Raumstation auf der Erde

Clifford D. Simak

Der deutsche Titel des 1964 erschienenen Romans „Raumstation auf der Erde“ gibt zu viele Informationen freiwillig Preis, welche sich der Leser aus der Perspektive eines misstrauisch gewordenen Geheimagenten der amerikanischen Regierung mühsam aneignen muss. Im Original heißt Simaks Werk „Way Station“ und der Titel trifft eine Reihe der Themen, welche der Amerikaner so oft, so gerne und vor allem auch so gut in seinem umfangreichen Werk angesprochen hat. Die positiven Aspekte des Lebens an der amerikanischen Frontier im 19. Jahrhundert extrapoliert der Autor gerne in eine auf den ersten Blick ferne, im zwischenmenschlichen Bereich aber auch gegenwärtige Zukunft. Wie Frank Capras Antihelden erreichen Simaks einfache, bodenständige und doch sympathische Protagonisten ihre Ziele mit einer gewissen Grundehrlichkeit, einem stoischen Durchhaltevermögen in Kombination mit einem spürbaren Dickkopf; dem Wunsch und Willen, positive Veränderungen durchzuführen und vor allem einem ausgesprochenen Respekt dem anderen Menschen oder Wesen gegenüber. Nur wenn diese Respektsphäre durch aggressive meistens auch dumme Menschen oder Aliens gestört wird, sehen sie sich gezwungen, ausschließlich zu reagieren, aber niemals als ersten Schritt brutal zu agieren.

Simaks Romane durchzieht ein ausgesprochen pazifistischer, in der heutigen Zeit vielleicht nach naiv erscheinender Geist, der aber dem ursprünglichen amerikanischen Selbstverständnis des frühen 20. Jahrhunderts entspricht. Der Zeit, als Amerika noch nicht die Rolle der Weltpolizei übernommen und das eigene Ego ausschließlich über die Interessen der anderen Menschen/ Völker gestellt hat.

„Way Station“ ist ein subtiles Meisterwerk, das den Leser zum Nachdenken auffordert. Alleine die verschiedenen Plots mit Außerirdischen, Unsterblichkeit, den Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste, dem potentiellen wie allgegenwärtigen dritten Weltkrieg; der Gefahr, als Menschheit vor dem ersten Schritt ins All von den Fremden wieder isoliert zu werden und einem so normalen, so unauffälligen Botschafter der Erde nicht zwischen den Sternen, sondern in den Wänden einer nach außen alten kleinen Hüte als Wegstation zwischen den verschiedenen intergalaktischen Welten hätte ausgereicht, um ganze Serie zu füllen. Simak fokussiert und konzentriert den Plot auf einige wenige Momente.

 Auffällig ist, dass der Autor trotz einiger möglicher pathetisch patriotischer Exkurse immer einen sachlichen, einen distanzierten, einen unauffälligen und doch aus den Protagonisten heraus auch warmherzigen Stil beibehält. Was auf den ersten Blick als Schwäche ausgelegt werden kann, ist seine unglaubliche Stärke. Wie Rod Sterling in „The Twilight Zone“ konfrontiert er stellvertretend für den Leser seine Protagonisten mit ungewöhnlichen und unglaublichen Herausforderungen. Vor allem in den amerikanischen Originalausgaben sind die Dialoge ungewöhnlich pointiert, aber niemals doppeldeutig. Viele Emotionen werden wie in den klassischen Western mit nur wenigen Worten und noch weniger Gesten ausgedrückt.

 Neben der ausgesprochen kompakten Handlung kann ein Autor einen Roman orttechnisch nicht noch mehr verdichten. In der gleichen Zeit ist das Drehbuch zu dem unglaublich intensiven Film „Man of Earth“ erschienen. Die beiden Arbeiten spielen in und um eine kleine Blockhütte. Die Welten bzw. die Welten kommen in Form verschiedener Charaktere dort hin. Die Handlung spielt bis auf einen ganz kleinen Exkurs – der Protagonist bringt die vom Vater geschundene Tochter zurück – auf wenigen Hektar im amerikanischen Niemandsland. Zeitlich umspannt die Geschichte mehr als einhundert Jahre. Betrachtet der Leser zusätzlich die einzelnen Besucher, dann kann man von Lichtjahren sprechen, die sich im amerikanischen Hinterland treffen.

 Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist Enoch Wallace, der im amerikanischen Bürgerkrieg gedient hat. Seitdem sind mehr als einhundert Jahre vergangen und Enoch Wallace lebt immer noch in seiner kleinen Hüte, die er von seinen Eltern übernommen hat. Die Eltern hat er damals im Garten nach ihrem Tod begraben. Enoch Wallace sieht immer noch wie dreißig aus. Seinen Nachbarn fällt es zwar auf, das der zurückgezogen lebende Mann nicht altert, aber wie es für Amerikas Hinterland typisch ist, kümmern sie sich nicht drum. Im Laufe des ersten Drittels der Handlung erfahren die Leser mehr über sein bisheriges Leben. Erst dann öffnet sich der intergalaktische Vorhang auf mehreren Ebenen. Simak ist sich nicht zu schade, durch die verschiedenen Zeiten nicht selten in Form des Tagebuchs zu springen, das Wallace stoisch führt. Dort sind alle Besucher, alle Aufträge und vor allem alle wichtigen mittelbar erlebten Ereignisse verzeichnet, denn seine Hütte ist im Inneren eine Zwischenstation. Er versorgt die verschiedenen Aliens auf ihren Sprüngen durch die Galaxis. Sie machen quasi Rast bei ihm, unterhalten sich mit dem Wächter, hinterlassen Geschenke, genießen teilweise Kaffee und finden einen Moment der Ruhe. Enoch Wallace ist von den Betreibern der Station unsterblich gemacht worden.

 Unglaublich simpel und doch effektiv beschreibt Simak diese Begegnungen. Auch wenn Wallace nicht alle der Wesen verstehen oder gar begreifen kann, ist er der freundliche Stationsbetreiber, der zu allen fair und nett ist. Mit einigen entwickelt sich eine Freundschaft, so dass ihre wiederkehrenden Reisen inzwischen zu echten Besuchen geworden sind. Wallaces Hobby ist, die Mathematik einer der durchreisenden Rassen zu verstehen. Dabei scheint er zu erkennen, dass die Menschheit auf ihren eigenen Untergang zusteuert. Interessant ist, dass Simak ja sein Buch in der Zeit des Kalten Krieges mit der Kuba Krise und der kontinuierlichen Aufrüstung auf beiden Seiten des Atlantiks mit atomaren Waffen geschrieben hat, diese politischen Aspekte durchgehend nur impliziert angedeutet werden. Vielleicht eines der Mankos dieses Romans, denn eine Kombination von phantastischen Ereignissen direkt mit realen Entwicklungen hätte dem unterhaltsamen Buch noch eine intensivere Note gegeben.

 Ein Geheimagent scheint Wallace Geheimnis zu durchschauen und als eine Leiche – er hat vor Jahren einen in seiner Hütte verstorbenen Reisenden neben seinen Eltern begraben – von seinem Grundstück verschwindet, rücken nicht nur die Erde, sondern vor allem er in den Blickpunkt der Fremden, die Way Station wird zu einem unbequemen Politikum nicht nur zwischen den Sternen, sondern vor allem auch in Washington.   

 Wie schon erwähnt ist der politische Aspekt eher eine Farce. Da reagieren die Behörden auf eine vage Drohung umgehend und warten fast wie die Schlange vor dem Kaninchen ab. Die Nachbarn Wallaces sind irgendwo im Mittelalter geistig stecken geblieben und die ambivalenten Fähigkeiten eines jungen Mädchen kommen im richtigen Moment ans Licht, als der Menschheit der passive Ausschluss aus dem Sternenstraßennetz droht. In seinen späteren Werken hat Clifford D. Simak noch mehr auf Fantasy Elemente gebaut, welche die Technik immer begleitet, aber niemals wirklich ersetzt haben. Durch das hohe, fast sich überschlagende Tempo werden einige Gefahren und Herausforderungen fast umgehend wieder relativiert, aber der Amerikaner macht das mit einem derartigen sympathischen Ansatz immer das Große Ganze im Auge behaltend, dass ihm der Leser nicht wirklich böse sein kann.

 Im Mittelpunkt der Geschichte steht ohne Frage der zeitlose Wächter Wallace. Seine Tagebuchaufzeichnungen spiegeln seine Neugierde, sein Verantwortungsbewusstsein und vor allem seinen Drang zu stoischer Pflichterfüllung wieder. Auch er kann nicht verstehen, wie seine über einhundert Jahre geordnete Welt plötzlich aus den Fugen geraten kann. Dabei er sich der Verantwortung erst einem einzelnen Schutz suchenden Menschen, später für die ganze Menschheit bewusst. Auch wenn ihm ein leichter Ausweg angeboten wird, entschließt er sich, den schwierigeren Weg zu gehen. Dabei trägt er die Hoffnung in sich, dass die Menschheit aus sich selbst heraus reifen kann, um schließlich den Weg zu den Sternen zu finden. Die Fremden sind zwar überwiegend pazifistisch eingestellt, haben aber einen ausgesprochen effektiven Weg, um kriegerische Völker zu Raison zu bringen. Dabei ist die Wirkung verheerender als in Harry Bates verfilmter Geschichte „Der Tag, an dem die Erde stillstand“. Einige deutsche Leser werden erkennen, dass die Idee vielleicht auch einen Zyklus in der Perry Rhodan Serie beeinflusst haben könnte.

 Die Stärke von „Way Station“ liegt in den Worten, die unausgesprochen bleiben. Es ist eine moderne Frontiergeschichte mit effektiv gesetzten Science Fiction Elementen, die allerdings auf eine ansprechend warme Art und Weise ausgespielt werden. Der Geschichte liegt eine Idee der Tragik zu Grunde. Wallace verliert seine Großeltern auf eine tragische Art und Weise. Er ignoriert seine Umgebung und beginnt quasi nach innen zu leben. Der CIA Agent könnte die größte Entdeckung aller Zeiten nach Washington melden, nur ist er sich der tragischen Konsequenzen seines Handelns schließlich bewusst. Die fremden Besucher lieben Wallace und beschenken ihn. In einem kleinen Insiderjoke verschenkt Wallace das ihm zurück gelassene Holz fremder Welten an den Briefträger, seinen einzigen Freund, der daraus wiederum eine Holzfigur schnitzt, die Wallace überreicht wird. Aber auch sie können hinsichtlich der möglichen Gefahren und Konsequenzen nicht eingreifen und müssen passiv das weitere Geschehen beobachten.

 Einzig Wallace ist trotz seines lange Zeit passiven, nach innen gekehrten Charakters der einzige wirklich aktive Charakter in diesem Roman. Am Ende schließt sich der fatalistische Kreis durch sein Handeln. Er wendet sich wieder seiner Arbeit zu und schreibt weiter an seinem Tagebuch. Was für ein passendes, emotional ansprechendes und an keiner Stelle kitschiges Ende für einen Roman, in dem der durchschnittliche, aufrechte und an die eigne Verfassung glaubende Amerikaner ein aus heutiger Sicht die gegenwärtige Generation auch mahnendes Denkmal erhält. Niemals war Clifford D. Simak dem großen Frank Capra und seinen so uramerikanischen Filmen näher als in „Way Station“, einer zeitlosen Würdigung des verantwortungsvoll agierenden Menschen.  

Raumstation auf der Erde: Roman

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 1140 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 189 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (31. August 2017)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B072K8CC6Y