Die neun Unbekannten

Clark Darlton

2019 hat Robert Ernsting den  von seinem Vater im Jahre 1981 geschriebenen, fünf Jahre später im Rahmen der Clark Darlton Werksausgabe verfassten Roman „Die neun Unbekannten“ überarbeitet noch einmal für den E Book Markt veröffentlich. Grundlage der Besprechung ist aber die Fassung von letzter Hand. Lange Zeit galt der Roman als eine Art Fortsetzung zu „Der Tag, an dem die Götter starben“. Ein genauer Vergleich der beiden Bücher legt aber nahe, dass es sich um eine Variation einzelner Themen aus dem Präastronautik Werk handelt, die Walter Ernsting behutsam und mit einem stetig spürbaren grünen Daumen in einen gänzlich neuen Plot übertragen hat.

Beide Romane zeichnet ein übergeordneter Ich- Erzähler aus. Während Walter Ernsting allerdings in „Der Tag, an dem die Götter starben“ auf andere Quellen wie einen Bericht von Erich von Däniken oder die Aufzeichnungen des in der Vergangenheit lebenden Professor Holmes zurückgreift, um dem Plot mehr fiktive Authentizität zu schenken, handelt es sich bei „Die neun Unbekannten“ um einen gänzlich auf Augenhöhe und ausschließlich aus der Perspektive des namenlosen Ich-  Erzählers agierenden Protagonisten, der allerdings am Ende des Buches impliziert, aus der Geschichte einen Bericht gemacht zu haben, den er bei seinem Freund als eine Art Mahnung an die Welt hinterlegt hat.  In „Die Tag, an dem die Götter starben“ lag der Fokus ja auf der Umsetzung tatsächlich recherchierter Fakten in eine erzählerische Romanform.

Der Ich- Erzähler ist dieses Mal nicht Walter Ernsting.  Wahrscheinlich verbürgt sich hinter dem Walter aus Salzburg der berühmte Perry Rhodan Autor. Der Ulf ist als Ulf Miehe zu erkennen, beim Axel aus Wien handelt es sich wegen des Hinweises auf dessen Jazzkeller um Axel Mehlhardt. Der Ich- Erzähler befasst sich als Autor sekundärwissenschaftlicher Artikel mit seltenen Phänomenen. So scheint in einzelnen Bergen die Zeit viel schneller zu vergehen als in deren Umfeld, wie mehrere verschwundene Menschen bestätigt haben.  Bei seinen Recherchen wird er von einem seltsam distanzierten, aber nicht unsympathischen Mann angesprochen, der sich selbst Nummer eins nennt. Der Erzähler soll ein Jahr über die Begegnung mit dem Mann und dessen Gesprächsthemen hinsichtlich einer im Hintergrund agierenden Macht schweigen, bevor er quasi aufgeklärt wird. Das fehlt dem Mann sichtlich schwer. Eine Warnung ignoriert er, in dem er unter anderem nach Lateinamerika zu einem Berg reist, dem ihm ein Medium in Tranche beschrieben hat. Dieses Medium ist angeblich immer wiedergeboren worden und kann sich unter Hypnose auch an die Leben vor vielen tausenden von Jahren erinnern. Dabei deutet sie an, dass es früher eine Hochzivilisation, quasi Götter geben haben muss, denen sie diente.

Die Idee hat Walter Ernsting auch in „Der Tag, an dem die Götter starben“ angerissen. In beiden Büchern gab es eine Art atomaren Weltenbrand, der die damals schon versteckten Hinweise auf eine frühere Hochkultur vernichtete. Allerdings handelt es sich in dem ersten Buch um die Landung von Außerirdischen, die sich vor vielen tausenden von Jahren quasi auf der Erde versteckten, während bei „Die neun Unbekannten“ der Autor auf eine andere Ausgangsbasis abschließend zurückgreift. Dieser Wechsel der Perspektive wäre auf der einen Seite angesichts der fortlaufenden Argumentationen zwischen den neun Unbekannten und einem faszinierenden Oppositionellen nachvollziehbar, auf der anderen Seite scheint sich Walter Ernsting erst nach gut einem Drittel der Handlung zu der Abweichung von „Der Tag, an dem die Götter starben“ entschlossen zu haben.

Zwei Expeditionen bilden den Schwerpunkt der ersten Hälfte des Buches. In Amerika folgt Walter Ernsting den Gesetzen der UFO Anhänger mit versagender Technik und schließlich Bewusstlosigkeit sowie einer Art Abtransport zu einem sicheren Parkplatz. Da diese Warnung aber nicht genügt, bricht der Erzähler aufgrund der vagen Hinweise des Mediums nach Lateinamerika auf, wo er fündig wird, aber auch den möglichen Beweise kurze Zeit später wieder verliert. Dabei greift Walter Ernsting ab diesem Moment auf die finale Idee aus „Der Tag, an dem die Götter starben“ zurück, verschiebt aber den Fokus.

Im zweiten Abschnitt wird der Roman politischer. „Die neun Unbekannten“ sind die Wächter der Menschheit. Ohne zu viel zu verraten versuchen sie auf eine passive Art und Weise den Menschen eher durchs Nichtstun zu helfen und Wissen aus der Vergangenheit zu wahren. Nach fünfzig Jahren Dienstzeit wird ein Mitglied der Gruppe ausgetauscht. Es muss selbst seinen Nachfolger bestimmen. Der Ich- Erzähler wird ausgewählt.

Die Stützpunkte der Fremden liegen unter sieben Bergen, dem Bermuda- Dreieck und schließlich auch dem ewigen Eis. Hier kann sich Walter Ernsting ein Augenzwinkern nicht verkneifen und bringt die bekannten Phänomene in dem Bermudadreieck mit versagender Technik in einen engeren Zusammenhang.  In diesem Punkt erinnert vieles an das letzte Kapitel aus „Der Tag, an dem die Götter starben“. Auch da ging es um eine totale Überwachung der Menschheit durch eine Handvoll von Ausgewählten mit der Maßgabe, sie vor einem Rückfall in die Barbarei und vor allem einem alles vernichtenden Atomkrieg zu bewahren, während das ferne Ziel der Weg zu den Sternen und die Aufnahme in eine galaktische Gemeinschaft sein könnten. So weit wollen „die neun Unbekannten“ auch aufgrund ihrer ursprünglichen Herkunft nicht gehen, aber in diesen Moment ähneln sich die beiden Werke am meisten. 

Aus der Gruppe ist vor vielen Jahren ein Mitglied geflohen. Berüchtigt wurde es unter dem Namen Graf von Saint Germain. Anscheinend treibt er als Unsterblicher – die neun Unbekannten sind langlebig, aber nicht unsterblich, weil die Zeit in ihren Zentralen langsamer verläuft – unter den Menschen sein Unwesen und versucht sie technologisch voranzutreiben.

Im letzten dritten Abschnitt gewinnt der bis dahin solide interessant, aber auch ein wenig distanziert geschriebene Roman an Fahrt. Walter Ernsting spricht eine Reihe von Themen an. Dabei reicht das Spektrum von einer Verwüstung der Erde durch die sich ausbreitende rücksichtslose Industrie über den Gegenentwurf einer rein grünen Gesellschaft, die Stillstand bedeutet bis zu einem pragmatischen Mittelweg, die Menschheit einfach ihrem Schicksal zu überlassen und hilfreiches Wissen in Verstecken zu horten. Geschickt lässt Walter Ernsting durch seine vielschichtiger werdenden Protagonisten alle Seiten zu Wort kommen. Der Roman ist in den achtziger Jahren mit dem kalten Krieg, dem Wettrüsten, einer Reihe von Umweltkatastrophen und schließlich dem Aufkommen der damals noch eher gegen alles rebellierenden, aber keine Alternativen  anbietenden grünen außerparlamentarischen Opposition geschrieben worden.

Walter Ernsting zeigt ein altersweises Verständnis für die Sorgen der jungen Menschen, in dem er seinen Protagonisten in einem abgeschiedenen Paradies die fortgesetzte Zerstörung der Umwelt fatalistisch verfolgen lässt. Auf der anderen Seite hat der Autor auch Respekt vor einer fortschreitenden Verdummung der Menschen durch eine Perfektionierung der Technik. Ein Zweifel, der weder in seinen eigenen Science Fiction Romanen noch in der Perry Rhodan Serie bis auf den Einzug des Schwarms eine relevante Rolle gespielt hat. In seinen eigenen Werken hat Walter Ernsting die Technik immer effektiv von seinen pfiffigen Helden nutzen lassen. Nur die menschliche Intelligenz hat schließlich den Lösungsschlüssel entwickelt. „Die neun Unbekannten“ sehen diesen Weg eher negativ. Erstaunlich ist, dass Walter Ernsting konsequent auf die Idee eines neuen, gereiften politisch schließlich auch etablierten Anführers verzichtet, wie in Perry Rhodan dargestellt hat. Der Graf von Saint Germain versucht die Entwicklung der Menschheit voranzutreiben, in dem er den richtigen Menschen Ideen einflüstert oder viel seltener selbst unter einem Alter Ego auftritt und wie sein Antischwergerät neue Erfindungen präsentiert.

Im Gegensatz zu den neun Unbekannten wirkt Walter Ernstings Graf von Saint Germain wie eine Art viktorianischer Atlan, der seine eigenen Interessen schützen kann und auch unter möglicher Anwendung von Gewalt schützt, auf der anderen Seite aber auch als eine Art Wissensbringer den Menschen trotz ihrer eigenen Bockigkeit und Ignoranz langfristig gutes auf dem nicht expliziert angesprochenen Weg zu den Sternen tun möchte. Reine Passivität und das Verstecken von Wissen aus Angst vor Wiederholungen der Geschichte und damit der Übernahme von notwendiger Verantwortung lehnt Walter Ernsting schließlich in Form seines Alter Egos ab, auch wenn dieser fast fatalistisch erkennen muss, das er selbst nur ein ganz kleiner Mühlstein in Gottes Mühlen ist.

Im direkten Vergleich zu „Die neun Unbekannten“ ist „Der Tag, an dem die Götter starben“ durch die Nutzung von fiktiven und „realen“ Quellen, durch die autobiographischen Bezüge und vor allem die ambitionierte Handlung mit zwei klassischen Science Fiction Themen im Verbund das ambitioniertere Buch. „Die neun Unbekannten“ entspricht dem humanistischen Grundcharakter, der mit viel Optimismus den einfachen Menschen, aber nicht unbedingt den Politikern gegenüber Walter Ernsting Werk innerhalb und außerhalb der Perry Rhodan Serie über Jahrzehnte geprägt hat.

Beide Bücher sind unabhängig voneinander gute Beispiele für das altersweise, aber niemals nachhaltig belehrende, sondern eher aufklärende Spätwerk Walter Ernstings. Sie können, sollten, müssen aber nicht zusammengelesen werden.

    

Die neun Unbekannten

Pabel Moewig Verlag, 

Taschenbuch, 160 Seiten

1986 erschienen