Mit „Der grüne Planet“ ist das Tripple perfekt. Sein den siebziger Jahren unter der Federführung Rene Moreaus hat „Exodus“ eine immer anspruchsvollere und technisch perfektere Mischung aus Kurzgeschichten sowie Lyrik und graphischer Begleitung dargeboten. Immer wieder haben sich auch einzelne Themenausgaben herauskristallisiert. Im Jahre 2019 wurde das „Exodus“ Magazin um eine Comicanthologie ergänzt. Hier übernahm das Bild das Kommando und die Schrift/ Sprache diente nur als Begleitung.
Die Idee der Themenanthologien hat die Redaktion nicht losgelassen. Zusammen mit Hans Jürgen Kugler aus dem „Hirnkost“ Verlag liegt das quasi dritte Moreau Produkt vor. Den Autoren wird ein grobes Thema vorgegeben, mit dem sie erstaunlich frei arbeiten können.
Für die deutschsprachige Science Fiction hat Thomas leBlanc in den achtziger Jahren mit seinen im Goldmann Verlag publizierten „Sternenanthologien“ das Feld aufgebrochen. Im 21. Jahrhundert folgten unter seiner Ägide die Miniaturen der phantastischen Bibliothek Wetzlar.
Hans Jürgen Kugler und Rene Moreau wollen das Konzept nicht nur in enger Kombination mit entsprechenden Zeichnungen und Bildern fortführen, sondern dem Zeitgeist anpassen. Nicht umsonst ist der Untertitel des ersten Bandes „Zukunft im Klimawandel“. Für den zweiten Band suchen die Herausgeber Geschichten zum Thema Pandemie. Aktueller, sozialkritischer und vor allem auch überdenkenswerter geht es kaum.
Ein kleiner Beitrag aus den Erlösen dieser Anthologie wird auch der „Scientists4future“ Organisation gespendet.
Die Herausgeber haben die insgesamt dreiundzwanzig Kurzgeschichten vier großen Themenfeldern zugeordnet. Jedes dieser Felder wird nicht mit einer doppelseitigen farbigen Graphik eingeleitet, die Kurzgeschichten werden thematisch aufgelistet, wobei in einigen Fällen die sorgfältig herausgearbeitete Pointe für den aufmerksamen Leser schon zu früh erkennbar ist.
Der erste Abschnitt „Apocalypse Now“ ist vielleicht nicht richtig betitelt. Die große Katastrophe findet nicht in dem Moment statt, vielmehr verfolgt der Leser die verschiedenen Auswirkungen.
Kai Focke eröffnet mit „Clouds across the Moon“ die Anthologie. Der Mond ist besiedelt, die Erde taumelt der ökologischen Katastrophe entgegen, nachdem man knapp achtzig Jahre vorher versucht hatte, die abtrünnige Kolonie auf dem Mond atomar zu vernichten. Jetzt müssen sich die Politiker auf dem Mond mit einer auch in der Gegenwart brandaktuellen Frage auseinandersetzen. Natürlich hat Kai Focke den minimalen Vorteil, die pragmatisch logisch unterkühlte Entscheidung aus dem Blickwinkel der schmalen Mondresourcen besser oder brutaler darstellen zu können. Einer politischen Wertung enthält sich der Autor, aber der Text ist mit seiner Bandbreite von auf der einen Seite wenigen Tagen, aber mehr als einhundert Jahren menschlicher Geschichte eine sehr gute Eröffnung dieser Anthologie.
Christian Endres fügt mit seiner melancholischen Story „Der Klang des sich lichtenden Nebels“ ein zutiefst menschliches Elemente hinzu. Egal, wie sinnlos der Weg erscheint, wie groß die Hindernisse auch sind, manche Menschen bewegen ganze Welten, um für sich einen Moment einen inneren Frieden zu finden. Dem Autoren gelingt es, den Leser scheinbar mit Klischees anfänglich zu packen und den Plot emotional ansprechend, aber nicht kitschig auslaufen zu lassen.
Uwe Hermann und Erik Simon haben in ihren Texten die Schwierigkeit, nicht unbedingt neue Ideen sprachlich entweder zu verkleiden – Erik Simon – oder mit einer bitteren Pointe – Uwe Hermann – zu variieren. „Die Tage nach dem Lärm“ von Uwe Hermann beginnt als eine dieser fast klischeehaften Geschichten mit den stoischen Robotern, die ihre sinnfreien Dienste weiter ausführen, auch wenn es keine Menschen oder wie in diesem Fall nicht mal mehr einen Garten gibt. Gegen Ende dreht der Autor den Handlungsbogen auf den Kopf und liefert die bittere Pointe, wobei der Autor zumindest impliziert, dass mindestens einer der Roboter nicht in der Lage ist, aus „Fehlern“ zu lernen.
„Vom Dramp“ Erik Simons ist einer dieser Storys, in denen Erfahrungen verbal an die nächste Generation weitergereicht werden. Die allerdings nicht schwierige Herausforderung besteht dahin, in dieser postapokalyptischen Welt die entsprechenden verfremdeten Begriffe den bekannten Realitäten gegenüberzustellen. Erik Simons Texte sind immer sehr kompakt, manchmal zu Lasten der Handlung fast zu komprimiert und dadurch wirken die Storys auch eher statisch als natürlich entwickelt.
Monika Niehaus „Wenn der Großvater erzählt“ ist eine solide Mischung aus Uwe Hermanns und Erik Simons Text, wobei ihre Grundausrichtung sehr viel optimistischer ist. Einige pathetische Ansätze übertüncht die Autorin mit einer Hommage an Clifford D. Simak, der in den fünfziger und sechziger Jahren eben diese Mischung aus verzweifelten verträumten Optimismus der Menschen der dunklen Realität immer wieder in unterschiedlichen Variationen zum Ausdruck gebracht hat.
„Mietnomaden“ von Heidrun Jänchen ist ebenfalls eine starke Geschichte. Wenn onikae Niehaus eine Klammer zwischen Uwe Herrmann und Erik Simon gebildet hat, umfasst ihre Geschichte beginnend mit „Clouds across the Moon“ – die Idee der Auswanderung ins All – bis schließlich Monika Niehaus verklärten Erinnerungen an die verpassten Chancen das ganze Kapitel. Die Menschheit entschließt sich, einen erdähnlichen Planeten zu kolonisieren, nachdem man systematisch und effektiv die Rohstoffe geplündert hat. Wendepunkt ist eine Begegnung im All. Wer aufmerksam zwischen den Zeilen liest, ahnt den weiteren Plotverlauf, aber Heidrun Jänchen präsentiert die bitterböse und doch nicht gänzlich fatalistische Pointe konsequent und durchdacht.
Der zweite Abschnitt ist falsch selbstironisch „Crisis? What Crisis?“ betitelt. Rainer Schorm eröffnet den Reigen von insgesamt sieben Storys mit “Carbonzid”. Kai Fockes Text in umgekehrter Reihenfolge. Der Mars schickt eine Expedition zur Erde, um eine mögliche Rückkehr zum Mutterplaneten auszuloten. Vor zweihundert Jahren hat eine Gruppe die aus ihrer Sicht ökologisch verlorene Erde verlassen und Milliarden von Menschen im Stich gelassen. Schorms Text ist eine Provokation der Umweltlobby, in dem er sachlich ohne zu belehren einzelne Thesen auf den Kopf stellt und ihren Wahrheitsgehalt über die opportunistische Hysterie hinaus untersucht. Dabei vermeidet der Autor Klischees und führt seinen Plot zu einem konsequenten wie pragmatisch effektiven Ende.
Tino Falkes „Millennial Mammut Crash Derby 3000“ scheint sich aus unterschiedlichen bekannten Komponenten zusammensetzen. Aus der Ich- Perspektive erzählt und damit einen Teil der Pointe auch einschränkend ist es die Geschichte der letzten Rennfahrerin, die in einer durchgeplanten Verkehrswelt für Anarchie und Chaos sorgt. Tino Falke geht nicht so weit wie in „The Last Chase“ mit Lee Majors, aber trotz des ansprechenden Erzählstils kann der Plot nicht gänzlich zufrieden stellen.
Es sind vor allem die kurzen fast an Miniaturen erinnernden Texte, welche ihr ganzes Potential nicht ausschöpfen. Karlheinz Schiedels „Die große Vernunft“ kann dem Thema der ausgestorbenen Menschheit inklusiv eines entsprechenden Begleiters/ Helfers/ Kommentators keine neuen Impulse geben, auch wenn er sich auf eine sehr kompakt komprimierte Beschreibung eines komplexen Vorgangs konzentriert. Der Funke springt nicht über, auch wenn der ironische Epilog für einige inhaltliche Vertrautheiten entschädigt.
Auch Ursula Isbels „Land unter“ wirkt eher wie ein verträumtes politisches Manifest mit dem norddeutschen Landen, die durch die globale Erwärmung unter Wasser stehen und der Rückkehr eines verlorenen Politikersohns. Die Autorin impliziert, dass es sich eher um den Wunschtraum der Protagonistin handeln könnte.
Die besten Beiträge liefern auf sehr unterschiedliche Art und Weise Karla und Jörg Weigand sowie Werner Zillig. Karla Weigand präsentiert mit „Protest!“ einen sehr eigenwilligen Leserbrief einer christlichen Fundamentalisten, welche Gottes Wort allen Entwicklungen entgegenhält und auf die Erlösung hofft. Ganz bewusst überspitzt satirisch angelegt unterstreicht der Text manches Verständnisproblem der dogmatischen Leser, während Jörg Weigand mit „Frühnachrichten“ einen bunten Reigen von immer unmöglicher erscheinenden Nachrichten vor den Lesern abspult. Am Ende ist nur Dunkelheit, wobei der Autor sich mit dieser Auflösung des Plots auch einer inhaltlichen Verantwortung entzieht.
Werner Zilligs Science Fiction funktioniert vor allem durch seine alternativen Gesellschaftsorganisationen. In „Apoikiai oder Wie die Rettung der Welt begonnen hat“ zeigt er aus der Perspektive eines parlamentarischen Redenschreibers die Veränderung der sozialen Ordnung durch eine Umstellung und Perfektionierung eines im Kern isolierten Gesellschaftssystems basierend auf den Schriften einer Deutschafrikanerin, die auch einige Jahre mit einem Japaner verheiratet gewesen ist. Die Ansätze werden im letzten Drittel der Geschichte wie Wunder aus dem Hut gezogen, ohne das der Leser ihre wirkliche Entwicklung nachvollziehen kann. Werner Zillig überspannt vielleicht ein wenig zu sehr den Bogen, aber der Weg dahin ist gut geschrieben und die ungewöhnliche Perspektive erweitert das Spektrum sogar.
Im dritten Abschnitt „Heiße Zeiten“ wird aufgezeigt, dass die Klimaveränderung zynisch überspitzt auch etwas Gutes haben kann. Ute Wehrles „Weihnachtszauber“ mit einer perfekten Winterlandschaft und den Erinnerungen an die goldene alte Zeit leitet den Block stimmungsvoll, aber auch vorhersehbar ein.
Marianne Labisch „Der Traum“ passt gut zu „Weihnachtszauber“. Ein alter Mann zeigt seiner Enkelin, was Schnee ist und welche Freude man mit ihm haben kann. Dabei beugt er wissentlich eine Reihe von Gesetzen. Beiden Texten ist gemeinsam, dass sie eine Rückbesinnung auf die einfachen Freuden propagieren und zeigen, was die Gegenwart noch zu bieten hat.
Friedhelm Schneidewind präsentiert mit „Die Eisbergpiratin“ wahrscheinlich die am meisten exzentrische Geschichte, die tief verankert nicht nur im Genre – siehe Gerd Prokop -, sondern der Literatur eine kompakte Geschichte einer perfiden Rache erzählt. Nebenbei geht es um Eisberge, welche die südlichen Nationen mit immer perfekter werdender Technik einfangen und zur Versorgung der eigenen Bevölkerung nutzen. Natürlich gibt es auch Piraten, welche die Eisberge kapern wollen. Hier kommt mit Gerd Prokop ein unterschätzter Science Fiction Autor ins Spiel, aber nicht jeder Pirat ist nur auf existentielle Beute aus. Gut geschrieben in einem plakativen Stil mit den angesprochenen zahllosen Anspielungen.
Frank Neugebauer beendet diesen Abschnitt der Anthologie mit einem der längsten Texte der Sammlung. „Hitzekoller 3000- Im Banne der weißen Sirene“ spielt in einer fernen, unwirklichen Zukunft. Eine verzweifelte Expedition und eine Überlebenskünstlerin streben aufeinander zu. Stilistisch zurückhaltender als manche andere seiner Geschichten konzentriert sich der Autor nicht nur auf den minutiös, fast ergreifend gestalteten Hintergrund mit zahlreichen sprachlichen Bildern – eine Wettermaschine wird Teil eines Berges und damit zur Ewigkeit -, sondern präsentiert eine packende Handlung, deren Pointe nicht nur zufrieden stellend, sondern auch geschickt ausgearbeitet worden ist.
„Mad World“ mit insgesamt sechs Geschichten beendet die Anthologie. Hans Jürgen Kuglers „Das vegetarische Manifest“ erinnert über weite Strecken der Geschichte an die Polemik, welche viele Diskussionen hinsichtlich der Erderwärmung, der Ökologie und schließlich des menschlichen Raubbaus bestimmen. Erst quasi am Ende des Manifests dreht der Autor die Perspektive und offenbart den möglichen Verfassern. Die Idee ist dann nicht weiter extrapoliert worden, aber es ist ein interessanter Ansatz, der manchen Vegetarier oder Veganer verstören wird.
Olaf Kemmlers „Das Ende der Party“ nimmt indirekt und impliziert Bezug auf Filme wie „The twelve Monkeys“. Die Menschheit ist im Vermehrungswahn, mehr als sechzig Milliarden Menschen leben auf dem Planeten. Als eine Gruppe von Wissenschaftlern bei der Abholzung der Regenwälder einer Art Waldgeist begegnen, der eine düstere Prophezeiung vom Ende der Menschheit ausspricht, werden wahrscheinlich im Hintergrund Räder in Bewegung gesetzt, welche nicht für möglich gehalten worden sind. Im Grunde wird der nihilistische Grundton der Geschichte und vor allem die Ambivalenz der Bedrohung – handelt es sich um eine reale Beschwörung oder wurde von dritter Seite nachgeholfen ? – durch den flotten Anything Goes Stil ausgeglichen. Es ist nur eine Frage der Einstellung, wie Mann/Mensch die große Bühne verlässt.
„Die Nähe der Krähe“ von Wolf Welling ist eine der Geschichten, in denen möglicherweise auch Mythen Einfluss auf die Zukunft des Protagonisten nehmen. Der Epilog impliziert eine Möglichkeit, sich aus der Postdoomsday Atmosphäre einer zusammengebrochenen Zivilisation mit einem fast alltäglichen Überlebenskampf zu befreien. Der Autor deutet interessante Wege an, die eigene Geschichten verdient hätten. Der Hinweis im Epilog ist nicht ausreichend. Zu Beginn sehr dunkel kommt diese inhaltliche Drehung nicht nur für den Protagonisten, sondern auch die Leser buchstäblich aus dem Nichts heraus. #
Uli Bendick hat alle Geschichten dieser Anthologie mit seinen farbigen Bildern bereichert. „Das letzte Buch“ ist sein literarischer Beitrag zu der Anthologie. Auf zwei Ebenen beschreibt er die Suche nach Büchern in einer Frankfurter Bibliothek, während auf dem zweiten Handlungsbogen quasi der erzähltechnische Faden aufgenommen und die Bestrebungen der Superreichen beschrieben werden, die Erde endgültig hinter sich zu lassen. Am Ende führt der Autor diese beiden Spannungsbögen nur indirekt zusammen. Sehr viele Fragen bleiben offen. Die Schwierigkeit dieser Geschichte ist vor allem in der Tatsache begründet, dass Uli Bendick wie einige anderen Autoren auf den Bereich der Mythen, der erzählten Geschichte zurückgreift, aber im Gegensatz zu ihnen diese „Phantastereien“ auch aktiv im Plot vertreten hat. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, die Kurzgeschichte um einzelne Elemente zu erweitern und als Novelle zu publizieren.
Rico Gehrkes „Berichte einer Nacht auf einem anderen Planeten“ ist lange Zeit die intensive und atmosphärisch stimmige Beschreibung zweier Frauen zu einem abseits im Dschungel gelegenen Stamm. Plötzlich bricht der Handlungsfaden ab und der Autor führt eine zweite Idee ein. Um beide Handlungsbögen abzuschließen, agiert der Autor ein wenig zu bemüht, zu stark konstruiert. Negativ fällt weiterhin auf, dass die Zeichnung der Protagonisten an einigen relevanten Stellen eher opportunistisch ist und deswegen das tragische Element wegfällt. Ein weiterer Knackpunkt ist die finale Wendung, nachdem Rico Gehrke mehrmals diese Sehnsucht eher als Sucht bezeichnet hat.
„Quallengeflüster“ von Anne Grießer ist die letzte Geschichte der Anthologie. Mit einem Augenzwinkern aus der ungläubigen Perspektive der Quallen wird nicht nur einmal, sondern zweimal Evolution und Zusammenbruch dekliniert. Die Dialoge sind humorvoll geschrieben und lassen den Leser trotz des ernsten Hintergrunds schmunzeln.
„Der grüne Planet“ ist nicht zuletzt dank der hohen durchschnittlichen Qualität der Kurzgeschichten in Kombination mit dem wichtigen, teilweise erdrückenden Inhalt sowie den guten Graphiken Uli Bendicks eine sehr gelungene Anthologie, ein perfekter Auftakt für weitere Bände. Auch wenn Uli Bendicks Arbeiten von einer überzeugenden Qualität sind, wiederholt sich sein Stil ein wenig zu oft. Die Stärke des „Exodus“ Magazins ist es immer wieder gewesen, unterschiedliche Graphiker mit den Autoren zu kombinieren. Vielleicht wäre es sinnvoll, bei der nächsten Anthologie vielleicht nicht jeder Geschichte einen eigenen Zeichner, aber zumindest jedem Abschnitt einen Graphiker zuzuordnen, um auch optisch für mehr Abwechselung zu sorgen. Das ist aber ein kleiner Kritikpunkt einer überzeugenden Anthologie mit vielen bekannten Namen und einigen provokanten neueren Autoren.
Hirnkost Verlag
ISBN print 978-3-948675-15-8