Simon Borner und Logan Dee bauen auch im vorliegenden Band „Das Phantom von Notre Damme“ das „Coco Zamis“ Universum konsequent um. Es bleibt aber weiter die Frage, wann und wie die Abenteuer einer jungen Hexe sich später wieder in das „Dorian Hunter“ Milieu einfügen oder ob die Serie inzwischen zu einer autarken Parallelweltarbeit geworden ist.
Die Haupthandlungsstrenge werden dabei ambivalent betrachtet. Das Verschwinden von Skarabäus Toth ist bislang eher nebensächlich. Auch markante Gegenspieler der Zamis wie Asmodis sind manchmal über mehrere Taschenbücher nicht erwähnt worden, um dann machtvoll und trotzdem ein wenig naiv wiederzukehren.
Sehr viel relevanter ist der Konflikt zwischen Michael Zamis und Asmodi, der schon in letzten Büchern nicht mehr so hoch kochte, wie es die Ausgangsprämisse eigentlich verdient hätte. Inzwischen haben die beiden Alphatiere ihren Kampf weitgehend und irgendwie auch enttäuschend beiläufig natürlich nur vorläufig begraben.
Aus dem Windschatten ihres Mannes ist Thekla Zamis getreten. Sie setzt im Öffentlichkeit Hörner auf. Thekla Zamis ist eines der Gestalten, die sich vor allem in den letzten Romanen konsequenter positioniert hat. Der Leser hat mehr über ihren Hintergrund und vor allem auch ihre ein wenig arrangierte Ehe mit Michael Zamis erfahren. Klarer wird auch, warum sie das weiße Schaf der Familie Coco Zamis als ein besonderes Kind empfunden und Coco Zamis Opposition als positive Störung empfunden hat.
Im Mittelpunkt der Abenteuer steht aber weite die böse Coco Zamis, die unter dem Einfluss der Neiddämonin Invidia ist. Ein Teil der Geschichte spielt am Gardasee, wo Coco Zamis eigentlich Urlaub machen möchte. Sie verliebt sich dort in einen jungen Werwolf. Invidia ist auch an den idyllisch gelegenen See gereist und macht sich an dessen Vater heran.
Auch wenn die am Gardasee spielende von Logan Dee geschriebene Handlung immer am Rande des Klischees entlang schabt, hat der Autor auch einige gute Ideen in seinem Köcher. Das Luxusressort wird von Dämonen betrieben, die sich auf ein besonders reiches, aber auch dekadentes Publikum konzentriert haben. Invidia als angeblich Coco Zamis Zwillingsschwester erscheint aufgesetzt. Die dekadente Atmosphäre in Kombination mit einigen Verwechselungen wird routiniert erzählt, der Funke will aber nicht wirklich überspringen.
Auch die Liebesgeschichte wirkt ein wenig aufgesetzt. Logan Dee hat ja eine doppelte Schwierigkeit. In der Vergangenheit endeten Coco Zamis Beziehungen für die Geliebten immer tödlich tragisch. Die Narben hat die echte Coco Zamis immer mit sich getragen. Jetzt haben die Autoren eine neue Seite der Figur erschaffen und müssen auf diesem Fundament weiter bauen. Die Emotionen, die Menschlichkeit im starken Kontrast zu ihren komplett dämonisch bösen Umwelt haben Coco Zamis vor allem in den ersten Büchern zu einer so faszinierend zugänglichen Protagonisten gemacht, an welche die teilweise klischeehaft böse Coco Zamis nicht heranreichen kann. Kritisch gesprochen fehlt der Serie momentan das positive Element. Nur böse ist genauso langweilig wie eindimensional, als wenn man nur herzensgute Menschen ihre langweiligen Leben erzählen lässt.
Die zweite wichtige Handlungsebene wird von Simon Borner deutlich souveräner und atmosphärisch auch intensiver erzählt. Cocos Bruder Georg ist mit seiner großen Liebe Juna sowie dem Zwerg Friczko aktiv in die Vergangenheit geflüchtet. Die Ausgangsprämisse befremdet ein wenig, denn ein aktives Reisen durch die Zeit fand in der Serie bislang nicht statt und könnte vor allem die Autoren in die Versuchung führen, bisherige Handlungsebenen zu überschreiben.
Die gut geschriebenen „Ausflüge“ in die Vergangenheit wie die Geschichte vor allem Michael Zamis fanden immer in Form von erzählerischen Rückblenden statt. Akzeptiert der Leser diese Ausgangsbasis, dann entwickelt Simon Borner im Paris des Jahres 1888 aber einen packenden Plot. Georg schließt sich im Künstlerviertel Montmatre, das ausführlich und effektiv genutzt wird, einer Dämonin an, die ihm für die ultimative sexuelle Erfüllung Lebenskraft stiehlt. Nicht unbedingt eine neue Idee, aber Simon Borner schafft es zumindest, einige dramaturgisch überzeugende erotische Szenen zu beschreiben.
Juna dagegen wird in eine Puppe verwandelt und dient als Lockvogel für den Monsignore Tatkammer, der im Notre Damme unheimliche wie verführerische Predigten hält, um die Massen zu verführen.
Alleine der Zwerg Friczko versucht aus der Pariser Unterwelt heraus seinen Freunden zu helfen.
Simon Borner muss im Grunde drei Handlungsstränge miteinander verbinden, ohne das vor allem für Friczko die Aufgabe zu schwierig wird. Positiv ist, dass der Autor den Handlungsbogen nicht mit einem konstruierten Happy End beendet. Zwar agiert er am Ende seines Teilromans konsequent und bietet eine nachvollziehbare Lösung an, er macht es aber seinen von Beginn an getrennten Figuren nicht leicht. Natürlich ließe sich argumentieren, dass Georg Zamis von einer bemerkenswerten Naivität ist, wenn er als Mitglied einer der Dämonenfamilie so leicht in eine erotische Falle gerät. Aber wie einige andere Wendungen dieser Serie ist es notwendig, die Zamis als mächtig, aber auch nicht allmächtig darzustellen und je nach Bedarf auf ihre schwächen individuell aufmerksam zu machen.
Das Paris des 19. Jahrhundert reizt die Leser mehr. Wie Michael Marcus Thurner in seinen Wiener Geschichten verbindet Simon Borner in einer lesenswerten und angenehmen Mischung aus Unterhaltung und Information die übernatürliche Handlung mit der schillernden Vergangenheit.
Der Aufbau einer zweiten Handlungsebene mit Georg im Mittelpunkt und einem sowohl örtlich wie auch zeitlich isolierten Raum hilft der ganzen Serie. Vor allem die letzten Romane versuchten auf der Ausgangsidee einer bösen Coco Zamis zu viel zu machen und haben die anderen Protagonisten ignoriert. Die Balance aus Cocos Urlaub in Norditalien und einem der historisch faszinierenden Orte wie Paris ist stimmig, auch wenn Simon Borner gegen Logan Dee vor allem auch hinsichtlich der Originalität der Grausamkeiten und der erotischen Stimmungen als Punktsieger aus dem Roman hervorgeht.
Generell zieht das Tempo der Serie wieder an und auch wenn wie eingangs angesprochen einzelne Konflikte zu schnell gelegt worden sind, bietet vor allem die Georg Zamis Ebene originelle und für die Serie auch innovativ frisch Unterhaltung, während der Leser bei Coco Zamis im Grunde nur abwarten muss, bis die Neiddämonin irgendwann den Bogen überspannt und sich die junge Hexe entweder aktiv oder passiv aus dem Bann wieder befreien kann.
Alleine die Simon Borner Handlung um das „Phantom von Notre Damme“ ist die Lektüre des immerhin schon 59. Abenteuer der jungen Hexe wert, während Logan Dee in einer wirklich undankbaren ersten Hälfte nur solide kurzweilig unterhält.