Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer: Das Geheimnis des Schut

Georgy Hymer

Der vorletzte Band des ersten "Kara ben Nemsi" Sechsteilers "Das Geheimnis des Schut" leidet ein wenig unter dem Titel. Im Grunde erfährt der Leser nichts über das Geheimnis des Schuts, aber wie Kara Ben Nemsi seinem Getreuen Hadschi Halef Omar am Ende sagt, hat die Geschichte mit der Entführung von Halefs Sohn begonnen und endet in einem internationalen Machtkampf um riesige Kupfervorkommen, vor deren Bergung allerdings eine politische Begradigung der europäischen Frontlinien in Nordafrika erfolgen muss. Notfalls mit dem Funken, der einen Weltkrieg auslösen könnte. Hinzu kommt eine Ansammlung von unterschiedlichen Spionagegruppen, die mit sehr viel Rücksichtslosigkeit und einem Hauch zu brutaler Gewalt, den Boden für ihre Regierungen ebnen. Dazwischen dann Kara Ben Nemsi und seine Freunde auf der Jagd nach dem Schut, der von seiner Geliebten Kalila allerdings zu einer Art bellendem Schoßhund degradiert worden ist. Sie hat die Zügel in der Hand. Auch wenn der Schut von einem grenzenlosen Reichtum - es fallen Summen von mehreren hundert Millionen - träumt, haben Exposeautor Grandt und Hymer Georgy die Figur mehr und mehr entzaubert und zu einem dieser vielen, auf den ersten Blick gesichtslosen und mechanisch agierenden Schurken degradiert, die unzählige Texte nicht nur von Karl May bevölkert haben. 

 Der Auftakt des fünften Romans ist holprig, auch wenn er viel Potential verspricht.  Kara Ben Nemsi hat den Führer des geheimnisvollen Ordens überwältigt und ihm sein Messer an die Kehle gesetzt. Der Schut will mit dem Henry Stutzen Kara Ben Nemsi töten. Die Anhänger des Schut stehen den Männern des geheimnisvollen, aber leider auch zu wenig extrapolierten Ordens gegenüber. Aus Angst um ihren Führer wechseln sie kurzzeitig die Seiten und ermöglichen Kara Ben Nemsi die spektakuläre Flucht. Es kommt anschließend und umgehend zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen. Georgy ist sich nicht zu schade, auch interessant entwickelte Nebenfiguren zu töten. Das ist vor allem im vorliegenden Roman zweimal der Fall. In dieser Auseinandersetzung werden Finger abgeschlagen, Menschen hinterrücks gemeuchelt und der schwarze Riese mitten im Geschehen mit der Möglichkeit, den Schut zu töten, erinnert ein wenig auch an die Überfiguren, die Sir Henry Rider Haggard für seine Afrika Romane entwickelt hat. Da Kara Ben Nemsi entkommen ist und die brüchige Allianz mit der Brüderschaft zusammengebrochen erscheint, bevor sie richtig beginnen konnte, ist es wieder die umtriebige Kalila, welche aus dem Ärmel einen neuen Plan zieht. Kara Ben Nemsi soll indirekt für ein Massaker, das fiktive türkische Truppen an einem Dorf der Berber angerichtet haben, mit verantwortlich sein. Wieder ein klassisches Motiv der Karl May Geschichten. Der ganze mechanisch wirkende Handlungsbogen endet mit einer Wiedervereinigung der Freunde in höchster Not und buchstäblich letzter Sekunde. Kara Ben Nemsi ist von seinen Verfolgern inklusiv des Schut wieder gestellt worden. Sein Pferd ist getötet, die Wasserschläuche zerschossen, als sein treuer Hadschi Halef Omar mit Krüger- Bei, Sid David Lindsey und als türkische Soldaten verkleidete Freunde auftauchen und ihn retten. Im vorletzten Band eines Mehrteilers müssen die einzelnen Charaktere für den finalen Showdown positioniert werden, aber einige Abschnitte von "Das Geheimnis des Schut" wirken ein wenig zu stark konstruiert und zu wenig natürlich. Im Verlauf des Romans können Kara Ben Nemsi und seine Freunde im Grunde nur immer wieder reagieren. Ihr Weg führt sie schließlich zurück nach Tripolis. 

 An der Mittelmeerküste haben sich die zweite Handlungsebene verfolgend die dunklen Wolken verfestigt.  Schon zwei Romane vorher hatten Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar mit einem Brief an Hamned Memeh eine Kette von Ereignissen ausgelöst, deren Folgen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnten. Der Vetter Hadschi Halef Omars ist dem Geheimnis eines französischen Explorationsunternehmens auf die Spur gekommen. Für den Inhalt dieses Brief sind schon Menschen gestorben und werden auch im vorliegenden Abenteuer treue hilfsbereite Menschen sterben. Memehs treuer Freund El Baschir reist Hadschi Halef Omar nach, um diesen Brief zu überbringen. Es ist sein Schicksal, das vor  allem in der Mitte anrührt. Ein wenig naiv, aber treu, hilfsbereit und opferungsvoll will er diese Mission über eine aus heutiger Sicht fast unglaubliche Entfernung zu Ende bringen. Es ist die zweite schicksalshafte, aber auch ein wenig zufällig erscheinende Begegnung, die den bislang angedeuteten politischen Gehalt der Serie deutlich erweitert.

Georgy Hymer nimmt sich in der zweiten, weniger von Action, sondern differenzierten politischen Tönen geprägten Hälfte des Romans Zeit, um die Kette von Ereignissen abzuarbeiten, welche Nordafrika ganz im Sinne der Franzosen und quasi fast gegen den Willen der Deutschen in Brand stecken soll. Beginnend mit einem Missverständnis und einer abfälligen Handbewegung in Alexandria, die zu einem Aufstand gegen die Europäer führt und bislang endend an dem Tag, an dem das Deutsche Reich und Italien einen billeteralen Freundschaftspakt geschmiedet haben, während vor der Küste Ägyptens Kriegsschiffe anderer europäischer Nationen kreuzen. Durch den Inhalt des brisanten Briefs erfährt Kara Ben Nemsi auf Augenhöhe weniger mit dem Schut, als Kalila von deren Plänen und den gewaltigen Rohstoffen, die sich unter dem Sand Afrika befinden und die vor allem einem Kriegssüchtigen Europa während des Wettrüstens wichtig, vielleicht überlebenswichtig sind.

Die zahlreichen Fußnoten geben dem Leser wichtige Informationen hinsichtlich der tatsächlichen historischen Entwicklung, wobei der Autor an einigen Stellen die Zufälle der Geschichte stehen lässt. Hinzu kommt die mehrfach angesprochene überzeugende Verzahnung mit anderen Arbeiten Karl Mays. Nicht selten erfährt der Leser unter dem Strich von den Verbindungen, während oberhalb der Fußnote sich Kara Ben Nemsi seine eigenen subjektiven Gedanken macht.

Vielleicht macht es sich Georgy ein wenig zu einfach, wenn er bei den Europäer zwischen den Guten – dazu gehört auch Alexander von Kirschlow – und den Schurken – dabei handelt es sich um Mitglieder der französischen Fremdenlegion, die als Attentäter agieren sowie dem französischen Geheimdienst – vielleicht ein wenig zu oberflächlich differenziert. Beide Gruppen vertreten die Interessen ihrer Länder. Natürlich ist Kara Ben Nemsi ein Deutscher und verfügt auch über ein wenig Nationalstolz, aber die Aktionen der Franzosen inklusiv der brutalen Attacke auf den angesprochenen von Kirschlow wirken ein wenig zu glatt, zu mechanisch aufgebaut und zu wenig aus sich selbst heraus entwickelt. Diese grauen Zwischentöne passen nur sperrig zu der ansonsten ausgesprochen farbenprächtigen Reihe.

Anhänger des Schut werden sich nicht nur in diesem Roman grämen. Wie schon bei „In der Gewalt des Schut“ ist diese charismatische und interessante Figur zu einer Karikatur degradiert worden, die von der im Gegenzug allerdings immer noch sadistischen, wie an eine frühe Femme Fatale erinnernden Kalila deutlich an die Wand gespielt wird. So muss Kalila den Schut mit wehenden Haaren und einem Säbel retten, während dieser im Sand auf den tödlichen Streich des schwarzen Riesen wartet. Später muss er ein weiteres Mal Kara Ben Nemsi entkommen lassen, weil Hadschi Halef Omar mit seinen Freunden auftritt. Am Ende träumt er vom grenzenlosen Reichtum, aber als Planer, als Schurke und vor allem als Strippenzieher hinsichtlich vieler Verbrechen in seinem Gebiet wirkt er überfordert und zu eindimensional gezeichnet. Verwünschungen und Flüche alleine reichen nicht aus, um aus ihm den überzeugenden Schurken zu machen, der bei Karl May lange bis zum Schlussband buchstäblich als Schatten mit vielen Helfern im Schatten operiert hat.

 Nach einem eher schwachen, holprigen Start gewinnt „Das Geheimnis des Schut“ allerdings im abschließenden Drittel deutlich an Format und entwickelt die insbesondere in dieser realistischen Dimension für Karl Mays Werk neuen politischen Ränkespiele sehr überzeugend und jederzeit für den auch historisch nicht so bewanderten Leser nachvollziehbar. Ein solider vorletzter Band dieses bisher sehr unterhaltsamen und flott zu lesenden Mehrteilers.           

 

www.blitz-verlag.de

Taschenbuch, 208 Seiten

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