Exodus 20

Rene Moreau (Hrsg)

Martin Schremm eröffnet mit "Das Lazarus Projekt" die 20. Exodus Ausgabe.  Eine Patientin soll  mittels einer Art Simulacron ihres bei einem Unfall verstorbenen Mannes aus ihrem Wachkoma geweckt werden. Interaktiv lässt sie sich auf die dreidimensionale, sehr lebensechte Projektion ihres Mannes ein und scheint - wie es sich für derartige Geschichten gehört - tatsächlich heilbar zu sein. Martin Schremm diskutiert aus der Perspektive der das Experiment begleitenden Ärzte gegen Ende einige Aspekte dieser Therapie vor allem auch aus Sicht der virtuellen künstlichen Intelligenz, bevor sich der Autor für ein emotionales, aber auch ein wenig dogmatisches Ende entscheidet.  

 Christian Weis  präsentiert mit "Dort draußen, hinter den Sternen" eine stimmungsvolle Geschichte von einem Sohn, dessen Vater ein Astronaut auf Langzeitmissionen ist.  Der Auftakt ist überzeugend, die Charaktere sind mit sehr viel Gespür für  die Details gezeichnet worden. In der Mitte mit der Einführung einer weiteren Idee bekommt die Geschichte einen Knick.  Sie wirkt nicht überzeugend genug und vor allem gibt es keinen Grund, bei einer derartig hochentwickelten Technik die Rollen nicht zu tauschen. Die moralischen Fragen werden andiskutiert, aber nicht bis zum Ende durchdurcht,  so dass Christian Weis Text als Ganzes betrachtet ein wenig verloren erscheint. 

l  Helmut Ehls „Harry and Soyla” sowie Frank G. Gerigks „Welten“ spielen vordergründig sich entweder perfekt entwickelnde oder perfekt erscheinende Beziehungen durch. Dabei baut Helmut Ehls einige Anspielungen auf das Genre wie die Perry Rhodan Treue oder den Verweis auf Kim Stanley Robinson ein, die eher stören und den Leser aus dieser seltsam toleranten Beziehung herausreißen. Am Ende präsentiert er wie Frank G Gerigk mit dessen Geschichte eines Schriftstellers, der sich Implantate ins Gehirn hat einsetzen lassen und jetzt in der Isolation nicht nur einen neuen Roman, sondern eine perfekte Frau kennen lernt, dass Realität und Irrealität zusammenfließen. Beiden Texten ist gemeinsam, dass ihre Enden aufgesetzt und entweder schwach bei Helmut Ehls oder vorhersehbar wie bei Frank G Gerigk erscheinen.

 Horst Hoffmann hat sich in den siebziger Jahren vor allem als Autor von SF Satiren neben seiner beginnenden Tätigkeit als Verfasser von Heftromanen einen eigenen Namen gemacht. Auch wenn es sich bei „Die Missionare von Dulcilanea“ um eine Erstveröffentlichung wahrscheinlich aus dm 21. Jahrhundert handelt, schwingt nicht nur der archaische Geist der siebziger Jahre durch diese Satire, vor allem gegen Ende verlässt Horst Hoffmann die Grenzen des guten Geschmacks seiner besonderen First Contact Geschichte mit Anspielungen auf Olaf Stapledons „Sirius“ und versucht bemüht, die Pointe irgendwie in seinen Plot zu integrieren. Der Hang zur Übertreibung ist ein wichtiges Stilmittel der Satire, er sollte aber auch glaubwürdig sein und das ist bei Horst Hoffmanns Geschichte leider nicht unbedingt der Fall. 

 Viel bessere Satiren stellen die Arbeiten von Boris Koch („Die achte Todsünde“) und Frank Neugebauer mit seinen „Ko(s)mischen Lebensläufen“ dar. Boris Koch nimmt das schlechte Gewissen eines Workholics und seine Affäre mit der natürlich auch verheirateten Sekretärin zum Anlass, ihn in seinen Alpträumen mit einem etwas überforderten Gott kommunizieren lassen. Das Ende kann durchaus unter „selbst Schuld“ gebucht werden, aber die pointierten Dialoge machen den Reiz der Geschichte aus. Frank Neugebauer stellt drei Lebensläufe gegenüber, die in parallelen Welten ablaufen. Am Ende steht unmittelbar, einmal nur mittelbar die Begegnung mit dem Fremden, aber die drei Biographien sind voller ironischer Anspielungen und sind originell genug, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erwecken.

 Auch Uwe Schimuneks „Lernen für`s Leben“ trägt satirische Züge in sich. Ein Programmierer soll mit künstlichen Intelligenzen nicht nur spielen, sondern sie anleiten, damit die nächsten Prototypen noch intelligenter, menschlicher oder wie in der vorliegenden Geschichte cleverer werden. Natürlich mit fatalen Folgen, wie das in den Details überraschende, von der Entwicklung her aber vorhersehbare Ende unterstreicht. Frank Hebbens „Das Rosetta- Projekt“ zeigt deutlich auf, dass im Grunde aus der fernen Zukunft in die Gegenwart jegliche Interpretation von Fragmenten möglich ist. Man muss sein Publikum – selbst wenn es sich um Wissenschaftler handelt – nur ordentlich bluffen, dann kommt man schon durch.

 Zu den besten Geschichten gehört Michael Tillmann „Amundsen, Planet der Erhabenheit“. Auch wenn am Ende eine First Contact Geschichte steht und die Art der Verständigung nicht unbedingt originell ist, lebt der Text vor allem von den phantastischen, wie der Titel schon impliziert erhabenen Beschreibungen einer für den Menschen jungfräulichen Welt. Dabei nutzt der Autor sprachliche Bilder, die sich jeder Mensch vorstellen kann, der schon einmal auf unberührte Schneeweiten geblickt hat. Die Geschichte ist stringent, die Handlung plausibel und die beiden wichtigsten Protagonisten solide charakterisiert, so dass mit einem zufrieden stellenden Spannungsbogen der Leser wirklich von Beginn an einfach gut unterhalten und nicht verblüfft/ provoziert oder vielleicht manipuliert wird.  

 Religiöse Anspielungen finden sich in einigen anderen Texten. Beginnend mit Carl Grunerts evolutionärer Geschichte spielt Uschi Zietsch in „Pandoras letzter Wille“ mit der Idee einer Antiutopie, betrieben von griechischen Göttern und zusammengehalten von den Algorithmen der Computer. Ein Programmierer merkt, dass die perfekte, im Grunde stereotyp perfektionierte Welt aus den Fugen gerät und daran kann nur eine Frau direkt neben dem Mann an der Spitze Schuld sein. Doppeldeutiger mit guten Dialogen geschrieben überzeugt die Kurzgeschichte mehr als zum Beispiel Thomas Bergers „Unerwartete Entwicklung“, die für das 21. Jahrhundert aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Am Ende steht eine schwerfällige Botschaft, die belehrend präsentiert wird, während der Leser zu Beginn nicht die Möglichkeit hat, die Protagonisten näher kennen zulernen und dadurch näher an ihrem Schicksal „dran“ zu sein.

 Es finden sich einige  im Grunde Miniaturen in dieser Ausgabe.  Bernd Karwaths "Wie ein Wind" versucht ausgehend von einem klassischen Space Opera Szenario etwas Existentielles in wenige Worte zu fassen.  Der Text erscheint vordergründig Gedanken schwer, wobei diese sich im Laufe des Handlungsbogen ein wenig auflösen und in Vergessenheit geraten.   

 "Exodus" 20 präsentiert zwei sehr unterschiedliche Nachdrucke.  Von Thomas Franke illustriert und in der ursprünglichen Faksimilieschrift gesetzt ist Carl Grunerts 1913 oder 1914 veröffentlichte Kurzgeschichte "Der Ätherseelenmensch"  eine Fingerübung der Tradition Kurd Laßwitzs und seiner philosophischen Geschichten folgend, welche die Symbiose des Individuums ganz bewusst mit dem Universum lange vor Olaf Stapledon nicht nurt thematisiert, sondern vor allem auch nachhaltig extrapoliert. Thomas Franke Zeichenstil passt perfekt zu der kurzweilig zu lesenden Story, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im "Exodus" Magazine stand die Wiederentdeckung Carl Grunerts nicht besonders umfangreichen Werkes erst am Anfang.

Aus der Sammlung "Die Entdeckung des Omega Planeten" von Gerd  Maximovic stammt mit "Der Krieg gegen die Parmanteren" der zweite Nachdruck.  In Briefform geschrieben aus der Sicht des zu verheizenden Fußvolkes eines interstellaren Krieges, den die Menschen mit den Ureinwohnern eines Methanplaneten im Kampf um deren Rohstoffevom Zaun gerissen haben. Auch wenn der Autor bis auf die zynische, aber wenig überraschende Anmerkung  am Ende der Geschichte dem Sujet weder neue Impulse geben kann noch die allgegenwärtige Aktualität des Themas in den Hintergrund drängen kann, wird die Botschaft ein wenig zu sehr mit dem Holzhammer präsentiert.  Und das ist angesichts des zeitlosen Themas ein wenig schade.       

 Die Galerie gehört Klaus G. Schimanski, der auch für das Titelbild und Backcover verantwortlich ist. Christel Scheja versucht mit ihrem kurzen Essay, die besonderen „Formen“ von Schimanskis Arbeiten aus der Sicht einer Frau zu beschreiben und dabei manch sexistisches Vorurteil zu relativieren. Die in der Galerie zusammengefassten Zeichnungen sind gut, wirken aber teilweise ein wenig steif und die phantastischen Elemente eher aufgesetzt. Das Titelbild fängt eher den Blick des Betrachters aus mehr als einem Grund ein.

 Zusammengefasst ist die Dezember 2006 Ausgabe von „Exodus“ eine durchschnittlich bis gute Ausgabe, die vor allem in der zweiten Hälfte – im Anschluss an die Galerie – an Qualität gewinnt. Dabei überzeugen einige der kürzeren Texte mehr als die längeren Geschichte. In den späteren Ausgaben wird sich dieses Verhältnis umkehren. Es lohnt sich aber, die Ausgabe antiquarisch zu erwerben und seine „Exodus“ Sammlung evolutionär zu vervollständigen, um die Wurzeln der gegenwärtig herausragenden Ausgaben zu erkennen.

EXODUS 20

www.exodusmagazin.de 

80 Seiten DIN A 4

ISSN 1860-675X