Clarkesworld 142

Neil Clarke (Hrsg.)

Das wunderbare Titelbild des 142. Ausgabe von “Clarkesworld” macht es deutlich:  es ist Sommer.  Zum ersten Mal seit vielen Jahren harmoniert eine der empfehlenswerten Nachdruckgeschichten thematisch mit einer der beiden Novellen, die zum ersten Mal präsentiert werden. Die untergegangene Erde, geheimnisvolle Gefahren und Schätze unter Wasser. Auch die zweite Novelle reiht sich allerdings mit einer etwas anderen Prämisse in diesen Kanon ein. Während Herausgeber Neil Clarke in seinem Vorwort neue Projekte präsentiert und sich auf den Readerscon freut, geht Carrie Sessarego auf die zahlreichen Adaptionen des Frankenstein Mythos ein. Bei den Klassikern kann sie  keine neuen Impulse setzen, aber bei den Gegenwartsprojekten weist sie auf einige Filme hin, welche der oberflächliche Leser niemals auch nur in die Nähe von Shelleys Werk gesetzt hätten. 

James Patrick Kelly geht in dem langen Interview mit Chris Urie wieder auf seine zahllosen Ideen, aber auch die Schwierigkeit ein, für Kurzgeschichten lange Zeit einen Markt gefunden zu haben.  Das Interview begleitet das beste Essay dieser Ausgabe. A.M. Dellamonica spricht/ schreibt darüber, dass immer noch das Leben die besten Geschichten erzählt.

John Barnes „Swift as a Dream and Fleeting as A Sigh“ stammt aus der Anthologie „Edge of Infinity“. In dieser Hinsicht reiht sich der lesenswerte Text in den Kanon von Geschichte nein, in denen es um die Visualisierung von Unendlichkeiten geht. Bei vielen Storys dieser Sammlung ist die Identität des Erzählers nicht immer leicht oder auch nur gleich zu erkennen.   Der Erzähler beobachtet eine Liebesgeschichte und versucht das Geschehen aus seiner exzentrischen, im Grunde emotional unwissenden Sicht zu kommentieren. Ohne kitschig oder klischeehaft zu wirken schafft es John Barnes, die richtige Balance zwischen Plot und Interpretation zu erschaffen, welche Notwendigkeit ist, um das zeitlich riesige Geschehen im richtigen Kontext betrachten zu können.

„Last Gods“ von Sam J. Miller ist eine der Geschichten, die sich mit den Folgen der ökologischen Katastrophe auf der Erde auseinandersetzt. Sie stammt aus der Anthologie „Drowned Worlds“, welche n den letzten Monaten immer wieder zum Nachdrucken genommen worden ist. Die Menschen am Rande des Ozeans beten die  letzten Orca Wale  als neue Götter an.  Kelb wehrt sich gegen diesen Kult und seine Freundin Adze versucht ihm aus Liebe zu helfen. 

Die Geschichte lebt von der sehr realistisch gezeichneten Welt. Da Adze auch noch behindert sie – sie hat keine Arme – gelingt es Sam Miller in doppelter Hinsicht, die Perspektive einer sozialen Außenseiterin in einer dem Leser nur bedingt bekannten Welt zu zeichnen. Das Ende ist brutal, fatalistisch und konsequent zu gleich. Mit wenigen Sätzen streift Sam Miller durch einen ganzen zwischenmenschlichen Kosmos von Ideen, Handlungen und schließlich auch dem wichtigen Aspekt des Glaubens per se und des Glauben wollen/ müssen, bevor er ein sehr konsequentes und zumindest aus Sicht des Lesers auch überraschendes Ende präsentiert.

In „A Gaze of Faces“ von Mike Buckley untersucht der Forscher Irvine die alten Daten in einer Bücherei, welche auf das Ende der ursprünglichen Erde hinweisen könnte. Aber Ende erfährt er das Schicksal der alten Erde und lernt, es zu akzeptieren. Damit impliziert Mike Buckley aber nicht, dass die Menschen in der unwirtlichen Kolonie von ihren Fehlern gelernt haben.

Das große Manko dieser atmosphärisch dichten Geschichten liegt aber in der Tatsache, dass der Untergang der Menschheit von außen initiiert in der vorliegenden Form keinen wirklichen Sinn macht.  Vor  allem weil es  mehr effektiv und kurzfristig zuschlagende Möglichkeit gibt. Auch das Motiv ist wenig zufriedenstellend herausgearbeitet.

Während der Untergang der Menschen sowohl bei Sam Miller direkt an der Erdoberfläche, bei Mike Buckley von einer fernen Kolonie verfolgt wird, greift der chinesische Autor Qi Yue mit „To Fly Like a Fallen Angel“ zum fast klischeehaften postapokalyptischen Szenario mit einer unterirdischen Bunkergesellschaft Jahrhunderte/ Jahrtausende nach dem finalen atomaren Krieg. Ein ehemaliger Hacker muss sich mit ihrem ehemaligen Freund auseinandersetzen, der um einen finalen Gefallen bittet.  Im Gegensatz zu den anderen beiden Geschichten ist dieses fatalistische Ende noch überraschender als erwartet und erinnert ein wenig an eine Variation der „Matrix“ Filme bzw. „Dark City“.  Wie mit dieser Erkenntnis umgegangen wird, ist eine der Stärken der Story.

Der Weg dahin ist neben den eher gewöhnungsbedürftigen improvisierten Wissenschaft durch den hölzernen Stil, die eher eindimensionalen Charaktere und vor allem die immer wieder belehrend klingenden Dialoge gekennzeichnet. Entweder sind die Vorlagen schon derartig schlecht oder Neil Clarke als Lektor sowie Elizabeth Hanlon als Übersetzerin finden nicht das richtige Gefühl für die Geschichte. Die offensichtlichen Fehler hätten aber von beiden Beteiligten korrigiert werden müssen, wenn nicht schon der Autor  sie nicht hätte begehen dürfen. 

Osahon Ize- Iyamus „For What are Delusions if Not Dreams?” fällt in eine zweite wichtige Kategorie dieser Ausgabe. Kann eine künstliche Intelligenz ihren Aufgaben gerecht werden, wenn sie versucht, menschlich zu werden?  In dieser Story hängt im Grunde das Schicksal der nicht näher beschriebenen Welt von der Funktionalität der „Maschine“ ab. Diese Theorie wird nicht abschließend durch diskutiert, so dass das Ende buchstäblich in der Luft hängt, während die Grundlagen wie Mathematik und rein logisches Denken wie Magie aus einer Fantasy Welt erscheinen. Es ist der zweite Text, der dringend einer sprachlichen Überarbeitung bedarf. Englisch ist nicht die Muttersprache des aus Nigeria stammenden Autoren und das kann ihm auch nicht vorgehalten werden, aber Herausgeber Neil Clarke hätte den Text für die Veröffentlichung in „Clarkesworld“ gründlich überarbeiten müssen.

Auch Kate Osias „The James Machine“ leidet unter der in dieser Form nicht logischen Grundidee, aber ihr gelingt es, die Emotionen so intensiv, so packend zu beschreiben, dass diese Schwäche übersehen werden kann.  James liegt im Sterben. Zusammen mit seiner Frau Cat kann er eine künstliche Intelligenz bauen, die ihr bei ihrem Verlust helfen soll. Zu Beginn erscheint der Ersatz eine gute Idee.  Cat kann die Leere in sich durch die Gespräche mit der künstlichen Intelligenz füllen, aber im Grunde wird ein wichtiger Aspekt des Trauerns nur aufgeschoben.

Lavie Tidhar hat mit „Gubbinal“ ein eher unterhaltsames Science Fiction Garn verfasst. Sahar lebt auf dem Titan und lebt von den Überresten der „Boppers“, nicht näher beschriebene Fremde. Zusammen mit einem Freund, der speziell an das Leben/ Überleben auf dem Titan angepasst worden ist, suchen sie nach einem bestimmten Artefakt und wollen es vor den Piraten retten.

Am Ende der abenteuerlichen Erzählung bleibt wie so oft ein Pyrrhussieg. Zwar kann Sahar dem Leser ihre Geschichte erzählen und kehrt neben einem kleinen Fund um mehrere Erfahrungen reicher zurück, auf der anderen Seite wirkt ihre Handlungsweise teilweise so hektisch und unüberlegt, dass man ihre Erfahrungen auch als Glück gehabt bezeichnen kann. Der Hintergrund wird zu wenig erläutert, als das die Geschichte wirklich überzeigen kann und Lavie Tidhar konzentriert sich auf den Schein und leider nicht das inhaltliche Sein.

„Clarkesworld“ 142 ist eine echte Sommerausgabe. Die Themen künstliche Intelligenz und Post Doomsday werden aus unterschiedlichen Perspektiven niemals wirklich überzeugend beschrieben und die neuen Storys weisen vor allem hinsichtlich der wissenschaftlichen Hintergründe extrem viele Schwächen auf.