Die Toten lieben anders

Hugh Walker

„Die Toten lieben anders“ enthält im Vergleich zu anderen Hugh Walker Romansammlungen drei serienunabhängige in den siebziger Jahren veröffentlichte „Vampir“ Romane sowie die Kurzgeschichte „Der große Hunger“.  Wie es sich für die Veröffentlichen des Herausgebers Peter Emmerich gehört, findet sich einiges an Sekundärmaterial in der Sammlung. Neben dem kurzen, pointierten Vorwort sowie den Exposes konzentriert sich Horst Herrmann von Allwörden in seinem Essay „Sympathy for the Vampire“ auf High Walkers Vampir Romane. Hugh Walker selbst hat die vorliegenden Texte für die Neuauflage behutsam überarbeitet.

Obwohl es nicht sinnvoll ist, die Lektüre eines Romans mit dem Expose zu beginnen, lohnt sich der Blick bei „Vampire unter uns“ in den Anhang, denn dort befindet sich die Struktur für eine Miniserie von „Vampir“- Romanen, die Hugh Walker schließlich in das vorliegende Abenteuer intrigierte. Dadurch wirkt der originelle, die Prämisse von „Rosemarys Baby“ mit Vampiren erweiternde Roman insbesondere in der zweiten Hälfte zu hektisch, zu abrupt und einzelne Sequenzen sind nur durch die Aktionen der Protagonisten ohne Überzeugungsarbeit gekennzeichnet, aber auch als vierbändige Miniserie hätte „Vampire unter uns“ bis auf den einen wichtigen Aspekt des Plots zu früh verratenden Titel überzeugen können.

  Der Ich- Erzähler kann sich nur schwer vorstellen, dass seine Frau Martha ein Verhältnis hat. Sie leugnet immer die Besuche eines Fremden. Er engagiert einen Privatdetektiv und nimmt heimlich ihre Gespräche mit einem Tonbandgerät auf. Nur scheint niemand in der Wohnung zu sein und auf dem Tonband ist nur die Stimme seiner Frau, aber eindeutige Geräusche. Anscheinend glaubt sie, dass ihr vor fünf Jahren verstorbener erster Mann wieder gekommen und möglicherweise mit ihr ein Kind gezeugt hat. Bislang sind beide Ehen unfruchtbar gewesen. Als sie erkennt, dass sie tatsächlich schwanger ist, scheint sie sich vor den Folgen zu fürchten. Nach der Geburt bestätigt sich der Verdacht: das Baby sieht aus wie der verstorbene erste Ehemann Willie und verhält sich nach der Geburt auch komisch: er scheint mit seinen spitzen Zähnen weniger Muttermilch als Blut aufzusaugen. 

Der Titel "Vampire unter uns" verrät relativ früh einen wichtigen Aspekt der Handlung, so dass weniger die Wiederkehr des Verstorbenen als auch das seltsame Verhalten des Neugeborenen den Leser wirklich überrascht. Das übernatürliche Einflüsse von Beginn an hinter den seltsamen Vorgehen stehen, die durch das Verschwinden und Wiederauftauchen eines Privatdetektivs, der künftig nur noch Termine nach Sonnenuntergang macht, polizeilich verstärkt werden, ist dem Leser im Gegensatz zu den Charakteren relativ schnell klar.- Hugh Walker hält sich positiv für den ganzen Roman mit keiner nachhaltigen Verschleierungstaktik auf und erzählt die einzelnen Vorgänge relativ direkt und effektiv. Die handelnden Figuren werden klar charakterisiert. Es bleibt ihnen nur übrig, auf den lange Zeit geplanten Plan zu reagieren, wobei am Ende die einzelnen Motivationen insbesondere der kleinen Vampirgemeinde zu wenig schlüssig erscheinen. Hugh Walker agiert zu sehr nach dem Motto, was ich selbst besorgen kann, das darf ich ruhig an den Ich- Erzähler delegieren. Diese Vorgehensweise ist nicht ganz schlüssig, denn dessen Motive selbst nach dem Leid, das er erfahren hat, stehen denen von Marthas Ehemann weiterhin konträr gegenüber und ihm wird eine zweite Chance quasi auf dem Silbertablett präsentiert. Ein weiteres Motiv, dass der Autor im Zyklus um die "Blut GmbH" sehr viel effektiver herausgearbeitet hat, ist das Leben und Überleben von Vampiren in der modernen Zivilisationsgesellschaft. Vieles wirkt eher konstruiert und vielschichtige Aspekte - warum kehren sie immer wieder auf diesen kleinen Friedhof zurück, während sie sich sonst relativ frei bewegen können? - sowie die Grundidee der Zeugung von neuem Leben - ein Novum in der "Vampir" Saga, wo die Blutsauger zeugungsunfähig sind - gehen wie schon angesprochen durch die Komplexität der Handlung auf zu wenig Raum unter. Auf der anderen Seite zeigt sein Ich- Erzähler gegen Ende eine erschreckende Naivität den Vampirlegenden gegenüber und Hugh Walker droht über die Klippe des Belehrens zu fallen. Ebenfalls aus dem Nichts heraus können die Polizisten effektiv gegen die Vampire vorgehen, die sich plötzlich so stark vermehren, das keine Beerdigungen mehr stattfinden, sondern nur noch Verbrennungen. Im Rahmen einer Miniserie hätten diese Entwicklungen differenzierter und fundamental besser vorbereitet erzählt werden können, durch die Konzentration auf einen Roman unterminiert Hugh Walker zu stark seine guten Intentionen, zumal er trotz des hohen Tempos nicht alle zu offenen Flanken bis zum klassischen Pointen Ende überdecken kann. Auf der emotionalen Charakterebene gelingt es Hugh Walker allerdings, sympathische, mit dem Geschehen überforderte Figuren zu erschaffen und vor allem die auch einschränkende Ich- Erzählerebene konsequent und nachhaltig durchzuhalten.

Zusammengefasst ist „Vampire unter uns“ allerdings eine interessante und auch heute noch lesenswerte Spekulation hinsichtlich der Fortpflanzungsmöglichkeiten moderner Vampire, die mehr als nur Blut und Unsterblichkeit suchen.

 1973 erschien „Ich, der Vampir“. Der Alternativtitel „Die Toten lieben anders“ hat der Sammlung seinen Namen gegeben. Immer wieder greift Hugh Walker eine alltägliche Prämisse auf, die er relativ schnell ins Phantastische über gleiten lässt. Der Schriftsteller Vick Danner ist unterwegs zu einem wichtigen Termin, der ihn bis tief in die Nacht fahren lässt. An einer abgeschiedenen Autobahnraststätte fragt er nach einer Übernachtungsmöglichkeit und wird zu einem alten Haus geleitet, dessen Besitzerin schon vorher Wert darauf legt, dass nur junge Männer und Frauen dort übernachten. Die betörend schöne wie zeitlose Frau verführt den etwas naiven Danner, der nach drei Tagen Veränderungen an sich bemerkt. Mehr und mehr entfernt er sich von einem normalen Menschsein und vergisst auch seine Pflichten. Viel schlimmer ist es, dass er sich immer wieder zu diesem Ort zurück gezogen fühlt.

Hugh Walker verzichtet in diesem Roman auf die Ich- Erzählerebene. Diese Vorgehensweise nimmt dem Roman an einigen wichtigen Stellen die Intimität, da er fast ausschließlich auch spannungstechnisch überzeugend aufgebaut aus Vick Danners Perspektive erzählt wird. Die für ihn unbegreiflichen Veränderungen – in diesem Punkt ist der Leser seinem Protagonisten alleine schon durch den Hinweis der später verschwundenen zweiten Gestrandeten einen Schritt voraus – werden aus einer Mischung aus Verführung und Schrecken erzählt. Obwohl sich Hugh Walker insbesondere im Vergleich zum deutlich dynamischeren, aber deswegen nicht unbedingt reifer strukturierten „Vampire unter uns“ auf wenige Schauplätze konzentriert, gelingt es ihm, weniger eine subtil bedrohliche Atmosphäre aufzubauen, sondern wie in den erotischen Hammerhorrorfilmen dieser Ära implizierten Sex von magischen Dimensionen zu beschreiben. Dabei bleibt Hugh Walker insbesondere im Vergleich zu anderen „Vampir“ Romanen dieser Zeit fast zurückhaltend. Vick Danner ist positiv eine Figur, die sich im Verlaufe der Handlung mehr und mehr entwickelt. Anfänglich ein blasser Charakter und ein Autor, der aufgrund seines Agenten und eines exzentrischen Verlegers seinen neuen Roman erst im zweiten Anlauf verkaufen kann, bewegt er sich geschickt zwischen Abscheu und Versuchung, aus den bekannten Bahnen auszubrechen und „Macht“ zu gewinnen. Macht über das Anwesen seiner Geliebten hinaus.

Am Ende dreht Hugh Walker nicht zum letzten Mal in seinen „Vampir“ Romanen die potentiellen Klischees des Genres um und verbindet seine geheimnisvolle Frau mit dem Haus. Dieser Schritt wirkt ein wenig zu extrem, ist aber in sich akzeptabel und das gut strukturierte, mit entsprechenden Actionszenen unterlegte Ende befriedigt. Zusammengefasst präsentiert sich „Die Toten lieben anders“ als lesenswerte, stimmungsvolle Variation bekannter „Vampir“ Elemente in einem für die siebziger Jahre nicht unmodernen Ambiente, in das Hugh Walkers „Böse“ anscheinend seit Jahrhunderten vorsichtig und zu lange Zeit unbemerkt nach im Grunde willigen Opfern Ausschau gehalten hat.

Der abschließende Roman „Blutfest der Dämonen“ ist trotz des brachialen Titels und den offensichtlich Anspielungen – so heißt der tote Bürgermeister Franz Xavier Schröpf mit seinen Helfern Hermann Urbanek und vermutlich Martin Eisel(e) – über weite Strecken der beste Roman der Sammlung. Eines Nachts sieht der ältliche Friedhofswächter, das sich der vor wenigen Wochen verstorbene Bürgermeister Franz Schröpf von den Toten erhebt. Im kleinen Ort finden brutale Morde statt, die teilweise von halbnackten Männern auf Pferden mit langen Schwertern -  die lebenden Leichen aus der spanischen Filmserie lassen grüßen – begangen worden sind. Opfer sind alles wichtige Entscheider hinsichtlich der Ansiedelung einer neuen Chemiefabrik, die mindestens eintausendzweihundert Arbeitsplätze in die Gegend bringen soll. Einer der Gegner des Projekts ist der Bürgermeister gewesen. Besteht die Möglichkeit, dass er deswegen ermordet worden ist und jetzt in seinem Grab keine Ruhe findet ?

Atmosphärisch ausgesprochen kompakt mit der richtigen Mischung aus nicht zu kindischen Humor und effektiven Schauerszenen baut Hugh Walker sein Szenario im ersten Drittel sehr gut auf. Mit dem mittelbar betroffenen Helden verfügt der Roman über eine überzeugende Identifikationsfigur, die nach und nach die im Hintergrund gesponnenen Fäden entwirrt. Auch die Idee, dass die „Dämonen“ – hier mischt Hugh Walker sehr viele Aspekte aus unterschiedlichen Subgenres solide zusammen – sich an der fortschreitenden Industriegesellschaft rächen wollen, ist gut extrapoliert worden. Bis schließlich angesichts der Tatsache, dass in dem kleinen Ort während des Zweiten Weltkriegs zahllose Rückzugsgefechte stattgefunden haben und wahrscheinlich Tausende auf die Wiedererweckung warten, der Plot zu kippen beginnt. Die lebenden Toten oder Dämonen sind letzt endlich trotz ihrer Überzahl zu schnell zu töten und Hugh Walker versäumt es, im letzten Drittel dem Leser das Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung zu vermitteln. Das Ende wirkt ebenfalls ein wenig zu abrupt und stellt eine Art Kompromiss dar, der unnötig erscheint.

Auf der anderen sehr positiven Seite verfügt das kurzweilig zu lesende Buch über eine Vielzahl von gut skizzierten Figuren. Dabei beginnt das Spektrum vom alten Friedhofwächter, der seit Urzeiten an jedem Begräbnis teilnimmt und reicht über die Inkarnation des toten Bürgermeisters – er kann zwar kein Telefon mehr bedienen, aber wozu hat man Menschen, die man zwingen kann -  bis zum kapitalistischen Erzschurken, dessen Familie ebenfalls für seinen rücksichtslosen Fortschrittsglauben inklusiv unorthodoxer Beseitigung möglicher Hindernisse bestraft werden muss. Die Figuren erscheinen lebensecht und wenn Hugh Walker nächtens insbesondere im Vergleich zu den ersten beiden Büchern der Sammlung ganze Heerscharen auf beiden Seiten auffährt, dann wird der Leser im „Blutfest der Dämonen“ förmlich mitgerissen. Auf der anderen Seite ist allerdings schade, dass er sehr schnell, zu schnell die Idee Fortschritt gegen Aberglaube wieder fallen lässt und die Motive insbesondere des Bürgermeisters wieder auf eine persönliche Ebene relativiert. Hier wird ausgesprochen viel Potential unnötig verschenkt. „Blutfest der Dämonen“ ist weniger ein moderner Vampir Roman – dazu verstecken sich zu viele andere übernatürliche Wesen von den Zombies über die Dämonen bis zu den Blutsaugern in den einzelnen Sequenzen – als ein geradliniger Horrortrip, in dem die Geister, die gerufen worden sind, sich lauthals und blutig in fast surrealistischen Momenten – alleine die Beschreibungen der verschiedenen Verfolgungsjagden und die Belagerung eines Bauernhofs sind die Lektüre wert – Gehör verschaffen. 

Neben den Exposes, die einen guten Einblick in Hugh Walkers eher freie Arbeitsweise geben und stellenweise deutlich von den abschließenden Texten abweichen, schließt die Kurzgeschichte „Der große Hunger“ die Sammlung ab. Im Gegensatz zu Walkers Romanen spielen seine Kurzgeschichten nicht selten außerhalb von Deutschland wie im vorliegenden Fall in den USA. Der Text ist nicht unbedingt originell, aber intensiv. Die Veränderungen im Protagonisten nach einer unheimlichen Begegnung sind nicht überraschend, aber der Autor erschafft trotzdem eine zufrieden stellende Atmosphäre.

   „Sympathy for the Vampire... ein kleiner Diskurs über Hugh Walker und den Vampir“  aus der Feder Horst Hermann von Allwördens schließt die Sammlung ab. Der Text ist eingangs ein wenig widersprüchlich, denn auf der einen Seite wird davon gesprochen, dass der Vampir Hugh Walkers Werk durchzieht, auf der anderen Seite werden neben dem vierteiligen Zyklus „Drakula GmbH“ nur noch die hier versammelten Arbeiten erwähnt, von denen eine eher ein Zombieroman ist. Ansonsten interpretiert der Autor Hugh Walkers Intentionen sehr zielgerecht und arbeitet die Besonderheiten in dessen hier vorliegenden Romanen zufrieden stellend heraus. Wenn die Werke literarisch an einigen Stellen klischeehaft erscheinen, wirken die vorgebrachten Entschuldigen ein wenig zu konstruiert. Vielleicht liegt die Ursache ist der Tatsache, dass der Artikel ursprünglich in einer Würdigung Hugh Walkers im Rahmen einer „EDFC“ Ausgabe erschienen ist. Das Hugh Walker insbesondere für die siebziger Jahre ein überdurchschnittlicher Horror- Roman Autor gewesen ist, zeigen seine nachgedruckten Werke expliziert, dass er nicht immer mit der Form des Heftromans zufrieden gewesen und das Horrorspektrum erweitern wollte, unterstreicht insbesondere „Blutfest der Dämonen“, wobei die drei hier vorliegenden Romane aber auch zeigen, dass Hugh Walker manchmal seine sehr guten Ausgangsprämissen nicht konsequent zu Ende entwickelt und manchmal vielleicht auch ein wenig augenzwinkernd auf die Klischees zurück gegriffen hat.

 Peter Emmerich hat auch diese Sammlung mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt und bemüht sich weiterhin zusammen mit den „Vampir“ Anthologien des Zaubermond Verlages, die literarischen Schätze des Horror Heftromans der siebziger Jahre zu bergen, den Staub aus den Seiten zu blasen und diese lesenswerten Abenteuer behutsam modernisiert oder wie im vorliegenden Fall auch um gekürzte Passagen ergänzt in seinen Sammelbänden einer neuen Lesegeneration zur Verfügung zu stellen.  

 

 

 

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (28. Februar 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1494956837
  • ISBN-13: 978-1494956837
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