Nightwhere

Nightwhere, Rezension, John Everson, Thomas Harbach
John Everson

John Eversons „BDSM“ Thriller ist ein schwer einzuordnendes Buch. Das liegt ohne Frage an der Ambivalenz des Plots, sowie dem starken Kontrast zwischen der Liebesgeschichte – Mark & Rae – auf der einen Seite und dem Bondageclub „Nightwhere“ auf der anderen Seite, der die Erfüllung aller Perversitäten verspricht.  Rückblickend war sich Everson nicht unbedingt sicher, ob er einen brutalen menschlichen Horrorthriller schreiben wollte oder ab die Hinweise auf einen übernatürlichen Hintergrund konkreter gefasst werden sollten. Vielleicht ist es sinnvoll mit dem Club anzufangen. Vieles erinnert nicht nur an Clive Barkers „Hellraiser“, sondern viel mehr an John Constantines „Hellblazer“ Comics, in denen die dunkle britische Realität auf übernatürliche Wesen wie Dämonen oder Engel stoßen konnte. Diesen Kollisionskurs versucht der Autor auch, ohne frustrierend gegen Ende konkret zu werden. Das hilft ihm bei der Ausgestaltung des Buches und vor allem der Fokussierung auf die immer „schlimmer“ werdenden Perversitäten, es entschuldigt aber nicht, dass sich Everson weigert, entsprechende Antworten zu geben. Auch wenn Autoren wie Stephen King nicht selten an diesem Zwang zum abschließenden Erklären in ihren nicht immer überzeugenden Enden gescheitert sind, macht sich Everson nicht einmal die Mühe. Stellvertretend für den Leser ist Mark klar, dass „Nightwhere“ ein besonderer Club sein muss. Er erscheint alle vier Wochen an unterschiedlichen Orten. Bei seinen späteren Untersuchungen stellt sich heraus, dass der Club mit seinem Inneren gar nicht an diesen Orten gewesen sein kann. Wie eine TARDIS stimmt das Innere nicht mit seiner Umgebung überein.  Gut, geht man davon aus, dass der Club einen Übergang zur Höhle darstellen könnte, in dem alles möglich ist und irgendwann die Rechnungen bezahlt werden, so macht das Erscheinen eines gefallenen Engels vielleicht auch noch Sinn, der sich später in Mark verlieben wird. Selbst das ein wenig kitschige Ende – immerhin hat Mark seine Taten aus dem Affekt heraus begannen und wollte nur retten, was nicht zu retten ist – könnte als Erklärung dienen, aber warum der Autor sich im Verlaufe des Plots nicht entschiedener zu seiner Idee positioniert hat, bleibt sein Geheimnis und es macht über die noch anzusprechenden BDSM Szenen hinaus es schwer, den Roman wirklich einzuschätzen.  Auf der anderen Seite dienen diese potentiell übernatürlichen Erklärungen mit der Idee einer Verführung der „Schwachen“  zu stark als Relativierung der Handlung. Viel schockierender wäre es, wenn es keine Möglichkeit des Übernatürlichen, der Versuchung durch Abarten des Teufels geben würde und Rae alleine auf der Suche nach der ultimativen Befriedigung immer tiefer fallen und brutalere Taten ausüben würde.

In Bezug auf die Beziehung zwischen Mark und Rae nimmt sich der Autor anfänglich ausgesprochen viel Zeit, die unterschiedlichen Positionen zu verdeutlich.  Mark ist im Grunde ein normaler Mann mit normalen Begierden. Obwohl er seine Frau fast krankhaft liebt, weiß er, dass er sie körperlich niemals alleine haben kann. Am Ende entscheidet er sich für eine nicht weniger attraktive „Alternative“, aber es dauert, bis die Erkenntnis in ihm wächst. Von Bondagespielen – wobei hier weniger der Sex als der Schmerz im Mittelpunkt stehen – über Swingerclubs führt der Weg aufgrund einer interessanten, aber anonymen Einladung schließlich in den „Nightwhere“ Club.   Auch wenn Mark Sex mit einer sehr attraktiven frau hat, ist es Rae, die von einer Frau richtig ausgepeitscht dem Club verfällt. Bei der nächsten Einladung nimmt sie ihren Mann nicht mehr mit und nur durch einen Zufall kann er ihr noch folgen. Da neben dem Barbereich und der Übungszone die „roten“, „blauen“ und schließlich der schwarze Raum ihm versperrt sind, muss er schließlich zu radikalen Mitteln greifen, um Rae zu befreien und hoffentlich wieder nach Hause zu bringen.  Während Mark erstaunlich „harmlos“ anfängt, unterwirft er sich immer wieder Demütigungen im Club, um Rae wiederzufinden. Er ahnt, dass sie längst die Grenzen durchbrochen hat. Warum er schließlich bei dem letzten Sexakt so abrupt reagiert, wird zu wenig nachhaltig vorbereitet. Rae war am Töten von Menschen direkt oder indirekt schon vorher beteiligt. Rae dagegen bleibt eine Chiffre. Anstatt sie als Persönlichkeit dreidimensionaler zu beschreiben, reagiert sie auf den jeweiligen Kick ambivalent und  instinktiv. Natürlich ist es verführerisch, eine Frage nicht nur ohne Hemmungen zu beschreiben, die aktiv wie passiv sich in den immer brutaler werdenden Spielen einbringt, aber im Grunde genommen lebt Rae zu wenig in den außerhalb des Clubs spielenden Szenen. Das macht es auch einfacher, sie zu verurteilen. Neben dem ominösen Clubchef und den Voyeuren – interessante Kreaturen, die ein wenig aktiver in die Handlung hätten eingebaut werden können – sind es eine attraktive,  Rae zum ersten Mal richtige auspeitschende Frau und mit dem Frauenhasser Gordon ein Psychopath, die zu klischeehaft angelegt worden sind. Dabei verkörpern sie so viele menschliche Schwächen und werden schließlich für ihr Fehlverhalten bestraft, während Rae in den Rängen aufsteigt. Diese Aburteilung für Missgunst und  eine Kurzschlusshandlung ist konsequent, auch wenn es die einzigen beiden mehrfach auftauchenden Nebenfiguren sind, die aus der normalen BDSM Szene negativ durch ihren Hang zum Töten herausragen. Auch hier wäre weniger mehr gewesen. Es ist interessant, wie stark sich alle Besucher des Clubs den Regeln unterordnen und das es im Grunde keine Abweichler gibt. Es wird immer wieder deutlich gemacht, dass mit dem Betreten des roten Raums eine Schwelle überschritten wird und eine „Rückkehr“ nicht mehr möglich ist, dieser Exzess wird aber zu wenig gelebt. Die Zeit scheint im Club anders zu verlaufen als in der Realität, aber hier fehlt wie eingangs beschrieben der Bogenschlag zur Positionierung des “Nightwhere“.

 Natürlich wird am Ende Gordon entsprechend „bestraft“. Dazu ist diese Figur zu negativ, zu sadistisch, zu dekadent brutal und zu selbst bezogen gezeichnet worden. Aber mit ein wenig mehr Mühe, hätte „Nightwhere“ auf der emotionalen Ebene ein erdrückend gutes und nicht nur sadistisch schockierendes Buch werden können.  Was die Absonderlichkeiten an sich angeht. Es geht weniger um Sex – auch wenn der Mittel zum Zweck ist - , sondern um Gewalt.  Everson bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen abstoßend und faszinierend. Für die Normalveranlagten werden die Szenen nicht erotisch sein. Die Entwicklung von Mark und Rae in diese Szene – sofern Rae vorher nicht ihren Drang im frühen Stadion der Beziehung zu ihrem Mann Mark nur unterdrückt hat – wird nicht vorsichtig oder erotisch beschrieben, es gibt einige wenige Rückblicke und dann sind sie mitten drin im Club. Später mit dem Hasenrennen, der Altaropferung oder dem finalen Akt baut der Autor eine brutale Szene auf die andere. Hohes Tempo, intensive, exzessive, aber den Mainstream im Augen behaltende Beschreibungen. Interessant ist, dass der einzige „normale“ Akt auch von Übernatürlichen begleitet wird und die „Voyeure“ für eine Erweiterung des Plots gut gewesen wären.  Es sind diese Szenen, die auf der einen Seite unter die Haut gehen, auf der anderen Seite aber wegen der zu pragmatisch beschriebenen Protagonisten auch positiv eine Distanz zum selbstgewählten Leid lassen. Es ist erstaunlich, welchen Qualen sich die Menschen unterwerfen, auch wenn der Autor schnell die Grenzen des „Realistischen“ überschreitet und in Clive Barkers Welt eintritt. Das sind große Schuhe, an denen sich Everson messen lassen muss. Während Barker aber die perverse Phantasie seiner Leser immer wieder angeregt hat,  erscheint „Nightwhere“ explizierter und deswegen vielleicht auch weniger phantastisch.  Interessant ist, dass der Autor eine sehr einfache Geschichte zugrunde legt und seinen Protagonisten nur ein bedingtes Happy End gönnt. Viele Fragen bleiben offen und vor allem der im Grunde phantastische wie unrealistische Hintergrund des Buches – ein plötzlich erscheinender Club, übernatürliche Wesen und eine Verbindung zur Höhle – wird ausschließlich impliziert. Es ist hinsichtlich der Brutalität ein über die Grenzen hinausgehender BDSM Thriller, der nichts mit den in erster Linie für ein weibliches Publikum geschriebenen „50 Shades of Grey“ oder anderen Unterwerfungsromanen zu tun hat, denn über eines muss sich der Leser klar sein, obwohl Rae auf vieles reagiert und ihre Grenzen ausgetestet werden, ist sie weder devot noch ein Opfer, sondern agiert auf der Jagd nach dem ultimativen Orgasmus zielstrebig wie egoistisch.     

 



Buchreihe:Horror TB
Auflage:Deutsche Erstausgabe
Buchseiten:400 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:19 x 12 cm
ISBN:978-3-86552-286-3
Originaltitel:NightWhere
Übersetzung von:Bettina Ain
Erscheinungsdatum:07.06.2014
Kategorie: