Nova 33

Michael Iwoleit und Michael Haitel (Hrsg.)

Mit Michael Iwoleit tritt der letzte NOVA Gründer des Jahres 2002 aus leitender Reaktionsfunktion zurück, bleibt dem Magazin allerdings als Mitarbeiter erhalten. In seinem ausführlichen Vorwort geht Michael Iwoleit auf die damaligen Ziele der drei Gründer – Ronald M. Hahn und Helmuth W. Mommers waren die anderen beiden Verantwortlichen – ein. Zusätzlich blickt er kritisch auf das eigene Werk, aber auch den Markt für gute Kurzgeschichten. Kompromisse müssen eingegangen werden und NOVA 33 zeigt das teilweise überdeutlich.

Thomas Grüter eröffnet die letzte Michael Iwoleit Ausgabe mit „Freie Wildbahn“. Es ist eine von mehreren Geschichten, in denen es um die Auseinandersetzung zwischen Menschen und Außerirdischen geht. „Freie Wildbahn“ ist titeltechnisch auch Programm. Außerirdische beobachten heimlich Menschen auf der Erde, die unter Naturschutz steht. Menschen beobachten auf einer Fotosafari einheimische  Tiere. Die Konfrontation basiert auf einem Zufall und endet mit einem schwerverletzten menschlichen Führer und der wahrscheinlich unbemerkten Flucht der Fremden. Zwar sind die Dialoge immer am Rande der Farce humorvoll, aber generell bleibt der Plot hinter den Erwartungen zurück und präsentiert nur vertraute Versatzstücke.

Auch „Yuggath“ reiht sich in diese Phalanx schwächerer Geschichten ein. J.A. Hagen baut zwar eine Hommage an H.P.  Lovecraft ein, aber die Invasion der Außerirdischen – die Menschen haben anscheinend ihre Beobachtungsbasis auf dem Pluto entdeckt   folgt auf wenigen Seiten den etablierten Schemata und der Hinweis, man hätte besser den Pluto in Ruhe gelassen, hilft genauso wenig wie das dunkle Ende.

In die Spielewelt entführt Anke Hüper die Leser. Auch wenn der Titel „Außerirdische Daten“ auf eine weitere First Contact Geschichte hindeutet, bleibt vieles vage und ambivalent. Zumindest sorgt sich die Spielintelligenz ZOON um den zahntechnischen Gesundheitszustand des Protagonisten. Die Geschichte ist zu stringent, der Hintergrund zu wenig ausgearbeitet und die vorhandenen Ansätze eher solide als inspiriert.

Auch wenn Karsten Kruschel in Kurz nach dem Einmarsch der Befreiungsarmee“ ein „altes“, aber auch zeitloses Thema aufgreift, ragt seine Geschichte aus den vielen eher durchschnittlichen NOVA Beiträgen positiv heraus. Die Befreiungsarmee – ihre politischen Hintergründe spielen keine Rolle- versucht den Status Quo des besetzten Staates umzukrempeln. Dissidenten werden aus den Registern gestrichen, ihre Persönlichkeiten wahrscheinlich nicht nur im übertragenen Sinne ausgelöscht. Was bei den Ameisen auf dem fremden Planeten beginnt, greift schnell auf die Menschen über. Die Ziele der Befreiungsarmee sind vage und klar zugleich. Vage  hinsichtlich der politischen Neuausrichtung; klar in Bezug auf alles Alte, das zerstört werden muss. Aber nicht jeder sollte an Fundamenten rütteln, die vor mehr als sechsundzwanzigtausend Jahren im übertragenen Sinne errichtet worden sind. Die Pointe  ist fatalistisch, allerdings auch konsequent. Die Besetzung eines Landes; die politische Säuberung dagegen zeitlose Themen, die Karsten Kruschel ausgesprochen pragmatisch, aber auf eine sehr persönliche Ebene reduziert, beschreibt.        

“Kobo, das Wunschkind” von Glen Sedi ist die Auseinandersetzung mit den modernen Helikopter Eltern, extrapoliert um das perfekte künstliche Wunschkind, aus der Fabrik geliefert und mit einer Rückgabegarantie innerhalb von fünf Jahren. Die Geschichte wird aus der Perspektive dieses intelligenten Wunschkindes erzählt, das durch die Trennung der Eltern und ihre Unteilbarkeit abgeschoben wird. Beide Elternpaare sollen leiden. Die Pointe ist pragmatisch und zynisch, aber vor allem die Zeichnung der mit der Situation überforderten, zutiefst menschlichen Kobo ist die Charakterstärke dieser kurzen Geschichte. 

“Alina” - die Anspielung wird im Laufe der Geschichte deutlich- von Lukas Schneider ist ebenfalls eine humorvolle Pointengeschichte. Die Protagonistin wird von der künstlichen Intelligenz ihres Hauses tyrannisiert. Der Ausgangspunkt ist Teil der Pointe. Wenige überraschende Wendungen, aber ein mahnender Zeigefinger hinsichtlich der Abhängigkeit der Menschen von zu viel, nur auf den ersten Blick hilfsbereiter Technik. 

“Die Spinne” von Rafael Torra ist eine Military SF Geschichte, deren Wurzeln irgendwo bei James Camerons “Aliens” zu erkennen sind. Tanine Allison wird im einzigen sekundärliterarischen Beitrag dieser NOVA Ausgabe noch einmal den entsprechenden Staffelstab aufnehmen und sich mit dem Verhältnis zwischen Militär und SF auseinandersetzen. Eine Mission gegen Mutanten auf einem unwirtlichen Planeten wird schließlich zu einer Katastrophe. Die Actionszenen sind gut geschrieben, das paranoide Verhalten des Protagonisten, der schließlich in dem Landefahrzeug mit Namen “Spinne” festsetzt, weil er mehrfach gegen Anweisungen verstoßen hat, ist überzeugend. Es sind eher die Details, weil die allerdings stringent geschriebene Geschichte aus der Masse ähnlicher Plots hervorhebt als das Gesamtwerk.   

Dieter Riekens “Jonas und der Held Terranovas” ist die längste Geschichte der Sammlung. Die Jonas Legende ist ein integraler Bestandteil der Story, auch wenn die Wale auf dem Planeten Terranova eher Würmern ähneln. Der Plot ist ein wenig zu simpel angelegt.  Der Kapitän des einzigen Raumschiffs, das den erdähnlichen Planeten erreicht hat, wird wie ein Volksheld gefeiert. Einmal im Jahr hält er auf dem Erinnerungsfest eine Rede, die Zeit dazwischen verbringt er im Tiefschlaf. Als dieses Fest einmal in einer anderen Kolonie, bewohnt von Japanern stattfinden soll, brechen die rassistischen Vorurteile unter der im Grunde überschaubaren Anzahl von Siedlern auf. Auch Jonas Täuber - der vollständige Name wird erst relativ spät in der Handlung offenbart - muss durch eine Art persönliches Fegefeuer gehen, bevor er während der finalen Rede das Licht der Erkenntnis erlangt hat.  

Vieles wirkt in dieser Novelle konstruiert.  Die Siedler verlagern fast alle Probleme von der Erde auf den neuen Planeten, obwohl nur jeder Zehnte diese Welt erreicht. In derartigen Extremsituationen ist es wahrscheinlicher, dass die Menschen ihre Herkunft vergessen und zusammenarbeiten. Dass Jonas Täuber plötzlich zu einem anderen Menschen wird, ist eine Wendung, die der Autor auch zu wenig vorbereitet. Der Hintergrund der Welt ist eher fragmentarisch entwickelt und der Leser kann sich die seit der Landung verstrichene Zeit nur schwer vorstellen. Technik ist nur noch bedingt vorhanden, die Lebensumstände entsprechen eher den Science Fantasy Welten, die Jack Vance entwickelt hat. Überzeugend sind die gigantischen Würmer, welche den Wal ersetzen. Auch wenn sich der Text relativ fließend und kurzweilig liest, wirkt der Handlungsaufbau auf den zweiten Blick doch sehr bemüht und auf die Holzhammer Botschaft am Ende fokussiert. 

Erik Wunderlich setzt sich mit den Folgen von künstlicher Intelligenz auseinander.  Auf einer Mission ins All wird der Raumfahrer in „Unearthing“ mit dem pragmatischen Vorgehen der künstlichen Intelligenz Anulus konfrontiert. Der erkrankte Raumfahrer Andri wird angesichts eines Notfalls an Bord geweckt und seine Gefährtin Anouk soll ein besonderes Opfer geben, damit die Gesamtmission nicht gefährdet wird.

Die Geschichte ist ein Hörspiel.  Der SWR hat sie 2022 ausgestrahlt. Daher ist der Text Dialog lastig und es lohnt sich, ein Ohr dem auch im Internet zugänglichen Hörspiel zu leihen. Als Geschichte konzentriert sich Erik Wunderlich auf die ein wenig makabre, aber abschließend auch nicht gänzlich überraschende Komponente. Insbesondere zu Beginn agiert die künstliche Intelligenz sehr pragmatisch, auch wenn Erik Wunderlich ihr von Beginn an weibliche Züge über die „normale“ Programmierung hinaus verliehen hat.

 Michael Iwoleit hat die Geschichte „Unsichtbare Körper“ des brasilianischen Autoren Alex Souza übersetzt.  Sie spielt in einem 100 Millionen Einwohner Moloch. Der Protagonist ist aus den Slums von zwei Schwestern gerettet worden und sucht jetzt mit einer Partnerin in den Häusern nach Leichen. Sie wollen den einsam verstorbenen Menschen ein humanes Begräbnis zukommen lassen. Sie sind im Auftrag ihrer Kirche unterwegs.

Alex Souza integriert in diesen dunklen Plot einige Züge, welche die Leser auf der kleinsten zwischenmenschlichen Ebene auch optimistisch stimmen. Gegen Ende vielleicht ein wenig am Randes des Klischees zeichnet der Autor die unwürdigen Lebensbedingungen auf, mit welchen schon in der Gegenwart arme Menschen konfrontiert werden. Ein interessantes, 

Sekundär ist Tanine Allison “Woran man einen Kriegsfilm erkennt. Der zeitgenössische Science Fiction Blockbuster als militärischer Rekrutierungsfilm” - wie mehrfach erwähnt - der einzige, dafür aber auch sehr umfangreiche Beitrag. Auch wenn sich die Autorin im Laufe ihres  Essays auf die beiden Military SF Filme “Battleship” und “Battle Los Angeles” fokussiert, skizziert sie die Geschichte der Kriegsfilme im Gleichschritt mit den Science Fiction Filmen im Grunde seit den vierziger Jahren. Sie macht deutlich, welche Filme beider Genres die Unterstützung des Militärs bekommen und versucht die verschiedenen Wellen zu charakterisieren, wobei die Science Fantasy Märchen wie “Star Wars” in ihrer subjektiven, auf die militärischen Aspekte fokussierten Analyse bewusst auslässt. Ein wenig Realismus ist der erste Türöffner. Ob es sich um militärische Rekrutierungsfilme handelt, muss hinterfragt werden. Klassiker wie “Top Gun” oder “Pearl Harbour”, welche an das militärisch patriotische Herz Amerikas appellieren, sind eher Rekrutierungsfilme, während “Aliens” oder satirisch überzeichnet aus “Starship Troopers” genauso wie einige der anderen angesprochenen Genrefilme zeigen, das Soldat im Krieg kein Zuckerschlecken ist. Auch wenn viele Militärfilme ihren patriotisch pathetischen Unterton beibehalten, zeigen sie das Sterben im Krieg. Sinnlos, meistens, nur selten im Rahmen einer wichtigen Mission. Es ist ein schmaler Grad zwischen Propaganda und Patriotismus, auf welchem sich diese Filme innerhalb und außerhalb des Genres bewegen. Diese Aspekte arbeitet die Autorin an ihren unglücklich gewählten Beispielen zu wenig heraus, denn “Battleship” ist auf der einen Seite natürlich Science Fiction oder besser Military SF, basiert allerdings auch auf einem Spiel, das Handlungsmuster einschränkt, um nicht zu sehr von der Vorlage abzuweichen. Das Essay kann also eher als Diskussionsausgangspunkt verstanden werden und nicht als eine nachhaltig zufriedenstellende Analyse der Zweckehe Science Fiction und amerikanisches Militär.     

Das Titelbild stammt von Oliver Engelhard und wirkt weniger provozierend als bei der letzten NOVA Ausgabe. Uli Bendick, Mario Franke, Gerd Frey, Frank G. Gerigk, Christian Günther, Detlef Klewer und Michael Witmann haben die Kurzgeschichten  fabrig illustriert, wobei die Symbiose zwischen geschriebenen Wort und Graphik noch nicht so perfekt ist wie bei den Exodus Ausgaben. Dieter Rieken ist als Graphiker und Autor vertreten.  

NOVA33 ist eine solide Ausgabe. Es ist schwer, den Finger auf die Schwächen der einzelnen Geschichten zu legen, aber die hier präsentierten Themen sind dem Leser irgendwie vertraut und wirken auch nicht immer wirklich innovativ oder provokant genug weiterentwickelt. Stilistisch sind alle Texte lesenswert, aber nur ganze wenige Storys ragen aus der Masse nachhaltig heraus.



NOVA 33
Magazin für spekulative Literatur
p.machinery, Winnert, September 2023, 216 Seiten, Paperback
ISSN 1864 2829
ISBN 978 3 95765 351 2 – EUR 17,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 751 0 – EUR 5,99 (DE)

NOVA 33 (eBook, ePUB)