Forever 84

Neil Clarke (Hrsg.)

Die 84. Ausgabe des „Forever Magazines“ präsentiert zum Jahresanfang 2022 zwei ungewöhnliche Kurzgeschichten, aber auch eine herausragende Novelle.  Neil Clarke spricht nicht nur kurz über einen positiven Corona Test in seinem Umfeld, sondern weist darauf hin, dass sich einige Menschen auf dem Worldcon 2021 angesteckt haben.

Die Novelle „Where there is Nothing, There is God” von David Erik Nelson ist die dritte in einem Amerika des Jahres 1770 spielende Novelle. Wie die ersten beiden Teile erschien sie ursprünglich in „Asimov´s Science Fiction“ Magazin im Jahre 2016.  

Der  Protagonist Paul erhält einen Auftrag, dem er nicht widerstehen kann. In dieser Geschichte ist Zeitreise möglich, aber nicht unbedingt der Diebstahl in der Vergangenheit. Die Auftraggeber haben sich auf Vergängliches spezialisiert. Porzellan oder leicht austauschbare Münzen. Paul ist chronisch knapp bei Kasse und mit einer Provision von sieben Prozent kann er gut leben. Wie bei den ersten beiden Novellen präsentiert der Autor David Erik Nelson von Beginn an eine klassische Ausgangsbasis, welche er allerdings sehr viel subtiler weiter entwickelt. Wichtig ist, dass auf allen zu Beginn angerissenen Aspekte eingegangen wird. In einigen Punkten wie einer homosexuellen Ehe, welche in einer Parallelwelt erlaubt, in der anderen verboten ist, wird nicht mehr weiter eingegangen.

Andere Stellen sind interessanter. Gleich zu Beginn wird deutlich gemacht, dass eine oder ein Reisender als Hexer nicht verbrannt, aber zumindest gehängt worden ist. Warnung genug, sich in der Vergangenheit unauffällig zu verhalten.

An einer anderen Stelle verzichtet Paul auf Schuhe, um eine besondere Art von Eindrücken zu vermeiden. Er macht aber den Gedankenfehler, dass er auch barfuss Spuren hinterlässt. Oder in diesem Fall keine Spuren.

Paul selbst startet als Drogensüchtiger. In der Gegenwart hat er von kleinen Deals gelebt. Sie reichten um die eigene ignorierte Sucht zu befriedigen. Aber je mehr Paul zur Erkenntnis kommt, dass er selbst zu den Süchtigen gehört, desto schwieriger wird es, die eigene Sucht abzulegen, aber vor allem auch aus dem Milieu egal in welcher Zeit zu entfliehen.

Während die Zeitreise eher wie eine Art MacGuffin erscheint, um die Türen zu verschiedenen Universen und damit auch einigen Klischees des Genres zu öffnen, sind es die Nebenfiguren, welche dieser allerdings auch herausfordernde Novelle beleben. Paul ist eher ein pragmatisch gezeichneter Charakter. Sehr viel interessanter ist Chico als Klischee einer Reihe von aus Filmen oder Fernsehserien bekannt gewordenen Drogenlords. Dabei verzichtet David Erik Nelson darauf, die wirklich dunkle brutale Sorte dieser Menschen zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen.

Peggy ist eine klassische Wissenschaftlerin, die nicht über die Folgen ihrer Handlungen nachdenkt. Den Drogenmob ignoriert sie, für sie ein Mittel zum Zweck. Es ist auch die einzige Figur, die keine charakterlicher Fortentwicklung durchläuft.

Der Pastor Otis verfällt dem ihm unbekannten Meth. Das führt zu einer Reihe von interessanten Vision, zumal er auch noch mit Doppelgängern ihm vertrauter Menschen konfrontiert wird. Immer am Rande zur Karikatur beleben vor allem seine unchristlichen Ausrufe einige der dunkleren Passagen der Geschichte.

Auch wenn es sich um einen Teil einer kleinen Serie handelt, schließt der Autor den Plot in mehrfacher Hinsicht zufriedenstellend ab. Nicht nur Gott straft durch die Menschen, auch das FBI muss erkennen, dass es nur einen Pyrrhussieg errungen hat und die großen Fische weiter flüchtet sind. Generell eine unterhaltsame Novelle, die irgendwann wahrscheinlich mit den anderen Teilen auch zumindest in Taschenbuchform publiziert werden sollte.    

Ian MacLeods Kurzgeschichte „Recrossing the Styx“ stammt ursprünglich aus „the Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Der Text wurde das erste Mal in der Anthologie „Journeys“ nachgedruckt. Es handelt sich um eine bizarre Geschichte. Auf einem gigantischen nuklearbetriebenen Kreuzfahrtschiff schippern die reichen, älteren und vor allem technisch toten Reichen durch das Mittelmeer. Verschiedene Therapien lassen sie länger leben als die durchschnittlichen Menschen. Frank Onions, der als Animateur auf dem Schiff arbeitet, verliebt sich in die junge und attraktive Ehefrau eines dieser lebenden Toten. Sie pflegt ihn und schiebt ihn in einem Rollstuhl über das Deck. Gemeinsam beschließen sie, eine neue Zukunft zu beginnen, in dem sie den alten Herrn beseitigen. Frank Onions und die Leser ahnen nicht, dass im Auge des Betrachters alles anders ist. Während lange Zeit der Plot sich als eine klassische Kriminalgeschichte und daraus folgend einen gut vertuschten Mord zeigt, ist das Schlusskapitel vermisch mit Film Noir Elemente der Femme Fatale zynisch, aber auch konsequent. Ian MacLeods melancholischer Stil trägt zu der morbiden Atmosphäre zusätzlich bei.  

Iam MacLeod gehört zu den am meisten unterschätzten Autoren des Genres, der sich mit einer Handvoll Romane, aber vor allem sehr vielen Kurzgeschichten einen guten Ruf erworben hat und dem Steampunk entwachsen ist.

 Karl Schroeders „The Hero“ ist die erste im Virga Universum spielende Kurzgeschichte. Der kanadische Science Fiction Autor hat sie nach dem ersten aus drei Romanen bestehenden „Virga“ Zyklus verfasst. Es ist nicht unbedingt notwendig, aber empfehlenswert, zumindest die ersten drei „Virga“ Romane gelesen zu haben, um den bizarren Hintergrund wie auch die nichtmenschlichen Kreaturen besser einordnen zu können.

Jesse ist todkrank, hat nicht mehr lange zu leben. In einem gigantischen Käfer vermutet der Antiheld unermessliche Schätze. Er muss nur den Schlüssel zu Candesce finden und benutzen. In Karl Schroeders Romanen wird dieser Schlüssel in einer anderen Funktion zu erkennen sein. Um zu den Schätzen zu kommen und zumindest seinen unruhigen Geist, aber nicht mehr seinen im Sterben liegenden Körper zufriedenzustellen, muss Jesse einen Kompromiss eingehen. Er ahnt aber nicht, das sein Verhandlungspartner vor den gleichen Problemen steht und die Lösung nur als bizarr zu bezeichnen ist.

Die im Virga Universum angesiedelten Geschichten sind vor allem Science Fantasy Storys mit einer gelungenen Mischung aus pulpigem Abenteuer, aber auch Steampunkhintergrund. Auch wenn seine Protagonisten zutiefst menschlich handeln, zeichnet der Autor sie ein wenig übergroß mit vielen Schwächen, aber immer dem Willen, unbedingt Berge versetzen zu wollen. In dieser Hinsicht gehört auch „The Hero“ untrennbar in dieses aus einer gigantischen mit Luft gefühlten Blase bestehenden Universum, auch wenn der Plot abschließend ein wenig zu gedrängt, zu hektisch erscheint und einzelne insbesondere zu Beginn aufgeworfene Fragen nicht beantwortet werden.  

Zusammengefasst ist „Forever“ 84 ein guter Jahresauftakt. Die nachgedruckten Texte sind zwar in bekannten Medien erschienen, aber vor einigen Jahren, so dass sie auch Viellesern nicht mehr allgegenwärtig sind. Das Themenspektrum  ist breit, die Qualität der Texte wirklich gut.    

 

Forever Magazine Issue 84 cover - click to view full size

E Book

84 Seiten