Zwei Sekunden

Christian von Ditfurth

Mit “Zwei Sekunden” hat Christian von Ditfurth nach “Heldenfabrik”  einen zweiten Thriller um den kantigen, aber intelligenten Einzelgänger der Berliner Polizei de Bodt geschrieben.  Nach der Trilogie um eine eher linksorientierte Wohngemeinschaft in Berlin ist es auch sein fünfter  in der Hauptstadt spielender Roman.  Wie „Heldenfabrik“ ist vieles, was auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint, eher Fassade.  Zusätzlich muss sich der exzentrische, vom Autoren sehr verschachtelt und introvertiert, aber auch hochintelligent, kultiviert und planungssicher beschriebene Kommissar auch gegen die Neider in den eigenen Reihen durchsetzen. An seiner Seite stehen mit dem ein wenig in den Hintergrund gedrängten Yussuf und weiterhin der attraktiven, wie laut eigenen Angaben beziehungsunfähigen  Sallinger zwei konträr gezeichnete Protagonisten. Wie in seinem reinen Spionage Thriller „Das Moskau Spiel“ verbirgt die Geschichte das eigentliche Motiv der Täter. Während „Das Moskau Spiel“ während der Auflösung des Plots die bekannte Geschichte ein wenig anders erscheinen lässt, bleibt der Historiker Christian von Ditfurth in diesem Roman hinsichtlich des Katalysators der Entwicklungen ausgesprochen vage. Kritisch gesprochen  ist auch „Zwei Sekunden“ ein über weite Strecken hervorragender Thriller, der vor allem durch den alle Pläne durchkreuzenden de Bodt, aber auch durch den Spezialisten der russischen Seite mit seiner wenig linientreuen, aber trotzdem seinen Präsidenten beschützenden Vorgehensweise ein ausgesprochen dreidimensionaler Charakter ist. Dagegen erscheint der Angriff gegen den Kapitalismus aufgrund einer anscheinend Hören- Sagen- Botschaft ein wenig zu überzogen, zumal die drastische Vorgehensweise der mehrfach immer wieder als Profis dargestellten Spezialisten, die am Ende auch um überhaupt einen Erfolg zu erzielen Fehler machen müssen.

Lange Zeit sind die Ermittler um den Schattenmann de Bodt mit einem direkten Draht zur Kanzlerin, dem arroganten wie opportunistischen Krause als stellvertretender  Leiter der Sonderkommission sowie den russischen Abgesandten auf einer falschen Spur. Zwei Sekunden fehlen beim ersten Anschlag. Dann wäre die gepanzerte Limousine der Kanzlerin mit dem russischen Präsidenten in die Luft geflogen. So hat es nur das Begleitfahrzeug mit einem hohen deutschen Beamten und zwei Sicherheitsleuten erwischt, das unmittelbar hinter dem Kanzlerwagen gefahren ist. Vieles deutet auf ein politisches Motiv hin. Als aber relativ schnell weitere hohe Beamte auf professionelle bis perfekte Art und Weise in Berlin ermordet werden, scheint es sich nicht mehr um einen Anschlag  auf die beiden Staatsoberhäupter zu handeln. Viel mehr treten weiterhin politische, aber vor allem wirtschaftlich aktuelle Themen in den Vordergrund.

Christian von Ditfurth hat seinen Roman sehr routiniert und trotzdem ausgesprochen spannend aufgebaut. Im Gegensatz zu den ermittelnden Parteien – das Interesse an seiner Mitarbeiterin Silva Salinger wirkt dabei eher spätpubertär zumindest von einer Seite – ist der Leser von Beginn an ohne das gesamte Bild und vor allem alle Namen zu kennen besser informiert. Er verfolgt die Gespräche zwischen den beiden Organisatoren im Hintergrund, die sich immer wieder ihrer Professionalität versichern, Später de Bodt als größte Gefahr brandmarken und trotzdem leider wie Chiffren erscheinen. Hinsichtlich des Endes lässt sich Christian von Ditfurth um die Effektivität seines opportunistischen Kriminalkommissars noch mehr zu verdeutlich zu einer literarischen Instinktreaktion hinreißen, die eher zu amerikanischen Streifen in der „Dirty Harry“ Tradition gehört. Das schwächere Ende wird eben durch die Eindimensionalität der kapitalistisch orientierten Hintermänner abgeschwächt. Hinzu kommt, dass Alex anfänglich über de Bodts Verlangen nach einer Aufklärung in James Bond Manier lacht, sie aber später doch liefert. Aber vieles wird in dieser Szene gesagt, aber zu wenig gesprochen.  Auch hinsichtlich des Verräters ist der Leser schneller informiert als die Beamten. Seine Familie ist entführt worden. So liefert der Waffenspezialist Uhlenhorst sklavisch über ein Email Account wichtige Informationen an die Hintermänner. Eigentlich müssten sie aufgrund von Uhlenhorsts Positionen noch mindestens einen zweiten Verräter in den Reihen der Beamten haben, denn er kann nicht bei jeder wichtigen Besprechung dabei sein.

De Bodt muss anfänglich alleine mit seinen beiden Mitarbeitern ermitteln. Er ist ein minutiöser Beobachter, dem es nicht um die eigene Karriere geht, sondern um Gerechtigkeit. Dadurch kann er wie Charlie Chan in den Romanen und nicht den Filmen eine Ablenkung hinsichtlich seiner Karriere oder gar einer Beförderung ermitteln und viele Menschen auch in seinem Umfeld provozieren. Von Ditfurth nimmt sich Zeit, die einzelnen Versatzstücke zusammensetzen. Vor allem in der interessanten ersten Hälfte sind es unabhängig von den perfekt ausgeführten Morden die kleinen anscheinend unabsichtlichen Fehler der Profitruppe, die de Bodt sich unwillkürlich nähern lassen. Das Zusammenspiel mit dem einzigen ebenfalls professionellen Ermittler auf der Seite der ambivalenten „Guten“  Merkow ist erstaunlich gut angelegt worden. Merkow bewundert den so freien Geist de Bodt, der opportunistisch vorgeht und in Russland unabhängig von seinen Fähigkeiten schon lange im Arbeitslager verschwunden wäre, weil er zu vielen von seinen unfähigen Vorgesetzten auf die Füße tritt. Merkow hat die sadistische Killer Katt an seiner Seite, die nicht nur mit ihm schläft, sondern anfänglich auf eigene Faust auch unschuldige Menschen anscheinend folternd und tötend nach Informationen sucht. Im Verlaufe des Falls verwischen die Grautöne. Es gibt kein schwarz und kein weiß mehr. De Bodt ist sich nicht zu schade, zumindest eines der Profikillerteams in eine Falle zu locken, aus der sie nicht mehr entkommen können. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dabei wirkt diese Mischung aus aktiver Recherche in einem vom Autor sehr gut beschriebenen, ausgesprochen lebendigen Berlin mit seiner sozialen Vielfalt dreidimensional und überzeugend, sowie den harten brutalen Actionszenen, die vielen amerikanischen Filmen und Büchern in nichts nachstehen. In seinen Stachelmann Büchern oder der Trilogie um die Rosenstraße Wohngemeinschaft gehört der brutale Tod von Menschen als integraler Bestandteil zum Plot, hier wird Gewalt exzessiv beschrieben. Es sind vor allem Actionbücher mit einer intellektuellen Note. Dazu kommen die politischen Querverweise, aus denen der Historiker von Ditfurth spricht. Die Ausweitung der Nato mit der Folge der Ukrainekrise; die Flüchtlingspolitik mit seinen absurden Exzessen und schließlich die zunehmende politische Spaltung eines Europas, in welchem er Deutschland nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Interessenslage vor allem hinter den Kulissen eine derartig politische Bedeutung zugesteht, wie sie vorherigen antidemokratische Strömungen in der Weimarer Republik bis zum Dritten Reich selbst mit Säbelrasseln nicht erreicht hätte. Auch wenn Christian von Ditfurth diese modernen wie unangenehmen Gedanken vor allem seinem wichtigsten Protagonisten de Bodt in den Mund legt und die Politik als Kompromiss der Einflussreichsten karikiert, zeigt er keine Lösungen, sondern legt nur die Finger auf immer stärker aufbrechende Wunden. Mit dem emotional abgestumpften Einzelgänger de Bodt, dessen sich in der Scheidungsphase befindliche Ehe als Fehler herausgestellt hat und der sich auch vor der Verantwortung gegenüber seinen Töchtern ein wenig drückt; der sich nach Sallinger sehnt und trotzdem Angst vor einer „falsch wirkenden“ Beziehung hat; der hoch gebildet ist und trotzdem so einfach, simpel tut, verfügt der Autor noch viel mehr als in seinen bisherigen Arbeiten über ein ideales Werkzeug, um den oberflächlichen actionorientierten Zeitgeist zu geißeln und eine kritische Meinung gegenüber den Irrwegen der politisch wirtschaftlichen Landschaft zu äußern. Dabei ist de Bodt kein Alkoholiker, kein Raucher, keine Psychopath, der unter Wahnvorstellungen leidet. Je größer die Hindernisse auf seinem geradlinigen, für die Außenwelt aber nicht einsehbaren sind, desto leichter fällt es ihm, sich auf eine ohne Frage unorthodoxe, sich selbst auch opfernde Art und Weise zu fokussieren und das Endziel, aber nicht die Mittler ins Visier zu nehmen. In dieser Hinsicht stellt „Zwei Sekunden“ gegenüber dem gut konzipierten, aber plottechnisch ein wenig zu opportunistisch konstruierten „Heldenfabrik“ eine spürbare Verbesserung auf einem hohen Niveau dar. Vielleicht überspannt der Autor den Bogen im zwischenmenschlichen Bereich und hält sich zu sehr im Bereich des Möglichen, des Erwünschten auf, als das er Beziehungen jeglicher Art fortschreibt. Aber dieses Hinauszögern bildet auch einen verführerisch interessanten Kontrast zu der ansonsten sehr geradlinigen Actionhandlung, die beginnend auf den ersten Seiten lange Zeit die Stärke des ohne Frage kurzweilig zu lesenden Actionthrillers ist. 

Wie bei seinen letzten Büchern sind die Motive der Täter nachvollziehbar. Ihre Vorgehensweise wirkt zu rabiat, zu wenig dem klassischen Weg des Kapitels entsprechend und würde selbst bei einer perfekten Inszenierung durch die Folgeeffekt nicht nur zu viel Staub aufwirbeln, sondern decken überdeutlich auf, dass der perfekte erste Zug im Grunde in der vorliegenden Form ein planungstechnischer Fehlschlag gewesen ist. An einigen Stellen hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als haben sich die Schurken und ihre professionellen Handlanger zu sehr am eigenen Plan berauscht, als das dieser erfolgreich und langfristig die entsprechenden Ziele erreichend sein könnte.  Es ist wieder der Weg – die Jagd auf professionelle Killer von paranoiden, überwiegend überforderten Staatsbeamten und das Gesicht des eigenen Präsidenten wahrenden Russen -, der „Zwei Sekunden“ zu einem derartigen Lesevergnügen macht, während das Ziel – die Entlarvung der Täter und ihre Motive – eher pragmatisch daherkommt.

  • Broschiert: 464 Seiten
  • Verlag: carl's books
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3570585670
  • ISBN-13: 978-3570585672
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