen Verhältnisse im Zwischendeck werden trotz stärkerer gesetzlicher Regulierung genauso beschrieben wie die einzigartige Atmosphäre in Hamburg. Der Untergang des Schiffes, die Rettung und Ankunft auf Helgoland sowieso der zweite Versuch, von Bremerhaven aus den Atlantik zu überqueren werden gut, aber sehr fast hektisch mit einem zu starken Blick auf den begrenzten Umfang dieser Taschenbücher beschrieben.

Als spannungstechnisches Element wird noch ein zweifelhaftes Individuum eingebaut, das sich für Old Shatterhands Henrystutzen interessiert und ihn seit der Flussfahrt verfolgt. Am Ende kommt es während der Fahrt noch zu einem Mord. Den doch sehr kurzen, aber auch kurzweilig geschriebenen Roman betrachtend erscheint diese Kriminalhandlung ein wenig zu aufgesetzt. Die Verdächtigung Old Shatterhands/ Karl Mays wird zu schnell wieder relativiert. Auch dessen berechtigte Furcht vor den Behörden, als er nach dem Untergang des Schiffes neue Papiere haben muss, ist ein Hindernis, das der Autor geschickt aufbaut und dann im Vorübergehen quasi fallen lässt.

Es bleibt abzuwarten, wie originell Thomas Ostwald diese eher klischeehaften Elemente mit der falschen Mordverdächtigung sowie den Dieben  in den folgenden zwei Büchern abschließt. Das offene Ende mit einem dunklen Ausblick auf eine Verschwörung gegen den Verlobten der attraktiven jungen Frau, welche mit ihrer Zofe die kleine Reisegruppe komplettiert, wirkt zu opportunistisch. Zumindest weißt Thomas Ostwalds Old Shatterhand romantische Gefühle gegenüber der jungen Frau auf, die allerdings zu ihrem Verlobten in die USA reist. Damit versucht der Autor diesen Old Shatterhand zu vermenschlichen.

Im Mittelpunkt des ersten Buches steht aber die Begegnung der beiden berühmtesten Abenteuerschriftsteller Deutschlands im 19. Jahrhundert. Der unstetige und umtriebige Friedrich Gerstäcker hat das immer wieder umgesetzt, von dem Karl May träumt. Er ist durch die Welt gestreift. Er hat als Augenzeuge über Lateinamerika oder die USA geschrieben. Und einige Texte sind schon lange vor Veröffentlichung dieses Berichts erschienen. Thomas Ostwald versucht dies ein wenig zu relativieren, in dem er impliziert, dass sein Gerstäcker Alter Ego diese Geschichten noch zurückgehalten hat. Er ist früher auf diesen Seelenverkäufern in die USA gereist, und wenn er mit dem Kapitän auf Augenhöhe spricht, dann beweist er seine Erfahrung.

Thomas Ostwald umgeht das Thema des fiktiven Lebenslaufes Karl Mays sehr geschickt. Es gibt Hinweise auf seinen Gefängnisaufenthalt in Chemnitz vor allem aufgrund der ersten Dummheit und anschließender Schwierigkeiten mit den Behörden, ignoriert aber die Tatsache, dass Karl May selbst ja erst sehr viel später um die Welt und vor allem auch die USA gereist ist. In diese Lücke springt dann die fiktive Figur des noch nicht als „Old Shatterhand“ bezeichneten Ich- Erzählers. Karl May hat in der „Winnetou“ Trilogie ja auch einen eher noch unbedarften deutschen Ingenieur der Überfigur des Häuptlings der Apachen Winnetou gegenübergestellt. Selbst wenn Winnetou bei Karl May ohne Frage eher Fehler begehen darf als bislang Friedrich Gerstäcker im vorliegenden ersten Buch der Serie, steht der Ich- Erzähler noch sowohl bei Karl May als auch im vorliegenden „Aufbruch ins Ungewisse“ im Schatten eines deutlich erfahreneren Mannes. Auch wenn während des Untergangs des Schiffes Old Shatterhand die Gewehre der beiden Westmänner retten muss, überleben sie nur durch die Ruhe und Erfahrung Gerstäckers, der sich auf dem Meer genauso zu Hause fühlt wie im Sattel in der Prärie. Er weiß auf fast alles eine Antwort und wird so fast gegen den Willen des Erzählers zu einer anerkannten, großzügigen wie dominierenden Figur.

Mit dieser Verlagerung der Verantwortung auf zwei Schultern umschifft Thomas Ostwald ohne Frage zwei schwierige Klippen. Das Geschehen muss frisch bleiben, der Leser weiß ja, dass Old Shatterhand trotz aller finanzieller Probleme in Deutschland wieder in die USA zurückkehren muss und zweitens füllt er eine Lücke in der von Karl May eher fahrlässig, aber niemals komplett entwickelten Biografie seines Helden. Der Leser lernt quasi seinen fiktiven Ziehvater kennen und kann im Brückenschlag zu Karl Mays Texten verstehen, warum Old Shatterhand so umfassend bodenständig hinsichtlich der "USA" gebildet ist. Gerstäcker war wie viele anderen Autoren ja in der Realität auch eine "Inspiration" Karl Mays. Es ist für diesen noch jungen "Old Shatterhand" keine Schande, teilweise auf Augenhöhe von einem bekannten Schriftsteller und Abenteuer unauffällig für den Charakter, aber jederzeit auch nachvollziehbar für den Leser Ratschläge anzunehmen.

Gerstäcker dient auch stärker als Old Shatterhand/ Karl May als aufklärender Mittler zum Leser, in dem er immer wieder vor allem historische Fakten ausführlich erläutert. Die Atmosphäre dieser Auswandererzeit mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen hat Karl May vor allem in seinen frühen Kolportagearbeiten sehr viel mehr idealisiert. Friedrich Gerstäcker ist vor allem durch seine Erfahrung vor Ort immer der eher realistische Beobachter dieser Epoche gewesen. Seine Texte lesen sich vielleicht weniger spannend, weniger fließend und vor allem weniger dramaturgisch ausgefeilt als bei Karl May, der auf eine auch heute noch einzigartige Art und Weise Erzähler und Protagonist zu einer Persönlichkeit verschmolzen hat, die zumindest aus seiner Sicht gegen alle Widerstände nicht mehr voneinander trennbar. Kritiker haben auch von einer gewissen Verdrängung der Realität gesprochen, die Karl May angesichts der aufgedeckten Vergangenheit durchlaufen hat. Aber alleine auf sein Werk bezogen ist mit "WInnetou 4" als Höhepunkt diese Symbiose immer noch fesselnd und für andere Autoren/ Epigonen auch nicht in dieser Form umsetzbar.

Karl May hat seine nicht selten aus einzelnen Episoden zusammengestellten Romane vor allem durch lange pointierte Dialoge vorangetrieben, während Gerstäcker eher ein klassischer Erzähler im Bereich der realistischen Kurzgeschichte ist. Daher ist es auch schade, dass diese Old-Shatterhand-Reihe im Grunde den populäreren, aber kritisch betrachtet „falschen“ Überabenteurer plakativ herausstellt. Gerstäcker dominiert in mehrfacher, allerdings nicht unbedingt negativer Hinsicht den Roman. Zusammengefasst ist „Karl Mays Old Shatterhand“ eine vor allem stilistisch respektvoll wie behutsam modernisierte Hommage an die Abenteuerstoffe, die der Sachse sowie der in Hamburg geborene und in Braunschweig gestorbene Gerstäcker für ein Millionen-Publikum geschrieben haben.

www.blitz-verlag.de

Taschenbuch, 158 Seiten

nur direkt beim Verlag zu bestellen

Kategorie: