Unter den Sternen von Tha

Heribert Kurth

Mit „Unter den Sternen von Tha“ veröffentlicht der p. machinery Verlag das Romandebüt von Heribert Kurth. Michael Haitel hat in seiner inzwischen langen Geschichte immer wieder querdenkende, ungewöhnliche deutsche Science Fiction veröffentlicht und sich dabei auch nicht gescheut, gegen den gedanklichen Mainstream zu publizieren.

 Auch „Unter den Sternen von Tha“ reiht sich in diese Reihe von provozierenden, aber auch intellektuell stimulierenden, vielleicht manchmal ein wenig zu dogmatischen Werken ein. Der Untertitel „Die Niederschriften zum Fonpo- Rätsel“ lenkt dabei eher ab, während der eigentliche Titel des Buches den Ort beschreibt, an welchem der Chronist im Grunde die Geschichte der stetig suchenden, fast verzweifelt Brüder im Geiste in den Tiefen des Alls „jagenden“ Menschen niederschreibt und gleichzeitig sich an einem einzigartigen, wunderschönen, aber teilweise zu wenig konkreten Ort der bekannten Galaxis aufhält. Ganz bewusst unterbricht der Erzähler immer wieder die Chronik der Menschheit im Grunde aus der Gegenwart bis ins utopisch perfekt erscheinende Jahr 50.000, um die örtlichen Schönheiten genauso in den Himmel zu loben wie die einzigartig seiner besonderen Situation, an einem derartigen Ort arbeiten und verweilen zu dürfen, in den Himmel hebt.

 Wie bei einem Zwiebel werden einzelne Schalen erst gegen Ende der Geschichte aufgedeckt. Es ist schwer, den Inhalt des Buches in wenige Worte zu fassen. Wie bei einigen anderen Chronisten in der Tradition eines Olaf Stapledons und eines Stephen Baxters, vielleicht noch eines H.G. Wells mit der zweiten Reise seiner Zeitmaschine in eine ferne Zukunft der Menschheit geht es vor allem um das Erfassen und Kartographieren von Eckdaten.

Die rätselhaften Fremden, mit denen die Menschen endlich Kontakt aufnehmen, beauftragen den Navigator Ttrebi H* tr eine Art Protokoll der Menschheitsgeschichte bis zum Moment des Kontakts, vielleicht einen Hauch darüber hinaus niederzuschreiben. Die Arbeit findet auf der abgeschiedenen, paradiesischen Welt Tha statt, wobei der Ort eher Mittel zum Zweck ist. Es besteht keine grundsätzliche Notwendigkeit, an diesem Ort zu schreiben, zumal sich logischerweise ja die meisten Daten auf der Erde befinden sollten. Aber ein perfekter Datenaustausch macht die Arbeit an jedem Ort der Galaxis möglich. Der Aufenthalt auf diesem exotischen Planeten scheint eher eine Art Belohnung, vielleicht auch eine Art Motivationsschub zu sein, um sich durch die Gräuel der aus seiner Sicht primitiven wie frühen Menschheitsgeschichte zu quälen.

 In diesem Punkt bietet der Roman auch die größte Angriffsfläche. Heribert Kurth extrapoliert die gegenwärtige Geschichte der Menschheit um wenige Jahre in die Zukunft, um eine Art Sprungbrett nicht nur für die weitere Expansion ins All zu erschaffen, sondern eine aus seiner Sicht perfektere soziale Gemeinschaft zu erschaffen, welche überhaupt eine überlebensfähige Zukunft hat.

 Diese strittigen Passagen werden genauso kurz und vor allem ausgesprochen neutral abgehandelt wie die späteren Vorstöße anscheinend in multiversale Hintergrundzeiten und damit vielleicht auch in andere Dimensionen, in denen es dann das erhoffte außerirdische Leben gibt, mit dem die Menschen in einen offenen Meinungsaustausch treten wollen.

 Der Opferschutz ist gegenüber dem potentiellen Täterschutz wichtiger. Mittels fester Kategorien konnte so die Verurteilung von Menschen im Grunde schneller und effektiver abgewickelt werden. Auch die auf der „Feuer und Schwert“ Tradition basierenden Religionen wurden genauso wie korrupte narzisstische Politiker oder Tyrannen abgeschafft. Banken mit gewinnorientierten Zielsetzungen oder industrielle Unternehmungen sollten keinen kaum mehr zu regulierenden Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft oder Regierungen haben. Eine Weltregierung sollte anscheinend vor allem einen ökologischen Einfluss haben und wenige Jahre nach ihrer Gründung gab es so gut wie keine Schwerverbrechen mehr. Letzte Schritt nach einer schweren, die Bevölkerung der im Grunde überbevölkerten Erde reduzierenden Plage wie des Chromosomenbrandes führte schließlich sogar zur Gründung einer Weltreligion.

 In jedem anderen Buch wären diese Thesen mindestens umstritten, wenn nicht sogar angreifbar gewesen. Ob diese Kombination mit pragmatischen Entscheidungen und vor allem dem grundsätzlichen Wesen einiger Menschen widersprechenden Maßnahmen nicht zu einer Stagnation der generellen Entwicklung geführt hätte und vor allem technischer Fortschritt getrieben vom ohne Frage nicht immer effektiv eingesetzten Prinzip der Gewinnmaximierung in der vorliegenden Form zu einer Art Kommunismus 2.0 geführt hätten, bleibt als These unerwidert und „historisch“ gesehen mindestens angreifbar. Aber diese vom Chronisten aus einer Position des Unverständnis zusammengestellten Fakten gehen schließlich in der rasant fortschreitenden Chronik der Evolution der Menschheit ins All förmlich unter.      

 Die einzelnen Abschnitte erscheinen eher sachlich aneinandergereiht, ohne das der Leser die notwendige Individualität empfinden kann. Die meisten Science Fiction Autoren beginnend bei Heinlein über Anderson bis zu Baxter versuchen diesem vom menschlichen Verstand nur in theoretischer Form zu verinnerlichenden Zeitabschnitte durch persönliche Schicksale greifbarer zu machen. Olaf Stapledon ist in seinen intellektuell stimulierenden, aber emotional auch distanzierter erzählten Geschichten einen konträren Weg gegangen. Dafür verfügte Olaf Stapledon über die Fähigkeit, diese Äonen auf wenige Worte zusammenschmelzen zu lassen und dem Leser quasi durch die Hintertür einen Blick in seinen evolutionären futuristischen Schöpfungsprozess zu gewährend. Mit diesem herausfordernden literarischen Ansatz konnte er die Distanz zwischen der eigentlichen Erzählung und dem Leser besser überwinden.

 Heribert Kurth ist noch nicht so weit. Es sind die nur selten kommentierenden Einschübe des Chronisten, welche das Geschehen auf der einen Seite für den Leser allerdings aus fremder Sicht verständlicher machen sollen, die auf der anderen Seite die Wunder der Schöpfung aber in die Handlung einfließen lassen. Eine herausfordernde Aufgabe zwischen den fast endlos erscheinenden Zahlenkolonnen, der Bedeutung zwar futuristisch gesehen relevant, aber für den Leser auch ermüdend ist.

 Dem Buch fehlt allerdings die emotionale Note. Immer wieder flüchtet sich der Chronist in Exkurse, scheint die einzelnen Puzzleteile dieser Menschheitsgeschichte absichtlich wieder umzudrehen, damit er eine wichtige Rolle spielen kann. Auch seine eigene Aufgabe wird unnötig relativ spät, fast zu spät erläutert. Das grundlegende Problem des Buches ist schließlich der doppelte finale Schritt. Im Untertitel heißt es, es handelt sich um eine Niederschrift zum Fonpo- Rätsel, das dem Leser fast zu lange vorenthalten wird. Spannungstechnisch kann ein Autor wie in einer pseudowissenschaftlichen Dokumentation immer wieder Informationskrümel einstreuen, um den Leser bei der Stange zu halten. Diese wirken allerdings zu oberflächlich platziert und abschließend zu wenig hintergründig entwickelt. Offene Fragen ermüden. Vor allem nach einer theoretischen Reise von fast fünfzigtausend Jahren.

 Das zweite Problem ist der Planet Tha. Immer wieder schwärmt der Chronist von seinen Wundern und Heribert Kurth versucht diese in sprachlich adäquate Bilder zu kleiden. Aber für ein Debüt sogar nachvollziehbar fehlt ihm das Gespür, die richtige Balance aus Exotik und Interpretation durch den Leser zu finden. Auch hier wird abschließend zu viel impliziert als schließlich für eine befriedigende Lektüre notwendig nachvollziehbar extrapoliert.

 „Unter den Sternen von Tha“ ist ohne Frage ein ungewöhnliches Buch. Mutig, provokativ, interessant; voller und vor allem auch vieler fast unzähliger kleiner Ideen, die nach mehr Raum streben. Aber es wirkt auch teilweise wie ein unvollendeter Entwurf, eine Vision, die vor allem mit überzeugenden Leben gefüllt werden muss, damit der Leser nicht nur die Szenen auf dem Planeten Tha, sondern auch relevante Abschnitte der allerdings auch in dieser komprimierten Art ermüdenden Chronik wertschätzen kann.     

AndroSF 105
p.machinery, Winnert, Juni 2020, 228 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 169 3 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 915 6 – EUR 7,99 (DE)