Spielzeit

Norbert Stöbe

1986 debütierte der Übersetzer Norbert Stöbe mit „Spielzeit“ im Heyne Verlag.  In einem Interview sprach Norbert Stöbe davon, dass ihn eine Kurzgeschichte inspiriert hat, in welcher ein Mensch ein gefährliches Alien durchs All transportieren musste. Das Raumschiff stürzt ab und sie sind aufeinander angewiesen. Aber die Idee, dass Menschen und Wesen für ein intergalaktisches Spiel entführt werden, ist schon Mitte der achtziger Jahre nicht neu gewesen.

„Spielzeit“ ist ohne Frage ein ambitionierter Roman, der versucht, auf fast vierhundert Seiten eine Art doppelte Botschaft zu transportieren. Zum einen die Idee, dass man nur als „Team“ zusammenarbeiten und überleben kann. Vor allem „Die Tribute von Panem“ oder die japanische Filmereihe „Battle Royale“ haben mit drastischen Mitteln versucht, dieses immer wieder gerne zitierte Ideal durch drakonische Spielregeln zu unterminieren.  Interessanter ist das Thema, wie man aus einem selbstverliebten und im Grunde unsicheren verträumten Menschen am Ende einen Mann macht. Im Volksmund sprach man von einem Jüngling, der zur See fuhr und als Mann zurückgekommen ist.

Vielleicht hat Norbert Stöbe deswegen Reinhold kurz vor dem Ende seines Segeltörns an einer beschädigten Schraube scheitern und als Phönix aus der Asche natürlich übergangslos wieder auferstehen lassen.

Zusammen mit seiner Freundin Erika, die bildschön, offen und für Reinhold immer noch einschüchternd ist, muss er einige Tage in Holland verbringen, wo er auf das Ersatzteil wartet. Übergangslos wird er auf einen fremden Planeten entführt. Genauso mühelos wird er am Ende zurückgebracht.

Auf dem Planeten trifft er auf das telepathisch begabte Ballonwesen Xirtsch. Auch wenn die beiden Wesen sind fremd sind, kommt es zu einer rudimentären Kommunikation. Sie entschließen sich, zusammenzuarbeiten. Warum sie auf dem Planeten sind und was es mit anderen Wesen zutun hat, denen sie später begegnen, wissen sie im Gegensatz zum mittels einer weiteren Handlungsebene informierten Leser nicht.

Am Ende wird der bedingt wandlungsfähige Xirtsch sogar zu Reinhold Sexpartner, in dem er sich während des Geschlechtsverkehrs in Abbilder von dessen Freundinnen oder von ihm bewunderten Frauen verwandelt. Die Ausnahme ist Erika. Sie darf nicht kopiert werden. Xirtsch verschafft in mehrere Szenen Reinhold so Erleichterung, er muss sich nicht mehr selbstbefriedigen. Auch schafft dieser Geschlechtsverkehr eine Art Basis, denn Xirtsch fühlt sich so seinem Freund und Überlebenspartner nahe.

Das Ende des Buches ist wie erwähnt vorhersehbar. Norbert Stöbe versucht über diese unfreiwillige Kooperation/ Freundschaft den  Unterschied zwischen dem mitfühlenden Menschen Reinhold, seinem empathischen Partner Xirtsch auf der einen Seite und auf der anderen Seite nicht nur den anderen Teilnehmern des Spiels , sondern vor allem den Spielern in ihrer opulent exotischen Atmosphäre herauszuarbeiten.   

 Dabei wirkt vor allem die Zeichnung der Protagonisten ein wenig ambivalent.  Auch wenn sich Reinhold abschließend auch gegenüber seiner Freundin öffnet, nachdem er sie aus der Not und dem Druck geistig betrogen hat, bleibt er unsympathisch. Die Rückblenden lassen ihn noch verklemmter und distanzierter erscheinen als es Norbert Stöbe wahrscheinlich beabsichtigt hat. Auf dem fremden Planeten akzeptiert Reinhold sein Schicksal anfänglich staunend, dann kommt die emotionale Krise und schließlich auch eine Art Befreiungsschlag in Zusammenarbeit mit Xirtsch, ohne das Norbert Stöbe wirklich angesichts der angesichts der potentiellen Dynamik des SPIELS das Tempo anzieht.

Der ambivalente Xirtsch wirkt wie eine Art künstliches Faktotum. Die Verständigung geht auch dank Xirtschs telepathisch empathischen Fähigkeiten relativ schnell. Er/ Es hat für alles Verständnis, ist stetig willig und fühlt sich durch die Intimitäten sogar bestärkt. Diese wirken angesichts der Bedrohungen eher kontraproduktiv und Norbert Stöbe macht den Fehler, auf einigen Seiten die Sehnsucht Reinhold, die wie eine Masturbation mit einer Sex Puppe wirkenden Beischlafszenen und anfänglich sogar das schlechte Gewissen im wahrsten Sinne des Wortes auszuwalzen, während die Spieler während des SPIELS wie Voyeure wohl eher indirekt zuschauen und sich selbst angeregt fühlen.

Das SPIEL an sich wird von außen gesteuert. Auf einer weiteren Handlungsebene versucht  der Autor, notwendige Spannung zu erzeugen. Er stellt die einzelnen Alienspieler vor. Er betont die Bedeutung des ja über mehrere Tage ausgeführten Spiels, das an eine futuristische Version von MAGIRA oder auch Frederic Browns „Arena“ sein könnte, aber vieles bleibt theoretisch. Auch einer der neuen Spieler lernt während der Pausen des Spiels eine echte Liebe kennen. Vielleicht ein versteckter Hinweis auf einhold, der ja auch über Xirtsch und der erotischen Freundschaft zu einem Mann wird und schließlich echten, richtigen Sex mit Erika im Epilog haben kann.

Aber die Wesen handeln im Grunde zu menschlich. Norbert Stöbe gelingt es nicht, den Funken des Spiels wirklich zu übertragen. Vor allem bleiben viele Punkte des handlungstechnischen Ablaufs abschließend im Dunkel. Der Einfluss der Spieler auf die lebendigen Spielfiguren erscheint zu gering, als das man wirklich daraus Wetteinsätze machen könnte. Natürlich ist die Idee, das die Parteien sich gegenseitig bekämpfen, bis schließlich in der grundsätzlich auch unwirtlichen Flora und Fauna nur ein Wesen übrig bleibt und zum Sieger erklärt wird. Genau wie die Einladung aus dem Nichts heraus mit einer Entführung erfolgt, wird er an den Ausgangspunkt zurückgeschickt. Ein wenig weiser und vielleicht auch gestählter. Das macht nur bedingt Sinn, zumal die Protagonisten an keiner Stelle wirklich wissen, dass sie Teilnehmer an einem Spiel sind. Es besteht auch nur bedingt die Notwendigkeit, sich auf der Spielfläche zu bewegen. 

Norbert Stöbe führt die vergangene Zeit zu Beginn eines jeden Kapitels auf. An einer Stelle könnten Reinhold und Xirtsch ohne Probleme länger verweilen. Wahrscheinlich haben die Spieler für einen solchen Fall eine Alternative vorgesehen, sie wird aber in diesem strukturell ein wenig zu umfangreichen und inhaltlich teilweise zu phlegmatisch mit zu viel Wert auf Stimmung strukturierten Buch aber nicht genutzt.

Auch wenn „Spielzeit“ eine Reihe von Klischees zwar modernisiert und ein wenig verfremdet bedient, verfügt das Buch sowohl auf der stilistischen Ebene als auch hinsichtlich des teilweise sehr exotisch farbenprächtigen Hintergrunds über einzelne starke Abschnitte, welche den zu bemühten, fast belehrend erscheinen Auftakt teilweise ausgleichen. „Spielzeit“ ist ein Buch, das nicht unbedingt in Ehren ergraut ist. Schon in den achtziger Jahren wirkte es eher bemüht, die Klischees dieser Idee zu nutzen, um sich gleichzeitig erzähltechnisch davon mit provokanten Sexszenen und einer überdeutlichen Charakterisierung allerdings zu Lasten der Handlung sowie des Spannungsbogens abzuheben. Das ist aber nur bedingt gelungen, so dass „Spielzeit“ irgendwie nicht ganz den Charakter einer Satire hat, aber inhaltlich auch nicht gänzlich ernst genommen werden kann.   

 

Spielzeit. Science Fiction Roman.

  • Herausgeber : Heyne Verlag (1. Mai 1988)
  • Sprache : Deutsch
  • ISBN-10 : 3453312457
  • ISBN-13 : 978-3453312456