Forever 60

Neil Clarke (Hrsg)

Herausgeber Neil Clarke muss sich auf eine Operation an seinem Herzschrittmacher vorbereiten. Daher könnte man Verständnis haben, wenn das kleine Schwestermagazin von „Clarkesworld“ im Januar ein Schattendasein führt. Das ist aber nicht der Fall. Vor allem die kürzeren Texte hallen länger nach.

Die beiden Kurzgeschichten überzeugen aus unterschiedlichen Gründen und bilden inhaltlich doch irgendwie auch eine Art Kontext. Rich Larsons „Innumerable Glimmering Lights“ ist eher ein Gedankenanstoß, der erste Impuls, um über die einzelnen Zwischentöne nachzudenken.

Auf einer fremden Welt leben ein Volk unter einem dicken Panzer von Eis, der die ganze Welt umspannt. Trotzdem  haben die auf den ersten Blick fremdartigen und doch menschlich agierenden Kreaturen eine technisch wissenschaftliche Zivilisation entwickelt, welche sich nur bedingt von der menschlichen unterscheidet. Der Forscher Four Warm Currents versucht im wahrsten Sinne des Wortes eine wissenschaftliche Sensation durchzusetzen. Er möchte den Eispanzer durchbrechen, um zu sehen, was dort draußen ist.

Natürlich findet er Unterstützer und Widersacher. Während die Politiker das Projekt unterstützen, rebellieren vor allem impliziert religiöse Gruppen, welche das Ende ihrer bekannten Welt fürchten.

Ganz bewusst orientiert sich Rich Larson an der menschlichen Gegenwart. Zu Beginn werden die einzelnen Argumente noch sachlich bestimmt ausgetauscht. Kurz vor dem Durchbruch wächst der gewalttätige Widerstand. Die Kurzgeschichte ermöglicht allerdings nur einen kurzen, vielleicht zu kurzen Blick auf die Hintergründe. Hier wäre das Format der Novelle angemessener, um die Kultur noch besser kennenzulernen.

Am Ende muss Four Warm Currents sich auch gegen die anfänglichen Unterstützer des Projekts stellen und eine eigene Entscheidung treffen. Interessant wird diese Dickköpfigkeit vor dem Hintergrund einer wirklich exotischen Familienstruktur mit weiter gestellten Familienstrukturen. Die Zeichnung der Protagonisten ist selbst für den wenigen Raum innerhalb einer Kurzgeschichte überzeugend. Noch überzeugender als die schwierige Mission.

Rich Larson packt ausgesprochen viele Informationen in seine Kurzgeschichte und Four Warm Currents Wille, sein Traumprojekt zu finalisieren und sich gegen die eigenen Leute zu stellen, ist gut beschrieben worden. Es ist eine gute Mischung aus individuellem Willen und technischen Möglichkeiten. Sie rundet eine zurecht in die „Year´s Best“ Anthologie aufgenommene Kurzgeschichte ab. 

Eine interessante Geschichte ist auch „Some of them closer“ von Marissa Lingen. Die Protagonistin hat im All auf einem zu kolonisierenden Planeten für das Terraformingteam gearbeitet. Während für sie nur wenige Jahre draußen im All vergangen sind, hat sich die Erde um fast einhundert Jahre weiterentwickelt. Alle Verwandten sind verstorben. Die Eingewöhnung in eine neue Kultur fällt den Rückkehrern schwer. Sie fühlen sich isoliert. Einige bringen sich um, andere wollen wir zurück zu den Sternen.

Die Protagonistin versucht sich in dieser Welt zurechtzufinden und landet schließlich bei einem weiteren ehemaligen Terraformer, der vor ihr zur Erde zurück gekommen ist. Die Protagonisten sind gut gezeichnet worden. Der melancholische, aber nicht nihilistische Stil zu Beginn gibt dem Leser die Möglichkeit, die Faszination der Welten da draußen, aber auch die Wehmut sowie den Schwebezustand der im Grunde Arbeiter im All besser zu beurteilen. Das Ende ist interessant, optimistisch und zeigt, dass es immer einen anderen Weg gibt.

Marissa Lingen nimmt sich in ihrer emotionalen Geschichte originell einem aus dem Genre altbekannten Thema überzeugend und vor allem auch dem Format entsprechend an und entwickelt es auf eine menschliche Art und Weise nachhaltig überzeugend weiter. Im Grunde bildet sie mit Rich Larson eine Art Duologie, in welcher es um den menschlichen bzw. generell Willen geht, etwas zu bewegen, auch wenn es große persönliche Opfer bedeutet.

David Gerrolds "The Further Adventures of Mr. Costello" basiert auf Theodore Sturgeons "Mr. Costello, Hero" und ist eine nur an der Person angelegte Fortsetzung. Sie erschien das erste Mal in der Autorenausgabe zu David Gerrold des „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ im Herbst 2016. Auch wenn nur der Protagonist übernommen worden ist, wäre es zumindest für „Forever“ die beste Gelegenheit, Theodore Sturgeons Kurzgeschichte ebenfalls nachzudrucken.

David Gerrolds Fortsetzung ist bis auf das pragmatische Ende im Grunde eine typische „Twilight Zone“ Story. Auf einem fernen Planeten leben Händler und Farmer im Einklang zusammen. Auffällig ist nur die moderne, offene Familienstruktur. Mittels Verträgen kann eine unbegrenzte Zahl von Männern und Frauen heiraten, in Kommunen zusammenleben und viel Sex miteinander haben. Rich Larson hat derartige andere Familienverbünde in seiner Kurzgeschichte sehr viel besser beschrieben. Schade ist, dass David Gerrold nicht an einige seiner eigenen in dieser Hinsicht positiv provozierenden Storys heranreicht, in denen er die verkrustete vor allem amerikanische Moral aufgebrochen hat.

Mr. Costello taucht auf dem Planeten auf und will den Handel mit den an Schafe erinnernden Tieren regulieren. Er beginnt eine Weidewirtschaft einzuführen, ohne dabei an die Unarten der Tiere zu denken. Er will ein modernes Transportnetz bauen lassen und schließlich sogar Corporate Amerika einführen.  In dieser Hinsicht überzeugt die Novelle sehr viel mehr als beim kulturellen Hintergrund. David Gerrold hat sichtlich Spaß, das Streben nach Geld seiner amerikanischen Mitbewohner satirisch zu hinterfragen und natürlich ist es den Ureinwohnern irgendwann zu viel.

Es ist eine teilweise bitterböse Satire auf den reinen Kapitalismus, dem David Gerrold als Schwäche dieser sich vielleicht zu langsam entwickelnden Story eine Art kommunistischen Grundgedanken gegenüber stellt. Mister Costello kommt auch als Titelheld zu kurz und wird alleine durch Reaktionen auf sein Handeln definiert. In einem direkten Vergleich mit Gerrolds letzten Kurzgeschichten ist „The Further Adventures of Mr. Costello“ leider nur eine durchschnittliche Arbeit.

Während sonst die Novellen den stärksten Eindruck hinterlassen, überzeugen dieses Mal die Kurzgeschichten mehr. Auch wenn sich Neil Clarke weiterhin gerne bei den „Year´s Best“ Anthologien der letzten Jahre bedient und somit immer wieder die Chance auslässt, unbekanntere Perlen für das 21. Jahrhundert zu heben. 

Forever Magazine Issue 60 cover - click to view full size

E Book, 112 Seiten

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