Akzeptanz

Akzeptanz, Southern Reach III, Titelbild, Rezension
Jeff Vander Meer

Mit „Akzeptanz“ liegt der abschließende Band der „Southern Reach“ Trilogie von Jeff Vander Meer vor. Es ist inzwischen Mode geworden, die vor allem im ersten zur Verfilmung anstehenden Roman aufgeworfenen Fragen im mittleren Buch allerdings aus einer anderen Perspektive zu vertiefen, um sie dann im finalen Abenteuer nicht zu beantworten.

„Autorität“ endete mit einem spektakulären Cliffhanger. Area X erweiterte sich mittels eines weiteren „Sprunges“   und übernahm eine unbekannte, nicht mehr zu kartographierende Fläche. Interessant ist, dass es weder in „Auslöschung“ noch in „Autorität“ Untersuchungen dieses Bereiches von oben gegeben hat. Keine Satellitenaufnahmen, sondern eher vage Graphiken, zurückgebracht von den verstörten Mitgliedern der wahrscheinlich mehr als dreißig Expeditionen. Es ist nicht das einzige technische Phänomen, das der Autor in einer in der Gegenwart des Lesers spielenden irgendwie alternativ erscheinenden Welt ignoriert.  Die Idee des verlorenen Filmes hat der Autor intelligent gelöst. Das Material ist zu verstörend, um erstens mehr als eine Stunde am Stück angesehen zu werden und zweitens zu subversiv, um nachhaltig überzeugen zu können. Deswegen sollen die Mitglieder der Expeditionen Tagebücher führen, die im seltsamen Turm allerdings durch die Feuchtigkeit des Dschungels aufquellen und unleserlich werden. Die Bücher sind nicht zurückgebracht worden.

„Autorität“ s Cliffhanger wird genauso wenig fortgeführt wie die Ich- Erzählerperspektive vom ersten Buch in den zweiten Roman übernommen worden ist.  Während „Auslöschung“ bis auf die persönlichen Rückblicke ein stringenter Plot – das Schicksal der zwölften Expedition – zugrunde gelegen hat,  wirkte „Autorität“ deutlich ambitionierter und sprang auf mehreren Handlungsebenen in der Zeit allerdings aus schließlich zurück. „Akzeptanz“ ist ohne Frage aus technischer Sicht der komplexeste Roman der Trilogie. Aus den beiden ersten Büchern tauchen Charaktere auf.  Eine Szenen spielen sogar vor dem Auftauchen von Area  X, andere während des Spannungsbogens der ersten beiden Teile.

Für die Abschnitte vor dem Auftauchen in Area X greift Jeff Vander Meer mit dem Leuchtturmwächter Saul auf eine charismatische Figur sowie passive Erscheinung in „Auslöschung“ zurück. Das Foto mit dem eingekreisten Gesichts Sauls direkt an der Treppe zu dem Keller mit dem unzähligen Tagebüchern ist eines der Bilder, das dem Leser lange im Gedächtnis bleiben wird. Der Autor beschreibt Sauls Begegnungen mit einer seltsamen „Armee“, welche die unerklärlichen Phänomene um den Leuchtturm herum untersuchen. Im Gegensatz zu den Protagonisten kennt der Leser zwar keine Antworten, weiß aber, in welche Richtung sich diese Erscheinungen in den beiden folgenden Romanen entwickeln werden.  

Ebenfalls tauchen die Direktorin als Mitglied der zwölften Expedition und das Duo der Biologin/ Control auf. Den Handlungsfaden aus dem zweiten Buch nimm Jeff Vander Meer erst nach über einhundert Seiten wieder auf. Dieser Bruch irritiert, zumal zumindest zu Beginn zwar einige seltsame Phänomene teilweise neu angerissen werden, der Leser aber das Gefühl hat, wie ein Spielstein fast gegen seinen Willen zurück auf das Startfeld gesetzt worden zu sein, wobei eine fortlaufende Entwicklung dem Abschlussbuch besser getan hätte.

Ein großes Problem könnte für viele Leser die grundlegende Idee hinter dem Auftauchen von Area X zu sein.  „Akzeptanz“ zeigt deutlich, dass der insbesondere im zweiten Buch spürbare  Einfluss von „Picknick am Wegesrand“  sich bewahrheitet hat.  Anscheinend ist Area X außerirdischen Ursprungs und die klassischen Gesetzmäßigkeiten von Zeit und Raum sind aufgehoben. So können die Expeditionsmitglieder aus dem Nichts und ohne die Tore zu benutzen nach „Hause“ katapultiert werden und finden sich in der Stadt ohne Erinnerungen wieder. Nur so können Tunnel als Türme erkannt werden oder anders herum.  Wie bei einigen anderen  Texten basieren diese Erkenntnisse aujch mittelbar auf der Phantasie der Leser im Wege und relativieren die seltsamen Erscheinungen, da der zu wenig geführte Verstand des Lesers immer wieder aufgrund seiner Leseerfahrungen vergleichen und vor allem abwägen kann.  Was bei den Strugatzkis vor mehr als vierzig Jahren geheimnisvoll und originell erschienen ist, sollte in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts besser extrapoliert werden.

Es ist auch unglücklich, dass für jede potentielle Antwort – Sicherheit gibt es an keiner Stelle des Textes – eine entsprechende neue Frage gestellt wird, um das Publikum wieder zu verunsichern. Spätestens im letzten Drittel des Romans sollte der Autor versuchen, die roten Fäden zusammenzuknüpfen und vor allem die verschiedenen Plotebenen zusammenzuführen, um zu unterstreichen, dass er nicht nur ein absurd surrealistisches Gerüst erschaffen hat, sondern der Plot von den ersten Seite an so konzipiert worden ist.

 Auf der Handlungsebene ist diese bedingte Auflösung der Phänomene ohne Frage höflich gesprochen ernüchternd. An der gigantischen Schöpfung von Area X als einer der interessantesten phantastischen Spielplätze der letzten Jahre ändert sich trotzdem nichts. Auch wenn sich der Plot an den Strugatzkis orientiert, litt deren Roman unter der spärlichen, viel zu oberflächlichen und rein funktionalen Beschreibung der „Zone“, in welche die Stalker eindringen, um außerirdische Artefakte bzw. verfremdete Objekte zu bergen und in der Normalität zu verkaufen.   

Der Kontakt mit einer absolut fremdartigen außerirdischen „Persönlichkeit“ ist auf der einen Seite ohne Frage ein altes Thema, das auf der anderen Seite wirklich bizarr, exotisch und aus der Perspektive der Protagonisten auf den Leser übergreifend nicht nachvollziehbar ist.  Die einzelnen Konflikte zwischen den Mitgliedern der Expeditionen, den überforderten wie stoisch dickköpfigen Autoritäten und den Reisen sowie den wenigen skurrilen Nebenfiguren untereinander wirken verschwindend gering im Angesichts dieser Erscheinung.  Keiner der Protagonisten ist ohne Schuld, wobei die meisten Konflikte sich im Inneren der anfällig, zerbrechlichen Figuren abspielen.

Da Area X am Ende des Buches weiterhin fremdartig, expansiv und vor allem nicht kommunikativ erscheint, ist diese First Contact Geschichte aus der Art geschlagen.  Wie in den besten von Ballard Büchern handelt es sich um die Beschreibung einer fortlaufenden Veränderung, einer Expansion in eine Dimension, die für den Leser in dieser Form nicht nachvollziehbar ist. Die Ziele sind wie die eigentliche Herkunft unbekannt. Zwar bemüht sich Jeff Vander Meer, einiges zu relativieren und spricht sogar von Astronauten, die auf den Jupitermonden nach Wasser schürfen, aber diese Bemerkung wirkt wie einer weiteren fiktiven Geschichte entnommen und konträr zu den vor allem inneren Erfahrungen, welche seine Figuren in diesem Augenblick in irgendeiner Zeitzone im Dschungel mit seinen seltsamen bizarren und unergründlichen wie unergründeten Gefahren durchleben müssen.  

Die Schwächen der Struktur werden durch eine Reihe von überzeugenden sprachlichen Bildern und exzentrischen Beschreibungen niemals um ihrer Selbst willen ausgeglichen.  „Akzeptanz“ ist als Titel wörtlich zu nehmen. Wie die abschließend überlebenden Charaktere muss der Leser akzeptieren, dass es keine Antworten auf die meisten Fragen gibt und sich von den Stimmungen mittragen zu lassen.  Es ist eine lange mehrere Generationen umfassende Reise, die hier nicht zu Ende geht, sondern als Sprungbrett auch einen neuen Anfang darstellen könnte.

Jeff Vander Meer hat sich als routinierter Erzähler erwiesen, der nicht ausschließlich auf Stimmungen Wert legt, sondern versucht vor einem im Detail originellen Hintergrund eine seltsame Geschichte zu erzählen.   Aber je näher man dem Ende des dritten Bandes der Trilogie kommt, desto stärker zeigen sich in dieser Hinsicht auch die Schwächen des Autors, der sich nicht als konsequenter Verweigerer zeigt, sondern eher ein altes Gebäude frisch angestrichen als Neubau am besten in Architekturdesign zu verkaufen sucht.    

Es ist eine ungewöhnliche Weird Science Fiction Trilogie, welche das Genre bereichert, wenn auch als ein Roman betrachtet das surrealistische wie bizarre Niveau des in dieser Hinsicht herausragenden ersten Buches nicht bis zum zu offenen Ende durchhalten kann.