Der Verlag Torsten Low bringt nicht zum ersten Mal einen Science Fiction Art Kalender mit den für jeden Monat einer Kalendergeschichte heraus. Marianne Labisch, Mario Franke und Uli Bendick haben sich zusammengetan, um das Jahr 2025 auf der einen Seite farbenprächtig zu begleiten, auf der anderen Seite findet sich auf der Rückseite jeden Monats eines illustrierte Kurzgeschichte, Es sind allerdings keine zwölf Geschichten, sondern dreizehn Texte, da selbst das Vorblatt eine Story aufweist. Die Themenbreite ist weit, wobei einige Autoren sich aufgrund der Vorgabe, für einen Kalender zu schreiben, natürlich mit dem Thema Zeit auf unterschiedliche Art und Weise auseinandergesetzt haben.
Das Jahr 2025 beginnt mit einer sich selbst erfüllenden Traumprophezeiung. Zumindest in Veith Kanoder- Brunnels „Alice“. Eine Space Rangerin wird zu einem Einsatz gerufen. Es stellt sich heraus, dass ihre vorangegangenen Träume von einem wie ein Gefängnis wirkender Anzug und der Einsatz eng zusammenhängen. Veith Kanoder- Brunnels Biogen wird im Laufe der Miniatur mittels Schlupflöchern im Großen Filter des Fermi- Paradoxons immer größer, was teilweise für das Finale der Geschichte kontraproduktiv ist. Weniger wäre mehr gewesen. Der Autor unterliegt der Versuch, aus einem unerklärlichen Zeitphänomen eine intergalaktische Bestimmung zu machen. Wolf Welling wird diesem Ruf in seiner Geschichte „Die kristallinen Obelisken“ folgen. Beide Geschichten verbinden einfache, klassische Science Fiction Themen mit prophetischen Ausblicken.
Einige Geschichten dieses Kalenders setzen sich mit der Selbstvernichtung der Menschheit (auf der Erde) auseinander. Wolf Wellings „Die kristallinen Obelisken“ hat auch dieses Fernziel in Reichweite. Allerdings beginnt die Geschichte mit der Ausbeutung eines fremden Planeten natürlich durch die Menschen und ihre Helfer. Aber durch die Ausbeutung erweckten Kräfte werden – wie die Legende sagt – sehr viel stärker sein. Trotz der Kürze der Geschichte mittels wechselnder Perspektiven spannt Wolf Welling einen breiten Bogen. Der Kontrast ist bei einigen der Miniaturen spürbar. Entweder handelt es sich wie „Zeitmesser“ um intime Geschichten oder in den wenigen Absätzen werden Äonen und Generationen überbrückt. Diese Breite – unabhängig von der teilweise erstaunlichen inhaltlichen Tiefe der kurzen Texte – macht die Geschichten so lesenswert. Wolf Welling streut noch einige bizarre Ideen in seine geradlinige Handlung und lässt sie auf einer düsteren Prophezeiung enden, welche einigen irdischen Legenden nicht unähnlich ist.
Eine Hommage an Fritz Leibers „Raum-Zeit-Sprünge“ von Friedhelm Schneidewind charakterisiert den von Natur aus kürzesten Monat des Jahres. „Zeitsprünge“ – es bleibt nicht die einzige Geschichte, die sich mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzt – beschreibt die Begegnung zwischen Roboter/ Roboterhund und der Krönung der Schöpfung – der Katze. Das eindrucksvolle Bild in der Mitte der Geschichte macht es deutlich. Fritz Leiber ist sicherlich einer der besten Kurzgeschichtenautoren der Science Fiction und ihres ersten Golden Age gewesen. Ein experimenteller Autor mit dem richtigen Gespür für Inhalt und Form. Friedhelm Schneidewind versucht sprachlich experimentell – nur Michael Sperling wird ihm auf diesem Weg folgen – eine natürlich eher einseitige Verbindung zwischen Katze und Maschine aufzubauen. Ein Unternehmen, das zum Scheitern verurteilt ist. Ein interessanter Auftakt, dem allerdings ein wenig das emotionale Herz fehlt. Andere Kalendergeschichten werden diese Schwäche ausgleichen.
„Nonne und Zögling“ von Achim Stößer sprengt vielleicht ein wenig den Rahmen der Kalendergeschichten. Der Autor muss den Plot stark komprimieren und versucht in wenigen Absätzen die Verbindung zwischen der Nonne – auch hier muss der Leser seine Erwartungshaltung umstellen – und ihrem Zögling originell, aber den Vorgaben der Religionsausübung folgend darzustellen. Die universelle Liebe dient da eher als eine Art Metapher, wobei der Zögling mit seiner irgendwie passiv dargestellten Dickköpfigkeit die richtigen Fragen stellt, aber die falsche Antwort bekommt.
Gard Spirlins „Mein Haus auf dem Mars“ ist eine dieser dunklen Pointengeschichten in der Tradition Roald Dahls. Der Ich- Erzähler hält auf seiner Farm, weniger in seinem Haus Besuch von Touristen, die er gerne und bestimmt herumführt. Das Ende ist bitterböse, kommt auch durch die fehlende Perspektive von außen überraschend, ist aber in sich konsequent.
Nicht jede der hier gesammelten Geschichten muss vom Kern aus phantastisch sein. „Der Zeitmesser“ – der Titel ist rückblickend richtig und irritierend zugleich – von Tom J. Forrester ist eher eine zutiefst menschliche Ode an die Liebe zwischen zwei Menschen, die von außen betrachtet, aber nicht gefühlt werden kann. Diese Idylle, die Konzentration auf das Innere macht den Reiz der Miniatur aus.
Kalender dienen auf ihre Art der Zeitmessung. Daher ist es opportun, wenn sich einige der zwölf Geschichten mit diesem Phänomen auf die unterschiedlichste Art und Weise auseinandersetzen. Johann Seidls „Leuchtturm der Zeit“ ist in dieser Hinsicht die gewaltigste Geschichte. Unabhängig von den Energien, den „gigantischen“ Gebäuden und vor allem der Unfassbarkeit der Unendlichkeit kehrt der Autor indirekt auch zur Erde zurück. Die Einsamkeit eines Leuchtturmwärters – egal ob auf der Erde oder in den Tiefen des Alls-; eine flüchtige Begegnung, die in Liebe endet und schließlich das Warten. Auf eine zweite Chance oder einfach auf das Ende- den Tod. Poetisch, aber sprachgewaltig steht die Geschichte in einem starken, aber inhaltlich auch gut vergleichbaren Kontrast zu Arno Edlers „Dampfzeit“, welche die Geschichte des folgenden Monats ist.
Komprimierter als „Dampfzeit“ von Arno Edler geht es fast gar nicht. In Steampunk Manier nimmt sich die Protagonistin ihrem schlimmsten Feind an. Versucht diesen in seiner turmartigen Fastung zu besiegen. Der Leser ahnt, dass es nur ein Pyrrhussieg sein kann. Der Weg ist trotz der Opfer das Ziel. Intensiv und kompakt konzentriert sich Arno Edler unabhängig von der fatalistischen Pointe vor allem auf für die Kürze des Textes extensive Beschreibungen.
„Trophäen“ von Michael Tinnefeld steht im Grunde zwischen den beiden Texten. Ein Zeitnomade betrachtet seine Trophäen. Sein Lebenswerk ist vollbracht und doch unvollständig, da eine der Trophäen in der richtigen Zeit am richtigen Platz Millionen von Menschen das Leben rettet. Eine schwere Entscheidung. Vieles bleibt in dieser poetisch- verträumten Geschichte irgendwie vage, auch wenn Michael Tinnefeld die neue Trophäe bezeichnet. Aber dieser unbestimmte Blick auf ein großes Ganzes außerhalb der Zeit macht auch den Reiz dieser Miniatur aus.
Nicht nur der Nachbar – im Laufe der Miniatur wird deutlich, um wen es sich handelt – schaut verärgert auf die Entwicklung der Erde in Marco Rauchs „Zu Hause ist es am schönsten“. Auch zwei Außerirdische haben – dem Bild folgend – ihre Krallen seit Äonen im Spiel. Der Autor spielt humorvoll mit einigen Klischees und zeigt, dass selbst auf den ersten Blick höhergestellten Rassen aus Leichtsinn mit fatalen Folgen Fehler passieren. Aber diese sind nichts im Vergleich zum Verhalten der „Zweibeiner“, deren Geschichte zu Ende ist und sich nicht wiederholen wird. Michael Sperling präsentiert in „Dementia- der Gesang des Vergessens“ eine expressive Variante des Themas Mensch und seine selbstzerstörerischen Triebe. Der Glaube an den Fortschritt, der entsprechende Leichtsinn und schließlich die fatalistische Erkenntnis, das es auch ohne Mensch geht, drücken beide Geschichten auf unterschiedliche Art und Weise bei. Bei Marco Rauch kann der Leser noch ein wenig lächeln, bei Michael Sperling ist es ihm schon lange vergangen.
Humorvoll geht es bei Maximilian Wust in „Die Sechserfalle“ zu. Jeder Mensch weiß, dass Lottogewinner, richtige Lottogewinner besondere Menschen sind, die entweder gegen die Wahrscheinlichkeit sich durchgesetzt haben oder ganz einfach „anders“ sind. Aber selbst in dieser Gleichung gibt es eine Radikale, wie der Handlungsverlauf der humorvollen Geschichte inklusive eines pointierten Endes mit einem Bezug auf eine Reihe von vertrauten Klischees zeigt.
Rainer Schorm beendet mit „Welten ohne Zahl“ den Adventskalender. Eine Reise in die Unendlichkeit. Das Bild in der Mitte weißt schon auf die Pointe hin. Es ist nicht die einzige Begegnung mit einem anderen Wesen, vielleicht auch einer göttlichen Entität in dieser kleinen Sammlung von Miniaturen gewesen. Abschied – vom Sonnensystem – und Ausblick – in die unendlichen Weiten – zu gleich. Ein würdiger Abschied vom Jahr 2025, das hoffentlich ein gutes Jahr für die Menschheit werden wird.
Jede der Geschichten hat nicht nur eine oder mehrere entsprechende den Text begleitende Illustrationen erhalten. Jedes Kalenderblatt präsentiert ein farbenprächtiges stimmungsvolles Bild der beiden Herausgeber Uli Bendick und Mario Franke. Die dritte Herausgeberin Marianne Labisch hat sich um die Geschichten gekümmert und die Autoren begleitet. Das Spektrum der Bilder ist breit. Aber genau wie die Zeit in den Kalendergeschichten eine wichtige Rolle spielt, dominiert der Raum. Meistens der Weltraum in seiner unendlich wirkenden Vielfalt. Wie Menschheit in einigen der Texte an ihrem Untergang (einmal ohne bewusste Wiederauferstehung) gearbeitet hat, so wenig finden sich Menschen in diesen Bildern. Maschinenwesen dominieren neben den angesprochen exotischen Welten, die irgendwo zwischen aufregend und melancholisch angesiedelt sind. Die Bilder sind alleine schon ein Blickfang, die Kalendergeschichten runden die gelungene Präsentation ab. Miniaturen sind immer Herausforderungen, wie die langjährige Reihe der phantastischen Bibliothek Wetzlar beweist. Bei einigen der zugegeben auch exzentrischen Themen stoßen die Autoren an ihre Grenzen. Diese Einschränkungen gibt es bei den Kalendergeschichten nicht, was diese Anthologie mit Kalendarium auch gut tut. Für jeden Geschmack ist mindestens eine Geschichte dabei und die roten Fäden – Zeit und die Rücksichtslosigkeit der Menschen – werden auf unterschiedliche Art und Weise von den dreizehn Autoren – das Vorblatt darf nicht vergessen werden – interpretiert, so dass es sich auch lohnt, einen Vorgriff auf die Zeit zu nehmen und alle Geschichten hintereinander zu lesen. Monatlich goutierbar sind die Texte allerdings auch.
Der 2024er Kalender des gleichen Herausgeberteams ist für den Kurd Lasswitz Preis nominiert worden. Qualitativ steht die neue Ausgabe dem „Vorgänger“ in Nichts nach. Hoffentlich findet dieses ambitionierte Projekt nicht nur wieder Gnade vor dem Auswahlkomitee, sondern ausreichend Käufer, damit der Fortbestand gesichert wird.
Mit Geschichten von Arno Endler, Tom J. Forrester, Veith Kanoder-Brunnel, Marco Rauch, Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Johann Seidl, Michael Sperling, Gard Spirlin, Achim Stößer, Michael Tinnefeld, Wolf Welling und Maximilian Wust.
Format: A3 Quer (42,0 x 29,7 cm)
Spiralbindung mit einer schwarzen Spirale inkl. Aufhänger.
Foliendeckblatt vorn und hinten zum Schutz des Kalenders.
Design und Druck in Deutschland.
Preis: 19,90 Euro (incl. Versand)
Erscheinungsdatum: 22.09.2024
bestellbar bei www.verlag-torsten-low.com