Frederik Pohls aus dem Jahr 1976 stammender Roman „Mensch +“ ist zum ersten Mal 1978 als „Der Plus-Mensch“ im Goldmann Verlag erschienen. Einige Jahre später veröffentlichte der Heyne Verlag einer überarbeitete Übersetzung inklusiv eines längeren Nachworts in seiner „Bibliothek der Science Fiction Literatur“, bevor das Buch im 21. Jahrhundert noch einmal als E Books im Rahmen der normalen Heyne Science Fiction Reihe erschienen ist.
„Man+“ im Original gehört zu den Romanen, mit denen Frederik Pohl literarisch eine kurze Blütephase in seinem Werk einläutete. Der Roman gewann den Nebula und wurde für den HUGO nominiert. Es folgte unter anderem der erste Teil der „Gateway“ Trilogie oder „Jem“ sowie „Der Friedenkriegs“, bevor Pohl in seinen späteren Büchern wieder ein wenig den Fokus verloren hat. In Interviews ist Pohl mit dem Buch, dessen erster Abschnitt schon zu Beginn der siebziger Jahre während einer Schreibblockade angefangen worden ist, später härter ins Gericht gegangen als mit anderen Arbeiten aus seiner Feder.
Fünfunddreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung weist der Roman einige ausgesprochene Stärken, aber auch interessante Schwächen auf. Interessant ist, dass Frederik Pohl die offensive Frechheit hat, den Plot mit einem paranoid klingenden Epilog auf eine gänzlich andere Ebene zu tragen. Bis dahin war der Leser immer der Meinung, dass vor allem die Menschen ihr eigenes Schicksal auf der Erde, aber auch hinsichtlich der Besiedelung des roten Planeten mit einem zu einem Cyborg inklusiv Flügeln umgebauten Menschen in den eigenen Händen halten. Genau wie die Möglichkeit, die eigene Rasse durch einen Atomkrieg vom Angesicht der Erde zu tilgen. In diesem Epilog wird die Selbstbestimmung auf eine Art und Weise hinterfragt, die Ideen/ Ansätze von Philip K. Dick im Grunde eher ins 21. Jahrhundert trägt und irgendwo zwischen HAL aus „2001“ und „Colossus“ angesiedelt ist. Kaum hat der Leser diese grundlegend überraschende Wendung akzeptiert, schafft es der Amerikaner mit den beiden Schlusssätzen, diese Idee wieder zu hinterfragen und eine „Who watches the Watcherß“ Komponenten einzufügen.
Bis zu diesem philosophischen Ende ist „Mensch+“ eine interessante, weit der Zeit vorauseilende Frontiergeschichte, in welcher Frederik Pohl fast sachlich distanziert und trotzdem auch ausgesprochen lesenswert die Idee entwickelt, nicht nur den Mars auf eine normale Art und Weise mit Städten unter Sauerstoffzelten zu besiedeln, sondern einen Menschen zu einem perfekten Marsianer „umzubauen“, der in der herausfordernden Umgebung nur mit wenig zusätzlichen „Hilfsmitteln“ leben kann. Allerdings zeigt sich während des dramatischen Ende, dass dieser Freiwillige in einem im Grunde relevanten Punkt beschränkt, vielleicht sogar gefährdet ist. Damit wird der lange Weg zum perfekten „Monster“ im Grunde genauso Ad Absurdum geführt wie der ganze Aufwand, nur einen Mann umzubauen, aber gleichzeitig auf dem Mars „normale“ Kolonien zu etablieren.
Den positiven Nutzen dieser ganzen Operation kann Frederik Pohl nicht herausarbeiten. Natürlich handelt es sich um einen Prototyp, der überwacht werden muss, aber aus dem Nichts heraus kommt die multinationale Idee auf, eine feste Besiedelung des Mars beginnend mit einhundert Menschen ins Auge zu fassen, wobei anscheinend nur ganz wenige Freiwillige ebenfalls zu „Menschen+“ werden sollen oder sogar werden.
Zu den schwächsten Passagen gehört das Kalte Krieg Szenario und die emotionale Seite des Protagonisten. Alle Parameter deuten darauf hin, dass in einer nicht fernen Zukunft – es gibt aber kaum Hinweise auf das in den siebziger Jahre abflauende Rennen zwischen den Weltmächten bei der Eroberung des Alls – die Menschheit sich in einem heiß gewordenen kalten Krieg selbst vernichten wird. Frederik Pohl ersetzt die kommunistische Bedrohung durch einen asiatischen Machtblock. Der einzige Ausweg für ein teilweises Überleben der Menschheit scheint die Kolonisation des Mars zu sein, wo die unwirtlichen Bedingungen leichter wandelbar wären als auf dem Mond.
Die zweite Schwäche ist die emotionale Seite. Roger Torraway ist ein Kriegs- und Weltraumheld. Er hat mit seinem Team zwei russische Astronauten im All vor dem sicheren Tod gerettet. Er ist ein ausgezeichneter Soldat. Für das Marsprogramm ist er aber nur der vierte in Frage kommende Mann. Ein Aspekt, den Pohl zwar immer wieder anspricht, aber nicht richtig herausarbeitet. Als er schließlich nach dem Tod des Prototypen und zwei Ausfällen an die Reihe kommt, ist er fast zu wenig überrascht. Zu wenig involviert.
Auch die Ehekrise wird immer wieder ambivalent eingesetzt. Seine Bildhübsche Frau behandelt er eher wie eine Heilige, statt eine echte Frau aus Fleisch und Blut. Sex scheint eher eine notwendige Angelegenheit zu sein. Natürlich hat sie eine Affäre mit einem der Schürzenjäger der Basis, der erstens einen Teil des Programms leitet und zweitens in einer aus dem Nichts heraus gestalteten Wendung auch direkt mit Roger Torraways weiterem Weg in einem engen Zusammenhang steht. Wenn es notwendig ist, belastet ihn die mögliche Affäre seiner Frau, die er vermutet. Wenn es nicht notwendig ist, verliebt er sich passend in eine der Ärzte, die eher auf intellektuelle Liebe stehen und bereit sind, große Opfer für ihn zu bringen. Dabei bewegt sich Pohl beinahe am Rande der Screwball Komödie. So wird der Man+ nicht von seiner Kastration vorher informiert und fällt fast in eine Schockstarre, seine Frau interessiert eher, ob der Penis wieder angenäht wird, was der überforderte Techniker bejaht.
So entschärft Frederik Pohl genauso unnötig diesen Konflikt wie er ihn erschaffen hat. Vor allem weil sich niemand realistisch vorstellen kann, ob dieser nachhaltige Umwandlungsprozess erstens wirklich wieder rückgängig gemacht werden kann und zweitens worin die Idee besteht, unter Druck der atomaren Selbstvernichtung einen perfekten Überlebenskämpfer zu erschaffen, um ihn anschließend wieder auseinander zu bauen.
Vor allem weil generell Frauen eher eindimensional beschrieben werden. Für einen Roman der siebziger Jahre haben sie ein aktives Sexleben, sie haben Bedürfnisse, aber im Grunde ihres Herzens geht es um die intellektuellen, inneren Werte, wie Pohl die einzige ansatzweise dreidimensional beschriebene Frau erklären lässt.
Zu den Stärken gehört aber die ganze medizinische Entwicklung. Der Ehrgeiz, den Menschen noch einmal auf eine höhere Stufe zu heben, die für sein durch Eigennutz gefährdetes Überleben notwendig ist. Die treue fast stupide Pflichterfüllung gegenüber dem eigenen Land und einem rastlos wirkenden, von der internationalen Politik überrollten, aber durchaus „guten“ Präsidenten. Vieles erinnert an Teddy Roosevelt, wobei aus einer fast politischen Karikatur zwischendurch ein Macher und Treiber wird, bevor er im Hintergrund verschwindet und zu einem weiteren Bauern auf einem globalen Schachbrett reduziert wird.
Die einzelnen Operation werden im Gegensatz zum Flug zum Mars, denn Torraway in einer Art Stasis und der Leser quasi im Off erlebt ausführlich beschrieben. Teilweise so ausführlich, dass es nicht nur dem Freiwilligen weh tut. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu vielen seiner damaligen wie heutigen Kollegen Frederik Pohl allerdings in einem kleinen, technokratischen Rahmen die Idee durchspielt, wie sich Mensch an seine Umgebung und nichts andersherum den Planeten an den Menschen anpassen und vor allem auch überleben kann. Herausgekommen ist eine faszinierende Schöpfung, wobei ausgerechnet das Titel der alten „Heyne SF Bibliothek“ Ausgabe Torraway mit seinen Fledermausohren, seinen insektoiden Augen und vor allen den Flügeln an einen Dämonen aus der Hölle erinnert.
Und an Bord der Marsmission befindet sich ein Pfarrer, der sündige Gedanken gegeben einer Nonne hägt, gleichzeitig aber auch als Ersatz des Ersatzpiloten eines Raumschiffs entsprechend geschult ist. Ambivalenz ist bei Frederik Pohl Trumpf.
Es ist schade, dass die meisten Szenen nicht nur auf der Erde, sondern während der Umgestaltung spielen und der Leser Torraways teilweise nicht zu kontrollierende Kräfte nur bedingt im Schlussdrittel des Buches verfolgen kann. Auch die Idee, dass das überforderte menschlichen Gehirn selbst mit den Cyborgteilen als Unterstützung nicht alles kontrollieren kann, wird nur bedingt herausgearbeitet, so dass diese spannenden und interessanten Ansätze immer wieder sehr abrupt enden.
Frederik Pohls Mars entspricht dem damaligen Wissen. Mit sehr viel Akribie und Ideen arbeitet der Autor eine realistische Marsmission heraus und überzeugt ohne belehrend zu erscheinen durch verschiedene zusätzliche Erklärungen. Pohls sachlicher, manchmal ein wenig zu distanzierter Erzählstil hemmen den Erzählfluss. Hinzu kommt irritierend, dass der Autor nicht immer konsequent die Erzählperspektive wechselt. Von der dritten teilweise in die erste Person springen ist grundsätzlich kein Problem und ein guter Autor sollte das auch relativ leicht hinbekommen, aber Pohl nutzt diese Werkzeuge eher ambivalent und nicht konsequent genug. Es wäre ausreichend gewesen, während des Epilogs die Perspektive zu wechseln und damit seine kritische Botschaft besser zu untermauern.
Zu den Meisterwerken zählt das Buch aber wahrscheinlich vor allem wegen des organischen Horrors, der Urängste, in etwas Unkontrollierbares verwandelt zu werden. Hier nimmt Pohl die Arbeiten eines David Cronenberg vorweg, ohne bis auf zwei kleine Szenen den Monster-der-Woche Science Fiction Filmen der fünfziger und sechziger Jahre nachzueifern.
- Format: Kindle Ausgabe
- Dateigröße: 943 KB
- Seitenzahl der Print-Ausgabe: 257 Seiten
- Verlag: Heyne Verlag (28. Mai 2015)
- Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
- Sprache: Deutsch
- ASIN: B00WC7V8QY