1986 erschien Ramsey Campbells Roman „The Hungry Moon“ das erste Mal. In der Taschenbuch Neuauflage acht Jahre später geht der Autor nicht nur auf den Entstehungshintergrund ein, sondern sieht sein Buch in Teilen auch ein wenig kritisch. Der Roman erschien in Deutschland in limitierter Auflage bei der Edition Phantasia, aber auch später als Knaur Horror Roman. Die Übersetzung stammt von Joachim Körber.
Inspiration ist James Herberts Roman „The Dark“ gewesen. In dem 1980 veröffentlichten Roman geht es wie bei Ramsey Campbell um eine Kleinstadt, in welcher ein leerstehendes Haus anscheinend von einer bösartigen, aber intelligenten „Dunkelheit“ Heim gesucht wird. In Ramsey Campbells Roman ist es eine ehemalige römische Bleimiene, die angeblich verflucht ist. Jedes Jahr wird der undurchdringliche Eingang der Höhle von den Dorfbewohnern angesichts eines heidnischen Festtags geschmückt.
In beiden Büchern flieht die Dunkelheit angeblich aus ihren Verstecken und beginnt die in der Nähe liegende Kleinstadt bei Campbell, in James Herberts Roman „The Dark“ die umstehenden Häuser heimsuchen. James Herbert greift auf einen paranormalen Detektiv zurück, welcher die Phänomene untersuchen soll, während die „Rettung“ in Campbells Roman nur von einer aus den Staaten zurückgekehrten amerikanischen Reporterin und einem Journalisten von außerhalb der Kleinstadt kommen kann.
In beiden Romanen führt die Dunkelheit zu einer Reihe von teilweise brutalen Morden, wobei Ramsey Campbell zu Beginn auf in den Wahnsinn getriebene Hunde zurückgreift.
Beide Bücher verfügen aber über charismatische Kultanführer, wobei bei Ramsey Campbell es sich um den Anführer einer urchristlichen Gruppe handelt, die extra aus den USA in diese Kleinstadt ausgewandert sind und die örtlichen Strukturen mit ihrem dogmatisch fundamentalistischen Glauben unterwandern.
Bei „The Hungry Moon“ handelt es sich um Campbells dritten Versuch, James Herberts Roman zu extrapolieren. Die beiden Kurzgeschichten mit teilweise phantastischem Inhalt haben nur einzelne Ideen aufgegriffen, aber nach den eigenen Worten des Autoren nicht zufriedenstellend abgehandelt. Wie eingangs erwähnt, ist Campbell auch mit „The Hungry Moon“ nicht ganz zufrieden, aber das Buch erweist sich unabhängig von einigen Längen insbesondere im mittleren Abschnitt des Plots als eine heute noch interessante, atmosphärisch dichte Lektüre, die sich über die Horrorelemente intensiv mit dem Glauben oder besser Aberglauben, den Vorurteilen der Menschen auf dem Lande auseinandersetzt. Diese brauchen nur einen kleinen Anstoß, um ihre bisherige Denkweise über Bord zu werfen; sich unter den vermeintlichen Schutz von Gott und seinem Sektiererableger auf Erde zu flüchten und frei von Sünden durch eine Art Grundbeichte auf Andersdenkende teilweise brutal loszugehen.
Der Roman beginnt mit einem klassischen Prolog, der vor wichtigen Ereignissen des Buches spielt. Der Leser weiß angesichts des Verhaltens des Journalisten, der seine Freundin Diana in der kleinen idyllischen Stadt Moonwell nicht erreichen kann, das etwas passiert sein muss. Moonwel ist nicht telefonisch zu erreichen – die Geschichte spielt in den achtziger Jahren ohne Handys- noch scheint jemand den Ort noch zu kennen. Auf keiner Straßenkarte ist er mehr verzeichnet. Der klassische Held in jedem normalen Horror Roman macht sich auf den Weg in die Dunkelheit. Das ist buchstäblich zu begreifen, denn wie in vielen Science Fiction Romanen mit virtuellen Welten endet die Straße im Nichts und die Dunkelheit umschließt den Mann. Wie eine Mauer, die durchbrochen werden muss.
Anschließend springt der Handlungsbogen im nächsten Kapitel in die Vergangenheit und Ramsey Campbell beginnt nicht nur den Hintergrund der kleinen Siedlung zu entwickeln, sondern mehr als eine Handvoll sehr unterschiedlicher Protagonisten mit teilweise erstaunlich dreidimensionalen Charakterzügen. Das benötigt allerdings deutlich mehr Zeit als der Leser auf den ersten Blick ahnt und die Geduld wird gefordert.
Einen ruhigen Handlungsaufbau mit weniger Charakteren und einem vergleichbaren Hintergrund – hier schließt erst der naheliegende Wald, später eine Schneekatastrophe einen Ort ein, damit das unsägliche Böse seine Opfer holen kann – hat Campbell schon für den im Vergleich deutlich kürzeren Roman „Midnight Sun“ entwickelt. Im direkten Vergleich wirkt „The Midnight Sun“ auch ambitionierter, weil das Böse für den Leser nicht greifbar ist. In „The Hungry Moon“ konzentriert sich der Autor auf zwei Antagonisten. Einmal das angesprochene Böse, das die Kontrolle der Menschen übernimmt und mit dem christlichen Sektenführer Godwin Mann einen zumindest zu Beginn menschlichen „Schurken“, der seinen dogmatisch urchristlichen Glauben mittels seiner wie Marionetten agierenden Anhänger in der kleinen Siedlung verbreitet. Godwin Manns Ziel ist ebenfalls doppelt ausgelegt. Zum Einen sieht er in den Höhle einen Weg zu Gott, dessen Diener er sein will. Zum anderen will er die heidnischen Bräuchen ausmerzen, welche die Bewohner Moonwells einmal im Jahr zelebrieren.
Auf die achtziger Jahre weist noch etwas anderes hin. In die Nähe von Moonwell ist eine Basis mit Atomraketen des britischen Militärs verlegt worden. Das führt zu Ängsten und Protesten innerhalb der Bevölkerung, Demonstrationen und einer möglichen Machtbasis für das inzwischen mehrfach angesprochene ultimative Böse.
Godwin Mann ist einer dieser charismatischen Sektenführer, deren Typus sich als Antagonist seit den siebziger Jahren etabliert hat. Seine Anhänger kommen aus den Staaten. Mit der Einschulung der Kinder seiner Anhänger gibt es einen Ruck zur konservativen Seite mit den entsprechenden Gebeten und vor allem der Aussortierung aller modern denkenden Lehrer wie eben Diana, die ihre Kinder nicht mit Schlägen bestraft. Diana versucht eine moderne Erziehung. Als Diana ihren Job verliert, bleibt sie im Ort, um den Kindern zu helfen. Bei einer örtlichen Buchhandlung werden Schmutzbücher aussortiert. Godwin Mann bezahlt die Bücher, verbrennt sie allerdings öffentlich auf der Straße und stigmatisiert alle Menschen, die gotteslästerliche Literatur - im Grunde alle Bücher - lesen. Auch hier beteiligen sich schnell einige der Dorfbewohner. Auf den Klippen vor der Höhle kommt es zu öffentlichen Beichtstunden, wo die Bewohner ihre Sünden - dabei handelt es sich teilweise um lächerliche Kleinigkeiten - ausposaunen und so eine allgegenwärtige und zukünftige Vergebung von Mann erhalten. Dabei werden auch einige Geheimnisse aufgedeckt. So steht der eine Ehemann auf Gruppensex und sieht sich auch gerne mal auf Videocassette im eigenen Wohnzimmer einen Porno rein, wie die frisch eingeladenen neuen Nachbarn feststellen. Sie weisen die amourösen Einladungen geschickt zurück, während die Ehefrau inzwischen pragmatisch alles über sich ergehen lässt. Fast genüsslich deckt Ramsey Campbell immer an der Grenze zur Satire, aber keinen Schritt weiter das soziale Klischee Großbritanniens in der Maggie Thatcher Zeit auf. Kein Wunder, dass ein Verdreher und Manipulator wie Godwin Mann hier reichlich Jünger findet.
Einen Wendepunkt erhält die Geschichte, als sich Godwin Mann in die dunkle Höhle abseilt und anscheinend unverändert zurückkommt. In Bezug auf die übernatürlichen Ereignisse ist es rückblickend der Wendepunkt der Geschichte, auch wenn Ramsey Campbell diese Sequenz auf den ersten Blick stiefmütterlich behandelt.
Zu den Schwächen der Geschichte gehört die Zeichnung der Protagonisten. Neben der Lehrerin Diana und ihrem Reporterfreund Nick - der Epilog ist in dieser Hinsicht ein wenig schwammig und wirkt basierend auf der Handlung eher bemüht extrapoliert - ragen noch der tapfere Postbote Eustace und der junge Andrew aus der Masse der protagonisten heraus. Der Postbote Eustace schwärmt für ein ältere Frau im Ort, kann sich aber nicht überwinden, sie anzusprechen. Er versucht sich Abends im lokalen Pub als Standup Komiker und scheitert nicht zuletzt wegen Godwin Manns Anhänger grandios. Später wächst er nicht nur als Helfer über sich hinaus. Unheimlich und verstörend ist sein Kampf auf der Rückbank des Fluchtautos mit zwei Erscheinungen.
Andrew als klassischer Außenseiter und Kind strenger Eltern wirkt fast authistisch. Kinder sind populär in Horror-Romanen. Besonders ungewöhnlich begabte empathische Kinder. Vieles verfolgt der Leser ausschließlich aus Andrews Perspektive, der die Wandlung seines Vaters zu einem Psychopathen verfolgt, aber im Gegensatz zum Leser nicht direkt einordnen kann. Andrew ist insbesondere zu Beginn ein allgegenwärtiger Charakter, der bei den Nachbarn als Ersatzeltern lieber ist in seinem natürlich erzkonservativen zu Hause. Hier bewegt sich Ramsey Campbell immer wieder am Rande des Klischees, verliert er Andrew im mittleren Abschnitt des Romans aus dem Auge
Godwin Mann als charismatischer, gefährlicher Sektenführer, der wie ein wohlwollender “Richter” agiert. Sein Vater hat in einem B - oder vielleicht C - Film den Teufel gespielt. Ein traumatisches Ereignis. Der Film wird auch in dem örtlichen Pub aufgeführt, was auf der einen Seite die wenigen noch freien Denker in der kleinen Gemeinschaft aktiviert, auf der anderen Seite Godwin Manns Anhänger auch dazu bringt, die Versammlung stören zu wollen. Nach dem Abstieg und der Wiederauferstehung im übertragenen Sinne verschwindet Godwin Mann aus der Handlung. Er haust in seinem Hotelzimmer, schaut bedrohlich aus dem Fenster und wird zu einer allgegenwärtigen und doch nicht greifenden Präsenz. Das Dunkel um den kleinen Ort ist bedrohlicher als der Sektierer. Ramsey Campbell hat während des Finales ein weiteres kleines Problem. Er muss Godwin Mann wieder zu einem greifbaren und damit auch angreifbaren Protagonisten machen. In “Midnight Sun” blieb das ultimative Böse unsichtbar, nicht greifbar. Seine Präsenz hat der Autor immer wieder beschrieben, die Handlungen waren brutal und mit der Kälte auch schwer zu bekämpfen, aber wie bei H.P. Lovecraft blieb Ramsey Campbell ambivalent. Godwin Manns finale Inkarnation - ebenfalls ein direkter Bezug zur klassischen Pulp Literatur und vor allem auch ein Vorgriff auf eines von Ramsey Campbells späteren Büchern - könnte außerhalb des Buches wie eine Parodie, eine Art Farce wirken. Je mehr Campbell den schwarzen Vorhang von dem unendlich Bösen aus der ehemaligen Miene tief in der Schlucht zieht, desto mehr muss der Autor aufpassen, dass die “Gefahr”, die Bedrohung, nicht zu greifbar erscheint. Das gelingt ihm nur mit Einschränkungen und der finale Kampf zwischen gut und böse wirkt ein wenig hektisch, zu abrupt abgeschlossen und vor allem wie einzelne andere Passagen des Buches unübersichtlich.
Um die wenigen Helden und Godwin Mann als Vertreter des Bösen hat Ramsey Campbell zwei Handvoll von Nebenfiguren platziert, die im Laufe des Buches nur selten voneinander zu unterscheiden gewesen sind. Alle haben Ecken und Kanten, manche wirken wie absichtliche Parodien auf den bornierten britischen Lebensstil auf dem Lande, aber sie sprechen auf der emotionalen Ebene den Leser zu wenig an, als dass er während der nicht selten brutalen Enden mit ihnen mitleidet. Alleine der örtliche Pfarrer und ein ehemaliger Lehrer und Historiker ragen in dieser Hinsicht aus der Masse positiv heraus.
Vieles bleibt angedeutet. Das Verhalten einzelner Paare mit ihrer unterdrückten Sexualität und ihrem sozialen Verhalten verliert sich im Laufe des Buches. Das gipfelt in einem Psychopathen, der Frauen hinterherläuft und sich im Kopf verschiedene Sexszenarien meistens mit entsprechenden Widerstand bis an die grenze der Vergewaltigung vorstellt. Ab diesem Punkt ist es nur noch ein kleiner Schritt nicht nur in den Abgrund, sondern zum Mord.
Auf der anderen Seite gelingt Ramsey Campbell eine Reihe von atmosphärisch sehr guten Szenen, wenn in dem kleinen Ort mehr und mehr das Licht ausgeht und die Menschen sich in ihre Häuser flüchten. Wobei der Strom in der isolierten Stadt - ein klassisches Stephen King Szenario - auch nicht unendlich vorhanden ist und nur noch Kerzenlichter vor der Menschen verschluckenden Dunkelheit schützen. Die Straßen, die ins Nichts führen. Die Wege, welche in den Abgrund und damit zur Höhle führen. Nur die Raketenbasis wird schließlich wieder zu einem spannungslosen Papiertiger, der kurz seinen gefalteten Kopf hebt und dann wieder in der ominösen Dunkelheit verschwindet. Hier wäre mehr möglich gewesen.
Der lange, phlegmatisch ruhige Aufbau mit einer Fokussierung auf den Hintergrund nach dem konstruierten und auf die Spitze getriebenen Prolog. Die Handlung wird anschließend erst in der zweiten Hälfte des Buches fortgeführt. Zwischen Prolog und diesem Anschlussstück sind die Szenen sehr gut geordnet und zeigen, wie sich alles verändert, damit es diesem seltsamen Gott und seinen Jüngern gefällt.
“The Hungry Moon” ist der Versuch, die uralten britischen Schrecken basierend auf der Druiden Mystik zu modernisieren. Nicht alles ist gelungen und Ramsey Campbell verlangt nicht nur im vorliegenden Roman Geduld von seinen Lesern. Aber wer sich auf den ruhigen, fast phlegmatischen Erzählstil einlässt, wird im direkten Vergleich zu james Herberts “The Dark” ein deutlich mehr ambitioniertes und mit Schwächen auch überzeugender in sich geschlossenes Gruselstück vorfinden, das in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts mehr überzeugt hat als in der Gegenwart. Der Plot ist deutlich gealtert und wirkt aus heutiger Sicht auch schematischer, dafür unterstreicht Ramsey Campbell, dass er mit Implikationen Angst und Furcht in seinen Lesern erzeugen kann und nicht auf platte Splattermomente zurückgreifen muss.
- Herausgeber : Flame Tree Publishing; New Edition (11. April 2019)
- Sprache : Englisch
- Gebundene Ausgabe : 358 Seiten
- ISBN-10 : 1787582019
- ISBN-13 : 978-1787582019