Utopia 2050

Gordon R. Dickson

Mit „The R- Master“ im Original legt der Apex Verlag einen aus dem Jahr 1973 stammenden Roman Gordon R. Dicksons neu auf. In Deutschland ist das Buch im Rahmen der TERRA Taschenbücher schon einmal veröffentlicht worden.

Als Konzept ist die Geschichte ein eher zwiespältiges Vergnügen, das interessante Ansätze hat, aber nicht gänzlich durchdacht wirkt. Bedenkt der Leser, dass vor allem Ende der sechziger Jahre und Anfang der Siebziger in der Science Fiction die Idee der dominanten und dominierenden Computer vorherrschte, greift Gordon R. Dickson in die Pulpzeit der dreißiger und vierziger Jahre zurück und macht deutlich, dass immer noch der schlimmste Feind des Menschen im Grunde nur der Mensch selbst sein kann.

Der Auftakt ist ein wenig klischeehaft und klar erkennbar. Wallace Ho hat sich für ein besonderes Programm freiwillig gemeldet. Die Superdroge R- 47 macht aus den Freiwilligen entweder Genies oder tötet ihren Geist ab. Die Wahrscheinlichkeit, ein Genie zu werden, ist höher als beim Lotto, aber es gibt viele Menschen, die ihren Verstand verloren haben. Wallace Ho gehört auch zu den Unglücklichen. Sein jüngerer Bruder Etter Ho ist eigentlich mit seinem Leben zufrieden. Er hat sich ein kleines Schiff gekauft und kommt in der anscheinend kommunistischen Planwirtschaft gut zurecht. Nur will er von den staatlichen Organen, dass sie sich um seinen Bruder kümmern und alles dafür aufwenden, seinen Verstand wiederherzustellen.

Da ihn die staatlichen Förderprogramme ablehnen, entschließt er sich, selbst zum Testobjekt zu werden. Wenn er erfolgreich ist, gibt es für ihn zwei Möglichkeiten. Unrealistisch ist, dass er intelligent genug wird, um selbst eine Kur zu finden. Realistischer erscheint, dass er in die Klasse der R- Meister aufsteigt, denen im Grunde die Welt zu Füßen liegt und sie über fast unbeschränkte Macht verfügen.

Natürlich ist das Experiment erfolgreich und Etter Ho wird nicht nur zu einem der mächtigsten Menschen der Erde, die Droge wirkt bei ihm anders als den bisherigen R- Meistern.

Die Struktur des Romans ist eine Herausforderung. Gordon R. Dickson hat eine Vielzahl von interessanten Romanen mit dreidimensionalen Charakteren geschrieben. Das ist leider hier nicht der Fall. Etter Ho ist von Beginn an unsympathisch.  Der Leser kann sich vorstellen, dass ihn das Schicksal seines Bruders nicht kalt lässt. Der hat sich aber aus egoistischen Gründen in eine extreme Gefahr begeben und ist hinsichtlich seines Geistes dabei umgekommen. Er selbst hat nicht die Mittel, ihm zu helfen und will die Gesellschaft zwingen, sich nicht nur um seinen Bruder zu kümmern, sondern ihn zu heilen. Wie das der Fall sein soll, wird an keiner Stelle erwähnt.

Als er zum R- Meister geworden ist, kommen andere Aspekte ans Tageslicht. Anscheinend ist ihm nicht mehr die klassische Droge R- 47 verabreicht worden, sondern eine neue Form, welche einige Nebenwirkungen von Beginn an dämpft. Trotzdem neigt er nicht nur zu Temperamentsausbrüchen, auch seine Vorgehensweise ist nicht unbedingt opportun. Anstatt den Leser zumindest auf Augenhöhe zu halten, distanziert sich Gordon R. Dickson mehr und mehr von seinen Lesern. Dieser kann Etter Hos Gedankensprüngen und leider nicht Gedankengängen nicht mehr folgen.

Auch am Ende als Etter Ho seinen großartigen Plan zur Veränderung der oligarchischen Gesellschaft umsetzt, werden nur die möglichen Folgen beschrieben, aber an keiner Stelle nachhaltig und überzeugend genug dessen Vorgehensweise.

Die größte Schwierigkeit ist, dass dem Leser immer wieder die unglaublichen Fähigkeiten der wenigen R- Meister vor Augen geführt werden, deren praktische Umsetzung aber an keiner Stelle erwähnt wird. Wie  bei Etter Ho scheint es sich um eine Gruppe von Exzentrikern zu handeln, die wie Parasiten im Luxussegment von der Menschheit leben, ihr aber wenig Effektives zurückgeben.

Etter Ho tritt einer Reihe von R- Meistern buchstäblich auf die Füße und ist erzürnt, als diese ihn warten lassen. Bei seinem Auftritten macht er aber auch indirekt deutlich, dass er natürlich anders ist und lenkt damit die Aufmerksamkeit der Obrigkeiten auf sich.

Setzt man diese beiden konträren Aspekte in einen engeren Zusammenhang, stellen sich dem Leser zwei Fragen. Anscheinend ist es möglich, durch die Variation der Droge weniger gefährlich mehr überdurchschnittliche Menschen zu „produzieren“. Auf der anderen Seite sind es die intellektuellen Fähigkeiten, welche die R- Meister von der breiten Masse unterscheiden. Trotzdem wären sie mittels des Militärs oder der Polizei ausschaltbar. Die meisten sind nicht in die alltäglichen Abläufe eingebunden.

Es scheint naiv zu sein, dass niemand ihn zumindest unter Beobachtung hat. Immer wieder ist er durch unkontrolliertes Verhalten negativ aufgefallen und genau wie die meisten R- Meister vergöttert werden, sollten sozialgefährliche Subjektive überwacht werden.

Der zugrundeliegende Handlungsverlauf verfügt über sehr wenige Spannungsmomente aus sich selbst heraus. Gordon R. Dickson ist in diesem frühen Werk seiner Karriere noch ein wenig unsicher und versucht inhaltliche Lücken durch lange Dialogpassagen genauso zu überdecken während er an anderen Stellen vor allem die Leser über diese dunkle Zukunft quasi im Off, aber in einem belehrenden Ton unterrichtet. Trotzdem fällt es schwer, sich ein umfassendes Bild zu machen.

Einige dieser Schwächen hat Gordon R. Dickson für die Neuauflage unter dem Titel „The Last Master“ – er ist passender – bereinigt. In „Utopia 2050“ greift der Amerikaner zwar das aus seiner Sicht eher einer Diktatur gleichende politische System an, er etabliert aber mit den überdurchschnittliche intelligenten R- Meistern keine wirklich überzeugende Alternative. Fortschritt scheint in dieser Zukunft eher auf dem Faktor Zufall zu basieren und die mittels Drogen herangezüchtete Elite ist eher Verdammnis als Rettung. Frustrierend ist, dass so viele sehr gute Ansätze vorhanden sind. Alleine die Idee, dass die „neuen Anführer“ mittels Drogen herangezüchtet und die normalen Menschen ersetzen sollen, ist für ein Buch der siebziger Jahre eine Provokation. Hätten Philip K. Dick, Michael Moorcock oder Brian W. Aldiss dieses Buch geschrieben, wäre wahrscheinlich ein zynisches Meisterwerk herausgekommen.

So bleibt vieles an der Oberfläche und vor allem auch die Strukturen wirken für die siebziger Jahre ein wenig bieder. Auf der anderen Seite ist „Utopia 2050“ aber auch eines der Bücher, das zeigt, über welches Potential auf der Ideenebene Gordon R. Dickson abseits seiner „Dorsai“ Romane oder der Exkurse in den Bereich der Fantasy verfügt hat.  In der Theorie ist es ein ambitioniertes Buch, das in der Praxis aber leider über die interessante Ausgangsidee hinaus sehr viel Potential aus dem Fenster bläst und deswegen nicht nur wegen des unsympathischen, von Beginn an unnahbaren Protagonisten eher enttäuscht als zufriedenstellt.             

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  • Format: Kindle Ausgabe
  • Dateigröße: 1663 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 270 Seiten
  • Verlag:  Apex Verlag
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B07L19NJGT