Die verlorenen Sterne- der Ritter

Jack Campbell

Mit „Die verlorenen Sterne- der Ritter“ beginnt der Bastei Verlag keine zweite Serie des Amerikaners Jack Campbell, sondern im Grunde einen dritten Zyklus. Die ersten beiden Serien sind quasi unter dem Oberbegriff „Die verlorene Flotte“ zusammengefasst worden. Mit „Die verlorenen Sterne“ wendet sich Jack Campbell vordergründig mehr der nicht einfachen politischen Situation nach der Rückkehr der verlorenen Flotte zu. Nicht zuletzt durch die Gefahr der Außerirdischen, aber vor allem durch inneren Spannungen zerfällt die Autorität der Sternensystemallianz mehr und mehr. Egal wie hart – ein Aspekt, der spätestens seit „Star Wars“, aber auch unzähligen Military Science Fiction Serien bemüht und klischeehaft ausgewalzt wird – die Zentralregierung versucht, die einzelnen Welten zu unterdrücken, sie können Anarchie und Bürgerkrieg nicht verhindern. Jack Campbell ist sich hinsichtlich der politischen Ausrichtung seiner Zukunft aber nicht sicher, was wirklich den Menschen helfen könnte. Die zentralisierte Regierung sieht er als eine Mischung aus Opportunisten, dem Gerücht einer Oligarchie und im Zusammentreffen mit dem Helden aus der Vergangenheit, der für stringente militärische Züge steht, auch als Diktatur. Auf der anderen Seite kann angesichts der weiteren Romane Jack Campbell die Entstehung einer wehrhaften Demokratie nach patriotischem, aber nicht reaktionären amerikanischen Vorbild nicht aus dem Boden stampfen. Der Prozess wird sich ohne Frage durch die nächsten Romane ziehen. Das Sternensystem Midway – nomen est omen – spielt dabei eine zentrale Rolle, denn nicht nur die Siedler haben ein Interesse an einer neuen Art von Freiheit, die Zentralregierung will jegliche autarken Bestrebungen im Keim erdrücken und die Außerirdischen sehen in dem System einen wichtigen Brückenkopf. Die Zentralregierung hat gegenüber den Bürgen Midways im Grunde zweimal versagt. Zum einen als die Außerirdischen nach dem System griffen, zum anderen während der ersten Runde des Bürgerkrieges. Auch wenn viele der hier implizierten Situationen ihren Ausgangspunkt eher in den Ereignissen der „Verlorenen Flotte“ genommen haben, braucht ein interessierter Leser nicht die ursprünglichen Romane lesen. Vieles wird nicht zuletzt dank der solide geschriebenen Dialoge förmlich nachgeholt und der Leser auf den neusten Stand gebracht. Routiniert erweitert Jack Campbell auf diese Art und Weise seine Schöpfung und kann gleichzeitig zwei konträre, im Vergleich allerdings zu seiner ersten Serie deutlich ambivalent entwickelte Figuren einführen. Da wäre für die Planetenoberfläche Artur Drakon, der mit einer Handvoll loyaler, aber exzellent ausgebildeter Soldaten nach der Kontrolle über das Midway System greift. Mit Gwen Iceni hat er eine eher unfreiwillige Verbündete. Wie nicht selten in Jack Campbells Universum sind es die karrieretechnisch eher gebrochenen Figuren, welche „Spiel bestimmend“ sind. Ihre Vorgesetzten sagen sie nicht als rücksichtslos oder brutal genug im Umgang mit den jeweiligen Feinden an.  Mit einer intelligenten, vielschichtigen Taktik konnte sie die im System verbliebenen Schiffe besiegen. Sie ruft die Unabhängigkeit für das System aus und setzt sich selbst als Präsidentin ein, obwohl sie auf die Bodentruppen von Drakon angewiesen ist, weil dort nicht ausreichend Widerstandsnester sind. Vor diese Konstellation baut Jack Campbell noch zwei weitere Aspekte. Zum einen die schon mehrfach angesprochenen Außerirdischen, welche mit einzelnen abtrünnigen System sehr viel besser fertig werden könnten als mit den allerdings geschwächten Zentralregierung und dann auf der anderen Seite die Bevölkerung der Welt, die mit ihren Maßnahmen nicht einverstanden sind.

 Durch wechselnde Perspektiven versucht Jack Campbell die Interessen der im Grunde vier Parteien miteinander zu verbinden. Dabei sind die Grundprämissen relativ schnell etabliert. Auch  wenn die Zentralregierung insbesondere in den „Verlorenen Flotte“ Romanen als eine Mischung aus den schon erwähnten Aspekten beschrieben worden ist, impliziert Jack Campbell auch die Paranoia des ehemaligen Ostblocks. Das lässt die Romane nicht unbedingt antiquiert erscheinen, wirkt aber phasenweise befremdlich. Mit dem Auftreten des Jokers „Black Jack“ wurde die bisherige Ordnung kräftig im ersten Zyklus durcheinander gebracht. In der vorliegenden Serie versucht der Autor aufzuzeigen, wie zwei gänzlich konträre Menschen in einem ganz bewusst auf gegenseitigem Misstrauen aufbauenden System in einer extrem schwierigen Situation für ein gemeinsames Ziel arbeiten müssen. Hinzu kommt, das sie sich nicht nur vertrauen müssen, sondern vielleicht auch geschlechterspezifisch stellvertretend eine ganz andere Art von „Krieg“ zusätzlich führen. Die Charakterisierung der einzelnen Figuren gehört bislang nicht unbedingt zu den Stärken Jack Campbells. Insbesondere Frauen wurden stereotyp beschrieben. Interessant ist, das diese Entwicklung sich mit dem zunehmenden Erfolg der „Verlorene Flotte“ Romane noch verstärkte und insbesondere die wichtigen weiblichen Kommandofiguren mehr und mehr in den Hintergrund traten. Mit Gwen Iceni verfügt er über eine Figur, die auf den ersten Blick zumindest interessant und ausbaufähig ist. Zu den Klischees gehört ist, das sie sich zuerst als zu weich erwiesen hat, bevor sie ihre Vorgesetzten quasi im Feldzug gegen diese überzeugen konnte. Taktisch clever geschult verfügt sie über eine gesunde Mischung aus Pragmatik und kriegstaktischer Intelligenz in Kombination mit einem harten, aber fairen Führungsstil. Es wäre interessant gewesen, wenn Jack Campbell vielleicht die Protagonistenrollen noch getauscht hätte. So wurde Iceni verunglimpft, weil sie Schwäche gezeigt hat. Und General Drakon ist von Beginn an der charismatische „Führer“, der mit der Geheimpolizei eher Katze und Maus spielt. Ein Mann mit emotionalen Schwächen und eine entschlossene Frau hätten der Serie von Beginn an mehr Spritzigkeit gegeben. Um diese beiden wichtigen und für die zukünftigen Romane im Grunde nur relevanten Anführer auf dem Weg zueinander herum hat Campbell allerdings eher mit den eindimensionalen Schurken weitere Klischees platziert. Nicht selten werden diese Figuren ausschließlich pragmatisch geführt und dienen als stereotype Klischees, um den Leser von der Richtigkeit Icenis und Drakons Weg zu überzeugen. Da sie in mehrfacher Hinsicht einen Zweifrontenkrieg – die äußere Bedrohung setzt sich wiederum aus verschiedenen Fraktionen zusammen, während die Bevölkerung selbst noch von ihrer zukünftigen Freiheit überzeugt werden muss – führen müssen, wirkt Campbells Argumentation sehr stark von der amerikanischen Revolution gegen die Briten beeinflusst, während die Außerirdischen in mehrfacher Hinsicht die Indianer darstellen können. Das ausschließliche Reagieren auf zukünftige Bedrohen nach dem anfänglichen Agieren hilft Jack Campbell, die zweite deutlich nuanciert gestaltete Hälfte des Romans glaubwürdiger und weniger klischeehaft zu gestalten.    

Seine bisherigen Military Science Fiction Arbeiten haben sich durch eine selten erlebte dreidimensionale Kriegsführung im All ausgezeichnet. Im Vergleich zu vielen anderen SF Autoren nicht zuletzt dank seines militärischen Hintergrunds weiß Jack Campbell, worüber er schreibt und hat wahrscheinlich indirekt klassische Konfrontationen in die dritte Dimension des Alls geschickt extrapoliert. Auf dem Boden fanden bislang eher Kommandounternehmen statt. In dieser Hinsicht bleibt sich der Autor auch mit dem vorliegenden ersten Roman der neuen Serie treu. Die Hintergründe des „Midway“ Systems werden als Ausgleich zur zahlenmäßigen Überlegenheit der Feinde gut bis sehr gut ausgenützt, so dass die erdrückende Übermacht der Feinde auch glaubwürdig vorerst verdrängt werden kann.

Der andere Aspekt – der Übergang von der natürlich brutalen Unterdrückung der Massen zu den ersten Schritten einer progressiven, aber noch nicht parlamentarischen Demokratie – wirkt ein wenig zu stark mit Phrasen unterlegt. Jack Campbell ist sich hinsichtlich des Weges nicht unbedingt sicher. Anscheinend bevorzugt er die harte Politik der Republikaner mit einer anführenden Elite und einem Volk, das es einigermaßen gut unter diesen egoistischen Anführern geht. Vielleicht wird dieser Eindruck auch nur durch den kontinuierlichen Personenkult erweckt, den Jack Campbell von Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit immer wieder dem Leser vor Augen geführt wird.

Für ein abschließendes Urteil ist es angesichts des ersten vorliegenden Bandes einer neuen Serie noch zu früh, aber auch unter Ausnutzung manchen Klischees der Military Science Fiction hat der Amerikaner zumindest einen kurzweilig unterhaltsamen Roman geschrieben, der unabhängig von den eher groben politischen Zwischentönen und dem martialischen Freiheitsdrang natürlich unter den richtigen Anführern zur richtigen Zeit mit ein wenig kritischer Distanz gut zu lesen ist. Der Originaltitel „The tarnished Knight“ scheint sich allerdings eher auf Schachstrategien als den vorliegenden Roman zu beziehen.  

  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch); Auflage: Aufl. 2014 (15. April 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404207688
  • ISBN-13: 978-3404207688
  • Originaltitel: The Lost Stars - Tarnished Knight