Weisser Vater

Wolfgang Berger

„Weisser Vater“ aus der Feder des in kauzigen Rollen bei Karl May Aufführungen auftretenden Kabarettisten ist nicht nur die Geschichte Klekih-petras, Winnetous Lehrer. Es ist gleichzeitig auch das frühe Erwachsenwerden Winnetous Vaters Intschu tschuna, dessen Heldentaten die Abenteuer Winnetous vorwegnehmen. Es ist die Geschichte der Silberbüchse und deren Weg in Winnetous Besitz. Es ist die Geschichte einiger skurriler Nebenfiguren im umfangreichen Karl May Kosmos. Es ist eine der Abenteuerstorys, mit welchen Autoren den fiktiven Kosmos eines wichtigen Schriftstellers auffüllen und die historischen Lücken zu schließen suchen.

 Wie eine Reihe andere Autoren nutzt Wolfgang Berger zwar den Hintergrund Karl Mays, geht ein wenig aus dem Stehgreif interpretierend mit der indianischen Sprache um, aber der Autor imitiert nicht Karl May. Dessen von langen Dialogabschnitten getriebene Handlung, die ausführlichen teilweise belehrenden Exkurse in die Geschichte von Mensch und Land sowie das christliche Sendungsbewusstsein der Helden finden sich nicht in der Geschichte. Wolfgang Berger setzt auf ein hohes Tempo, mehrere abschließend ineinander fließende Handlungsebene und vor allem eine wechselnde Perspektive. So ist die Haupthandlung mit dem zukünftigen Klekih-petra aus der Ich- Perspektive erzählt. Alle anderen Spannungsbögen ausschließlich in der dritten Person. Damit soll nicht nur die Bedeutung der Titelfigur hervorgehoben werden, sondern vielleicht unbewusst sucht Wolfgang Berger die Nähe zu Karl May, der ja ausschließlich in der Ich- Perspektive erzählte und vor allem auf Nebenhandlungen verzichtete. Informationen, die sich vor oder neben dem Haupthandlungsstrang abgespielt haben, werden ausschließlich verbal den Protagonisten und damit auch den Lesern mitgeteilt. Dank dieser Vorgehensweise bleibt der Leser ausschließlich auf Augenhöhe. Der einzige übergeordnete Erzähler ist Karl Mays Alter Ego, der mit seinen nicht selten kryptisch mystischen Bemerkungen zukünftige Bedrohungen hervorahnt und damit die Leser warnt, das gleich etwas passieren wird.

 Wolfgang Berger hat ja generell das Problem aller Prequels. Teile des Endes sind bekannt und unabänderlich. Es geht nur darum, dass sich die Figuren schließlich „treffen“ und damit der Bogen direkt zu Karl Mays Geschichten geschlagen werden kann. Der Autor baut noch ein weiteres Moment ein. Der Mut des Deutschen, in Preußen des Jahres 1848/ 1849 beeinflusst von seinem aufgeklärten Lehrer die eigene Meinung zu vertreten, führt ihn erst ins Exil, am Ende des Buches rettet dieses fast stoisch zu nennende Wesen ihm das Leben. Damit schließt sich vielleicht ein wenig zu abrupt ein Kreis, kein Lebenskreis, aber eine persönliche Entwicklung voller kleiner Erfolge, aber auch größerer Tragödien wird abgeschlossen und mit der Geburt Winnetous am Ende des Buches findet er zum zweiten Mal seine Bestimmung als Freund, aber auch Lehrer.

 Wie bei der zweiten Handlungsebene mit Intschu tschuna, aber auch einem dritten Handlungsbogen mit Winnetous zukünftiger Mutter ist der Weg das Ziel. Wolfgang Berger bemüht sich immer wieder, wichtige Themen wie Politik zu streifen, aber auch nicht so weit zu extrapolieren, dass sie den Handlungsbogen abwürgen. Dadurch kommen mit der Flucht aus Deutschland wichtige zeitkritische Momente zu kurz. Diese „Lücken“ kann der Autor auch im Laufe des Buches nicht aufholen. Alle schrecklichen Ereignisse wie der Sklavenhandel werden schließlich fast auf persönlich ausgetragene Konflikte reduziert, an deren Ende natürlich auf eine erstaunlich effektive, aber nicht humanistische Art und Weise das Gute siegt.

Auch wenn Karl Mays Wilder Westen kein Zuckerschlecken gewesen ist, im direkten Vergleich zu Wolfgang Bergers Geschichte geht es abschließend harmlos zu. Unabhängig davon, dass Wolfgang Berger den Begriff des Beiliegens, vielleicht noch Beischlaf liebt. Vor allem die beiden Hauptprotagonisten verlieren nicht nur ihre Jungfernschaft, sondern haben mit der Liebe ihres Lebens sehr viel produktiven Sex. Dem Gegenüber stehen eine Reihe von durchaus brutalen Szenen. Wolfgang Berger ist kein Gewaltvoyeur und die Beschreibungen gehen nicht bis ins letzte Detail, aber die Masse von Auspeitschen über Folter bis zum brutalen Ausbeuten der Sklavenkinder zeigt, dass Wolfgang Berger einen raueren, vielleicht nicht unbedingt realistischeren Wilden Westen zeichnen wollte.

 Interessant ist, dass der Autor auf Seiten der potentiellen Helden Entwicklungen aufzeigt. So sind es nicht die Soldaten, die wie Scheuklappen den ungerechten Befehlen ihrer Vorgesetzten folgen. Vor allem der sie kleine Gruppe aus Deutschland in die neue Welt führende Offizier ist ein aufgeschlossener, weit blickender Mann. Dem Gegenüber steht mit dem neuen jungen Häuptling der Apatschen zwar ein Heißsporn und sehr mutiger junger Mann, der aber einsieht, dass man auf Augenhöhe mit dem weißen Mann zu leben lernen muss, wenn man die eigene Identität, das eigene Volk retten möchte. Der weiße Vater ergänzt diese Ansichten, aber Intschu tschuna ist schon erstaunlich innerlich weit, bevor er seinen wichtigen weißen Ratgeber trifft.

 Natürlich braucht die Geschichte mindestens einen Schurken. Und den bringen die Helden quasi aus Deutschland mit. In dieser Hinsicht folgt der Autor einer Reihe von Klischees und etabliert einen für Karl May so typischen Bandenführer, der sich unabhängig von der Hautfarbe rücksichtslos verhält und vor allem mit seiner feigen Bande nicht nur schnell reich werden, sondern vor allem Rache aus zwei Mitreisenden nehmen möchte. Wolfgang Berger bleibt nicht nur bei diesem Schurken, sondern auch den Sklavenhändler, dem Mienenbesitzer und schließlich auch dem sadistischen wie korrupten mexikanischen General charakterlich an der Oberfläche. Sie dienen als Versatzstücke. Ihre brutalen Erfolge verbittern die Feinde um so mehr und lassen sie noch härter an der ihnen ureigenen Gerechtigkeit arbeiten. Da es sich um eine Vorgeschichte handelt, kann Wolfgang Berger nur Nebenfiguren opfern und davon macht der Autor effektiv wie teilweise sehr pragmatisch ausgesprochenen Gebrauch.

 Enttäuschend könnte sein, dass Wolfgang Berger eben nicht den Mut hat, die Geschichte wirklich zu beenden. Mit der Aufnahme in den Stamm der Apatschen, der Geburt Winnetous endet diese kleine Saga. Dabei impliziert der Autor, dass Klekih-petra und Intschu tschuna ja nicht nur die ersten Blutsbrüder des Karl May Kosmos geworden sind, sondern sich in den Publeos auf Augenhöhe verständigt und damit das Volk der Apatschen lange Zeit durch eine schwierige Situation geführt haben. Aber diese Ereignisse werden auf wenigen Seiten abgehandelt. Wie interessant wäre es, diese Freundschaft an kleinen Beispielen auszuführen und damit „Weisser Vater“ wirklich zu einer Art Biographie werden zu lassen anstatt sich an diversen Verfolgungsjagden und Befreiungen zu ergötzen, die nicht selten aufgrund der Naivität der Protagonisten erst möglich geworden sind oder anders herum deren jeweilige Befreiungsaktionen zwar viele Opfer gefordert, aber durch die Selbstüberschätzung der Schurken auch relativ „zügig“ vonstatten gegangen sind.

 Karl May hat seine Texte immer wieder unterbrochen, um den Lesern diese exotische Länder allerdings nicht selten frei und ohne Quellenangaben zitierend nähe ans Herz zu bringen. Darauf verzichtet Wolfgang Berger fast gänzlich. Es finden sich entsprechende Passagen, sie sind aber viel zu knapp und zu sachlich niedergeschrieben, als das Karl Mays kopierter Flair auf die Leser überspringt. Von Berger distanzierten, sehr kompakten und zu emotionslos sachlichen Stil einmal abgesehen.

„Weisser Vater“ ist keine schlechte Vorgeschichte. Alle wichtigen Elemente sind vorhanden und der schmale Grat zwischen Hommage und eigener Interpretation eher spärlich bekannter „Fakten“ ist nicht leicht einzuhalten. In dieser Hinsicht überzeugt „Weisser Vater“ als kurzweiliger klassischer Western mit einigen Karl May Elementen über die Figuren hinausgehend. Aber anstatt seinem Text notwendige Breite zu geben und den Versuch zu wagen, das Fundament für  Karl Mays Kosmos quasi in Winnetous Wiege über den bekannten wehrhaften Pazifismus und eine Toleranz allen Menschen gegenüber hinaus zu legen, scheut er an einigen Stellen den notwendigen zweiten Schritt und begnügt sich mit einer Abfolge gut geschriebener, durchaus variabler Actionszenen vor dem Hintergrund des Wilden Westens, aber nicht immer Karl Mays Frontiermentalität.   

 

Weißer Vater: Die Geschichte von Klekih-petra

  • Herausgeber ‏ : ‎ Karl-May-Verlag Lothar Schmid GmbH; 1. Edition (4. Mai 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 320 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3780201348
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3780201348
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