Die Welt von Morgen

Die Welt von morgen, Titelbild, Rezension
Dieter von Reeken (Hrsg.)

Mit den insgesamt sechs Hauszeitschriften des Gebr. weiß Verlages ist lange vor den Clubnachrichten in den Heftromanen des Pabel Verlages eine Plattform für interessierte Fans erschaffen worden. Natürlich steht auch die Verlagsbindung im Vordergrund der hier nachgedruckten Hefte, aber antiquarisch nicht mehr zu erhalten eröffnen sie den fandomtechnisch begeisterten Fans auch das Fenster in eine gänzlich andere Welt. Aber Herausgeber Dieter von Reeken geht noch einen Schritt weiter.

Schon in seinem Vorwort erläutert er neben der ersten Begegnung mit den „richtigen Büchern“ zwei weitere Faktoren. Die angesprochene Zeitschrift – wobei dieser Begriff sehr hoch gestochen ist – konnte kostenlos mittels einer ebenfalls nachgedruckten Karte angefordert werden. Als Dieter von Reeken diesen Weg suchte, war sie längst eingestellt worden. Ein weiteres verbindendes Element sind die eindrucksvollen Titelbilder von Bernhard Borchert, der nicht nur im Anhang vorgestellt wird, sondern dessen Arbeiten sich in der abschließenden Galerie befinden. Zusammen mit der SF- Leihbuch Datenbank von Alfred Beha bilden diese Graphiken einen idealen Einstiegspunkt für Sammler, um vielleicht die Lücken zu schließen; seltene nicht immer in der vorliegenden Buchfassung, sondern als gekürzte Heftromane nachgedruckte Science Fiction Texte zu entdecken oder zu staunen, wie weit über die bekannten Eckpfeiler mit Hans Dominik – dessen Texte sind gegenüber den Vorkriegsausgaben bereinigt worden – und Robert A. Heinlein mit seinen Jugendbüchern hinaus das Spektrum dieser fast in Vergessenheit geratenen Reihe gereicht hat.

 Einige Informationen über die Bücher lassen sich auch den insgesamt sechs Zeitschriften mit unterschiedlichen Umfängen zwischen acht und bis zu sechzehn Seiten entnehmen. 

Heute sind die Hefte wahrscheinlich vor allem wegen ihre Meldungen zum Stand der Raumfahrt und den sekundärwissenschaftlichen Artikeln bekannt. Diese haben im Grunde für den Leser nur noch wie eine Wochenschau historischen Wert, da viele der Fakten überholt sind. Sie stammen aber aus einer Zeit des grenzenlosen Optimismus nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg und sehen technischen Fortschritt als mittelbare Wunderheilung oder unmittelbaren Motor der nur positiv verlaufenden menschlichen Evolution vom modernen Barbaren der Kriegszeit zu einem global denkenden Individuum in einer grenzenlosen Staatengemeinschaft mit pluralistischen Zielen an.

 Auf der anderen Seite gibt es immer noch ausreichend spekulative Artikel nicht selten direkt oder indirekt auch basierend auf den geplanten Veröffentlichungen der Gebrüder Weiß Verlage, welche heute noch phantastisch erscheinen. Phobos ist nun einmal kein künstlicher Körper und die Energie auf fremden Planeten nach der Auslöschung der Erde durch den nahen Vorbeiflug eines Planeten – die Grundlage für „Der jüngste Tag“ – bleibt weiterhin Spekulation, da die astronomischen Voraussetzungen sowohl für ein derartiges Ereignis als auch das Leben auf einem Planetenwanderer nicht gegeben sind. 

 Viel interessanter aus heutiger Sicht sind vor allem für Nichtkomplettsammler der damaligen Reihe bzw. Reihen die einzelnen Zitate aus den publizierten Werken. Neben einigen sekundärliterarischen Auszüge wie Ego Larsons „Die wirst die Zukunft noch erleben“ reicht das Spektrum wirklich vom französischen Urvater der utopischen Abenteuerliteratur Jules Verne über die populären Amerikaner wie Heinlein/ Hamilton; den Briten Arthur C. Clarke oder den gereinigten Nachdrucken Hans Dominiks bis zu Freder van Holk mit seinen aus den Heftromanen „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ teilweise extrapolierten Ideen oder Robert Koch. Selbst die französische Science Fiction ist in der Reihe vertreten, wurde auch in der Hauszeitschrift mit dem Bericht „Science Fiction aus Frankreich“ sogar besonders hervorgehoben.  

 Unter dem Artikel über die Science Fiction in Frankreich findet sich in zweiten Ausgabe der Hauszeitschrift auch der Hinweis auf die Gründung eines deutschen Science Fiction Clubs... natürlich dem SFCD mit Walter Ernsting als Kontaktler. 

 Bei vielen der Textbeiträge handelt es sich um Auszüge aus den Romanen. Diese sind aus heutiger Sicht nicht so interessant, da die Romane bekannt sind oder sie Ausschnitte nur bedingt einen Einblick in das ganze Werk geben. Eingebetet wird dieser Bereich aber durch die Beiträge „Soll man Zukunftsromane lesen“ von Paul Alfred Müller gleich in der ersten Ausgabe der Hauszeitschrift und in der Nummer vier ergänzt durch Edmund Schopens „Warum ich Zukunftsromane“ schreiben. Dessen Werk ist relativ bescheiden, aber seine Visionen hoben seine Arbeiten schon in den fünfziger und sechziger Jahren aus der Masse vor allem der deutschen utopischen Trivialliteratur hervor und der Beitrag ist heute noch lesenswert. Abgerundet wird dieser Bereich durch eine entsprechende Leserumfrage, warum utopische Literatur überhaupt gelesen wird.

 Ebenfalls bemerkenswert ist „Ein Mann allein, John W. Campbell jr.“ aus der Feder Theodore Sturgeons. Es handelt sich um die Einleitung der Kurzgeschichtensammlung Campbells. Auch wenn Campbells Einfluss vor allem als Herausgeber nicht zu wenig gewürdigt werden kann und darf, erscheint es fast pervers, dass ein Stilist, ein Meister der Kurzgeschichte und einer der innovativsten Autoren des Genres aller Zeiten ein derartiges Loblied auf Campbell sing und seine Stärken herausstellt, wie es sich bei derartigen Beiträgen aber gehört, dessen auch stilistische Schwächen ignoriert.   

 Die anderen Romanauszüge sind eher von mittlerem Interesse. Nicht selten handelt es sich teilweise ein wenig unglücklich um aus dem Zusammenhang gerissene Szenen, welche die Abonnenten der Hauszeitschrift auf die Bücher hinweisen und ihnen Geschmack machen sollten. Einige Autoren wie Arthur C. Clarke haben in ihren Werken immer wieder technische Exkursionen eingebaut, welche sich gut in eine derartige Publikation übertragen lassen, während Robert A. Heinlein nicht selten in relevanten Szenen abschweift und ein Ausschnitt eher das Werk des Autoren unterrepräsentiert. Heinlein  ist zusätzlich mit dem Alltagsleben im Jahr 2000 vertreten. Heute lassen sich diese Szenen teilweise direkt auf sein lange verschollenes Werk „For us, the Living“ zurückführen und schließen damit eine weitere kleinere literarische Lücke.

 Im Anhang finden sich neben der Vorstellung des Titelzeichners und seinen markanten Werken auch die Auflistung aller phantastischen Publikationen des Verlages, sogar die entsprechende Bestellkarte inklusiv der Versandumschläge und dem Faltblatt runden die Präsentation wie bei Dieter von Reeken inzwischen selbstverständlich minutiös, Detail verliebt, aber nicht aufdringlich ab.

 Wer auf den ersten Blick nur spröde, von der Zeit überholte Wissenschaft erwartet, wird von diesem kleinen Druckwerk positiv überrascht. Wie einige andere Publikationen sowohl vom SFCD als auch dem EDFC  oder Dieter von Reekens eigene sekundärliterarische Reihe mit Augenzeugenberichten der ersten Tage der Science Fiction nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland reiht es sich in diese Phalanx ein. Sammler/ Leser der Erstveröffentlichungen werden diesen Nachdruck als liebevolles Beiwerk ansehen. Wer bislang noch keine Berührung mit den kleinen Hauszeitschriften des Gebrüder Weiß Verlages gemacht hat, wird keinen besseren, liebevoller gestalteten und vor allem umfassenden Einblick in diese selbst antiquarisch nicht mehr zu erhaltene Zeitschrift erhalten als mit dieser in mehrfacher angesprochener Hinsicht empfehlenswerten Arbeit.             

 

 

  • JP Oversized: 100 Seiten
  • Verlag: Reeken, Dieter von; Auflage: 1 (28. November 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3945807166
  • ISBN-13: 978-3945807163
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