Sternenflüge

Larry Niven & George Benford

Der zweite Teil und Abschluss der Kooperation von Gregory Benford und Larry Niven leidet wie der erste Band unter dem uninspirierten deutschen Titel: „Sternenflüge“ ist zwar inhaltlich richtig, aber verfehlt den poetischen und neugierig machenden Originaltitel „Shipstar“, der die Mächtigkeit des gigantischen, aber intelligenten Gebildes deutlich unterstreicht. Benford und Niven gehen in ihrem durchaus zuerst zu goutierenden Nachwort auf die Unterschiede zu Larry Nivens „Ringwelt“ und den folgenden Epigonen wie Bob Shaws „Orbitville“ ein und grenzen so von Beginn an ihre Kooperation von oberflächlichen Vergleichen ab. Der größte Unterschied wird in dieser zweiten Hälfte des Doppelromans überdeutlich. Die gigantische Schale ist nicht wie die “Ringwelt“ passiv und die Hinterlassenschaft einer vor Äonen ausgestorbenen fremden Rassen, sondern ein aktives Gebilde mit einer interessanten, unglaublich erscheinenden Mission, die in ihren Details allerdings sich aus verschiedenen Pulpideen zusammensetzt. Zusätzlich ist mit „Das Kosmotop“ von Andreas Brandhorst ein Buch mit einer vergleichbaren Facette ebenfalls im Heyne- Verlag erschienen. Die Vorgehensweise der Amerikaner unterscheidet sich aber erstens gänzlich von Brandhorsts multikultureller Story, in welcher das gigantische Objekt in erster Linie als MacGuffin gilt und ist zweitens durch die Veröffentlichung des ersten Bandes vor einem Jahr ein wenig älter.   

Die Handlung setzt auf allen Ebenen unmittelbar an "Himmelsjäger" an. Es gibt nur rudimentäre Rückblicke und diese beziehen sich in erster Linie auf die gigantische künstliche Schöpfung der Himmelsschale. Interessierte Leser sollten trotz einiger Längen mit dem ersten Teil des Romans beginnen. Das menschliche Kolonistenschiff hat ja nicht den Kurs mit dem Objekt gekreuzt, sondern es quasi von "hinten" eingeholt und musste sich so durch die "Abgase" des von der Energie eines Sterns angetriebenen Raumschiffs kämpfen. Wie schon angedeutet ist diese Schale nicht nur voller unterschiedlichem Leben, die Nachkommen der "Erbauer" befinden sich mit ihrer speziellen Mission noch an Bord. Um den gigantischen Komplex besser zu erforschen, hat die menschliche Besatzung des Raumschiffs zwei Expeditionen ausgeschickt. Und beide befinden sich am Ende des ersten Buches und dementsprechend zu Beginn des vorliegenden abschließenden Bandes in extremen Schwierigkeiten. Ein Teil der Menschen hat sich an der Oberfläche mit den SIL verbündet. Eine humanoide fremde Rasse, die von den "The Folk" in der Originalfassung titulierten aggressivsten Wesen dieser Welt gejagt werden. Ihre Ausrottung droht. Obwohl sich Benford und Niven mit diesem Spannungsbogen viel Mühe geben, bleibt erstens zu viel an der Oberfläche und zweitens wirken die Actionszenen zu mechanisch, zu wenig originell. Die zweite Gruppe sucht nach einem Fluchtweg von der Schale - das Schiff ist in dem Magnetfeld förmlich gefangen - und dringt in die unterirdischen Höhlen zusammen mit einer an Schlangen erinnernden intelligenten weiteren außerirdischen Rasse ein. Dieser Spannungsbogen ist deutlich nuancierter ausgestaltet, weil im Vergleich zu der exotischen, aber nachvollziehbaren Atmosphäre der Oberfläche es teilweise in fremdartige, aber dank der wissenschaftlichen Vorbildung der Autoren gut erläuterte technische Innere dieser Welt geht. Auch wenn Benford und Niven ambivalent in ihrem Nachwort davon sprechen, dass ausgestorbene Kulturen sehr viel leichter zu beschreiben sie als sich noch entwickelnde; das große dumme Objekte eine morbide Faszination auf den Leser ausstrahlen und jederzeit laufende Maschine hinsichtlich der Faktors Neugierde übertreffen, lebt dieser Doppelroman noch mehr als zum Beispiel "Ringwelt" von seiner künstlichen Schöpfung. "Ringwelt" überraschte die Leser und setzte hinsichtlich der Erwartungshaltung einen Denkprozess in Gang. Bis auf "Kinder der Ringwelt" konnte Larry Niven auch mit unterschiedlichen Co- Autoren die Exotik und Spannung des ersten Buches nicht mehr erreichen. In "Himmelsjäger" / "Sternenflüge" wissen die meisten Leser, auf was sie sich im Vergleich zu den teilweise überforderten Protagonisten einstellen können und müssen: ein künstliches Objekt, das mehr und mehr zu einem eigenen "Wesen" wird. Und diese Neugierde wird vielleicht erzählerisch ein wenig phlegmatisch ausgesprochen gut befriedigt. Im Vergleich zu vielen technokratischen Romanen orientieren sich die beiden erfahrenen Autoren an diesem "Sense of Wonder" und erschaffen selbst in den nicht vor Erklärungen strotzenden Abschnitten des Romans eine wundervolle, dreidimensionale Schöpfung, die wie die "Ringwelt" dem Leser länge im Gedächtnis bleibt als die einzelnen Charaktere. Vor allem scheuen sie sich nicht, ein vorläufiges Ende zu finden und der Schüssel tatsächlich eine interessante Funktion zuzuschreiben, die vielleicht nur unbedingt innovativ für das Genre ist, aber zumindest zufriedenstellt. Ein Bonus ist, dass das Raumschiff der Erde ausreichend Kolonisten für zwei Welten an Bord hat.

 Wie schon angesprochen ist die Charakterisierung der einzelnen Figuren teilweise eindimensional und funktionell. Damit fehlt dem Roman ein warmes Herz, das angesichts der Warnungen vor sinnlosen Kriegen. Angesichts der daraus resultierenden Dramaturgie und Dramatik in der Oberflächenhandlung ein auffallendes Manko, das einige gute Ansätze mit in diesem Punkt überdeutlichen Anflügen von Belehrungen auch entwertet. So wirkt eine teilweise genutzte dritte Handlungsebene mit Captain Redwing und der an Bord verbliebenen Gefahr teilweise wie ein Fremdkörper. Sie erhalten im letzten Augenblick von einer überraschenden Quelle eine wichtige Nachricht, die den Schlüssel zum Geheimnis dieses Flugkörpers enthält. Vorher sind sie nicht nur verschiedenen Angriffen ausgewichen, sondern haben sich mit Geschick, aber auch viel Glück den Gegebenheiten dieser atmosphärisch ungewöhnlichen Welt angepasst. Am Ende ist es ein MacGuffin, der nach einem doch teilweise zu langen und spannungstechnisch sehr distanziert geschriebenen Mittelteil, die Handlung nicht nur überdurchschnittlich voranbringt, sondern abschließt.

Als Ganzes betrachtet führt der Doppelroman den Leser aber ungefähr vierzig/ fünfzig Jahre zurück, als der reine technische Wunderglaube einer auf Fakten basierenden wissenschaftlichen Extrapolation verschiedener Gedankenmodelle gewichen ist. Als der Zynismus der New Wave wieder Platz für modernisierte Space Operas geschaffen hat und die Autoren sich wieder den Tiefen des Alls zuwandten, um getragen von "Star Trek" auf die Suche nach Leben dort draußen zu gehen. Zu den Stärken gehört, dass die Besatzung des Kolonistenraumschiffs auf keine schwarzweiß "gemalte" Welt getroffen ist, sondern die von den Autoren beabsichtigten auch politisch militärisch implizierten Grauzonen dreidimensional und überzeugend auf Augenhöhe der natürlich das Geschehen dominierenden künstlichen Schöpfung untersuchen kann. Der Doppelband ist wie die Autoren im Herzen jung geblieben und beginnt schnell mit ein wenig anfänglicher Geduld hinsichtlich der inhaltlichen Mechanismen dieser Expeditionsromane schnell zu fesseln. Es ist nur schade, dass sich diese Routine, diese Erfahrung nicht in der besseren Zeichnung der Menschen und vor allem einer exotischeren Charakterisierung der Fremden - äußerlich funktioniert die Vorgehensweise, aber irgendwie sind ihre Handlungen zu menschlich und damit überwiegend vorhersehbar - nieder geschlagen hat. Dann wären "Himmelsjäger" und "Sternenflüge" die besten Romane, die Benford und Niven seit vielen Jahren auch einzeln oder mit anderen Partnern zusammen geschrieben hätten.      

 

  • Broschiert: 592 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (8. September 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453315812
  • ISBN-13: 978-3453315815
  • Originaltitel: Shipstar