The Magazine of Fantasy & Science Fiction May/ June 2021

Sheree Renee Thomas

Es ist bezeichnend, dass die neue Chefredakteurin Sheree Renee Thomas ihre erste vollkommen alleine zusammengestellte Ausgabe mit einer Würdigung Octavia Butlers, auch heute noch eine der wichtigsten farbigen Autoren des Genres eröffnet. Die Buchvorstellungen am Ende dieser Ausgabe beschließen die Ausgabe mit einem Kurzvorstellung Butlers Buches „Survivor“, dessen Nachdrucke sich die Autorin expliziert verboten hat. Dazu kommen zwei Gedichte, in denen sich die beiden Autoren mit ihrem Werk allerdings nur oberflächlich auseinandersetzen.

 Der Schwerpunkt ihrer ersten Ausgabe liegt eher im Bereich der Weird Fiction. Es finden sich in vielen Geschichten Elemente der Fantasy oder Science Fiction, aber groteske Ideen dominieren die aus zwei Novelletten, einer Novelle und einer Handvoll Kurzgeschichten bestehende Debütnummer.

 Stephanie Kramers „A Father´s Hand“ eröffnet den Regen. Logan lebt mit seinem Vater zusammen, der entweder immer ein Roboter gewesen ist oder langsam aus untererklärten Umständen zu einer Maschine geworden ist. Vor vielen Jahren gab es einen Konflikt zwischen Mensch und Maschine. Keine unbedingt neue Idee. Logans Vater hat seinen „Sohn“ mit vielen Geschichten aus dieser Zeit quasi unterrichtet. Nach und nach hat Logan nicht nur die Fähigkeit des Sprechens verloren, sondern seine Hand wurde unbeweglicher und klammerte damit die Hand seines Sohns förmlich ein. Logan muss sich den Umständen anpassen. Selbst als diese sich zu ändern scheinen. Es ist eine bizarre Geschichte mit einem dreidimensional gezeichneten Logan, aber zu vielen rudimentären Informationen, als das sie als Geschichte überzeugen kann.

 Danian Darrell Jerry präsentiert mit „Dontay´s Bones“ eine deprimierende, aber auch angesichts der Charaktere anrührende Geschichte, deren nahe in der Zukunft und nach dem Zusammenbruch der Zivilisation spielende Hintergrund in Tennessee das einzige phantastische Element ist.

 „Goodwill Objects“ aus der Feder Nina Kiri Hoffmanns ist eine dieser Pointengeschichten, die sehr gerne in Workshops verfasst werden. Kurzweilig, kompakt beschreibt sie das eigenwillige Geschenk einer Ex an ihren zurückgelassenen Freund. Die Bedeutung des Geschenks wird dem Leser durch die Monologe oder vielleicht Dialoge mit den Resten einer Puppe oder eines Stoffbären klar. Der Leser sollte nicht auf Logik setzen, sondern sich von den pointierten Dialogen einfach treiben lassen.

 Zu den längeren Geschichten gehört Rich Larsons „The World, a Carcass“. Der Hintergrund ist eine Mischung aus vermutlich einer aztekisch angehauchten Zivilisation und einer Reihe von Märchen mit Frauen als Wahrsagerinnen. Daxlas Vater war der Herrscher des kriegerischen Reiches. Schon die Beerdigungszeremonie ist bizarr mit dem Sargdrachen in der Luft. Ihr Onkel möchte sie vermählen, an ihre Seite stellt er einen Leibwächter mit einem dunklen Geheimnis. Die einzelnen Wendungen des Plots inklusiv der grausamen Rache Daxlas sind rückblickend wenig überraschend und wirken eher konstruiert. Aber die Zeichnung der Protagonisten inklusiv des stoisch sein Schicksal erwartenden Nothing überzeugen. Auch die seltsame Kultur mit ihren besonderen Ritualen bleibt dem Leser im Gedächtnis.

 Pan Morigans „Severed Fruit“ handelt vom Einfluss, der manche Menschen ein Leben lang begleitet. Wie Menschen das Leben eines Anderen prägen, wie man allerdings auch selbst prägt. Sehr viel Tiefe auf sehr wenigen Seiten. Pan Morrigan versucht im Grunde eine Lebensphilosophie zu komprimieren und an Hand ihrer pragmatisch charakterisierten Protagonisten dem Leser deutlich zu machen. Allerdings wie einige andere Geschichten wirkt es abschließend aufgesetzt und leider auch sehr belehrend.

 Corey Flinhoff präsentiert die moderne Version einer im Grunde klassischen irischen Saga mit dem im Wald lebenden Volk und den Kindern, die von ihrem Vater dort ausgesetzt werden müssen. Es wäre die perfekte Neuinterpretation einer bestehenden Legende, aber Corey Flinhoff hat sich alles selbst ausgedacht und präsentiert sein vor allem gegen Ende sehr überraschendes Garn mit einem Elan, das die anfänglich unbewusste Vertrautheit mehr als ausgleicht.

 „Dunkard´s Walk“ aus der Feder James Enge ist die Jack Vance Hommage dieser „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Ausgabe. Morlock Ambrosius strandet bei seinen Wanderungen  in einer kleinen verlassenen Stadt. In der einzigen Taverne trinkt er zusammen mit den anderen Gästen aus seine Einladung hin den bescheidenen Alkoholvorrat aus. Anscheinend sind sie alle in dieser kleinen Stadt gefangen, bis ihn ein junger Mann auf eine mögliche Lösung hinweist. Eine gut geschriebene Geschichte mit einem zufrieden stellenden Ende. Einem dreidimensionalen, geheimnisvollen und vor allem in Fortsetzungen ausbaufähigen Charakter und einer stimmigen, dunklen, aber nicht nihilistischen Atmosphäre. 

 Maurice Broaddus zeigt in „Babylon System“ auf, das selbst an einem dunklen brutalen Ort wie dem Gefängnis einer Diktatur Hoffnung entstehen kann. Der Autor versucht allerdings zu viel Kraft in die Geschichte zu legen. Die Figuren sind beginnend mit dem aus Jamaica kommenden und sich gegen die Nummerierung wehrenden Lij gut gezeichnet und agieren teilweise gegen die Klischees. Auf der anderen Seite wirkt Lijs Handeln herausfordernd, aber zu wenig für den Leser vorbereitet. Auch der utopische Hintergrund ist wie bei einigen anderen Geschichten dieser Sammlung im Grunde unnötig.

 „Babylon System“ ist aber eine von vier Geschichten, die in den Bereich der Science Fiction eingeordnet werden können. „The Plus One“ von Marie Vibbert ist der zweite Text. Das Leben und Überleben in den Kolonien auf dem Mars ist hart. Wer seine Aufenthaltsberechtigung verliert, muss in Sheltern quasi auf das nächste Schiff zur Erde warten. Eine Frau erstickt in dieser Behelfseinrichtung und Blaine als U.S. Marshall mit diesem „Verbrechen“ nachgehen. Eine detaillierte Zeichnung der politischen Verhältnisse bildet einen überzeugenden Hintergrund dieser harten Frontiergeschichte mit Menschen, die selbst kaum genug zum Leben haben. Niemand interessiert sich wirklich für die Tote, auch wenn viele indirekt mit ihrem Schicksal zu tun haben. Die Auflösung beinhaltet ein zukünftiges Happy End, wobei sie auch ein wenig konstruiert und aus der plottechnischen Not heraus geboren erscheint. Aber die Grundprämisse ist originell und unterstreicht, dass es durchaus doch noch gute Marsgeschichten geben kann.

 Den Abschluss bildet „When the Water Stops“ von Eugen Bacon. Eine dunkle, zu kurze und vielleicht ein wenig zu stilistisch bemüht geschriebene Geschichte über den Klimawandlung und die radikalen Folgen.

 Die beste Geschichte dieser Ausgabe basiert auf einer klassischen Prämisse. In seiner Einleitung spricht Robert Grossbach davon, dass es ihm immer wieder eine Freude ist, in diesem Magazin Geschichten zu veröffentlichen, obwohl er inzwischen auch neben einigen Romanen Drehbücher und sogar eine Sitcom schreibt. „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ hat ihn als Leser und schließlich auch als Autor fast sein ganzes Leben begleitet. Und „Refugees“ spricht für diese Freude. Eine Gerichtsverhandlung. Ein älterer Mann ist angeklagt, indirekt am Tod einer alten Frau und ihrer Tochter Schuld zu sein. Er hat vor einigen Jahren zwei Millionen Außerirdischen – sie sind insektenähnlich – in seinem Garten aufgenommen, nachdem er jahrelang eine allerdings aus seiner Sicht eher durchschnittliche Geschäftsbeziehung mit ihnen unterhalten hat. Im Gegenzug hat er leichte Drogen den Fremden geliefert, welche diese allerdings für eine überdurchschnittliche Reproduktionsrate benötigt haben. Robert Grossbach liefert keine Antworten auf die Frage, wie jeder der Leser sich entscheiden würde, wenn er finanziell in der Klemme ist und gegen einen kleinen Gefallen plötzlich aller Nöte befreit wird ? Der nach Trump gezeichnete amerikanische Präsident der Geschichte möchte natürlich einen Deal machen. Zu diesem Zeitpunkt ist es allerdings zu spät. Pointierte Dialoge, kleine wunderbare zwar erahnende, aber trotzdem konsequente Wendungen und mit dem Angeklagten Morton Rushman einen klassischen, aber grundehrlichen Verlierer in der Hauptrolle zeichnen dieses Kleinod aus. Kritisch gesprochen könnte ein Ankläger argumentieren, Versatzstücke des Genres sind nur neu zusammengestellt worden. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Autoren weiß Robert Grossbach, wie man so etwas macht.

 Im lyrischen Teil präsentiert Alan Dean Foster eine längere, klassische Fantasy Ballade um den heranstürmenden Tod. Sprachlich intensiv überzeugt der kurze Text mehr als einige von Alan Dean Fosters schrägen Fantasy Zyklen

 

Neben den Geschichten und Gedichten präsentiert „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ May/ June 2021 die üblichen Kolumen. Charles de Lint schreibt alleine über Bücher, während  Karin Lowachee mit „Monsterland“ eine neue Streamingserie vorstellt. Paul di Fillipo geht auf die Bedeutung der Kommas ein, während Arley Sorg die Zahlen interpretiert. Dieses Mal geht es um die Wahrscheinlichkeit, das eine Kurzgeschichte auch wirklich in dem entsprechenden Magazin erscheint. Jerry Oltion ist für den wissenschaftlichen Bereich zuständig.     

 

 Sheree Renee Thomas alleine erste Ausgabe verlangt Geduld vom Leser. Interessant ist, dass sie anscheinend beginnt, die Geschichten innerhalb einer Ausgabe thematisch zu ordnen. Horror und Weird Fiction zu erst, den mittleren Abschnitt bestückt sie mit allerdings wenigen der Fantasy zuzuordnenden Geschichten, während die zweite Hälfte der Science Fiction gehört. Das könnte einige Leser abschrecken, aber die Qualität vieler Geschichten unterstreicht, das sie mit einem leicht anderen Schwerpunkt – mehr Weird als Science Fiction – trotzdem ein gutes Händchen für ungewöhnliche, den normalen Rahmen sprengende Geschichten hat. Und „Refugee“ ist klassisches „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Material. 

The Magazine of Fantasy and Science Fiction – May/June 2021 cover - click to view full size

Seiten 256, Taschenbuch

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