Dr. Who "Silhouette"

Doctor Who, Silhouette, Justin Richards, Rezension
Justin Richards

Justin Richards kümmert sich in seinem ausgesprochen geradlinigen Roman „Silhouette“ weiterhin um die Ära des 12. Doctors und damit auch wieder um das viktorianische London. Vielleicht ist es Zufall, dass ausgerechnet in einer weiteren Sherlock Holmes Euphorie vor allem in der Fernsehserie mit Steven Moffat immer wieder diese Ära angesteuert worden ist. Neben der möglichen Hommage an den Steampunk gibt es im vorliegenden Buch mehr als eine Anspielung auf den berühmten viktorianischen Detektiv, der nicht nur zitiert, sondern dessen Existenz ein wenig persifliert wird. Vielleicht ist es die Anziehungskraft der am Ende des 19. Jahrhunderts möglicherweise technologisch am fortschrittlichsten erscheinenden Stadt auf der Erde oder gar die Idee, das sich intergalaktische Mächte vom Glanz und Gloria des Imperiums mehr angezogen fühlen als zum Beispiel vom alten Rom. Wie sehr den „Timelords“ am London am Herzen liegt, zeigt sich an Trenzalore, das einer alten viktorianischen Stadt ähnelt, in welcher der 11. Doctor immerhin 900 Jahre seines unsterblichen Lebens verbringen musste und weniger durfte. Alleine aufgrund dieses Aspekts müsste eigentlich ein anderes Ziel ausgesucht werden, zumal „Silhouette“ mit seiner Mischung aus Magie auf dem Frostmarkt und Technik auch für ein New York des frühen 20. Jahrhunderts geeignet gewesen.

Fans der Paternoster Gruppe um Vastra, Jenny und Strax werden begeistert sein. Auch wenn sie am Ende dem pragmatischen Doctor nicht ebenbürtig sind, ergänzen sie nicht nur die Handlung, sondern ermitteln auf eigene Faust. Wer sich mit diesen Nebenfiguren nicht auskennt, wird dank der pointierten Dialoge sehr gut eingeführt und kann sich schnell ein Bild von ihnen machen.  „Silhouette“ lebt aber weniger von den bekannten Protagonisten, sondern vor allem von den faszinierenden „Bildern“, die der Autor Justin Richards der Fernsehserie angemessen zeichnet. Als Gegengewicht zum Doctor und seiner Begleiterin Clara hat Justin Richards Jenny und Strax zu einem Team geformt. Der Roman beginnt im Grunde weniger als Hommage an Sherlock Holmes, sondern an Gaston Leroux, der mit einem Mord in einem abgeschlossenen Zimmer Kriminalgeschichte geschrieben hat. Gleich zu Beginn wird ein Mann nach dem Besuch auf dem Frostjahrmarkt und dem Kuriositätenkabinett in einem abgeschlossenen Zimmer ermordet. Er hat gerade einen Brief an die Detektivin Vastra angefangen. Gleichzeitig wird der Doctor mit der TARDIS durch eine Raumzeitanomalie wieder auf das viktorianische England aufmerksam. In den beiden sich parallel laufenden Handlungsbögen geht es schließlich wieder um eine Gefahr, die zumindest ganz London, wenn nicht den Süden Englands betrifft. Aber bis dahin ist es ein weiter weg. Während der Doctor zusammen mit Clara eher brachial ermittelt, verfügt der Roman hinsichtlich der Untersuchungen von Strax über eine ausgesprochene Wärme. Strax ist inzwischen mit den Sitten und Gebräuchen Londons vertraut, auch wenn er bei der Morduntersuchung – immerhin ist ein Freund von ihm gestorben – auf seine natürlichen Grenzen trifft.  Da die Mordermittlung anfänglich im Mittelpunkt des Buches steht, kann Justin Richards mit einer fast intimen Handlung punkten, während der Verschwörungsplot abschließend nicht nur ein wenig an „Kingsman“  – Justin Richards Roman ist allerdings früher entstanden und zeitgleich mit dem Film veröffentlicht worden -   sowie einige Steampunk Geschichten erinnert. Am Ende kann sich der Doctor nicht nur aus einer unmöglichen Situation befreien und den eigentlichen Gegner Schachmatt setzen, vor allem ist der Doctor nach seinen Erlebnissen im Krieg inzwischen so weit, dass die Schurken auch bestraft werden. Angesichts der Kürze des Textes ist der Leser anfänglich verblüfft, wenn anscheinend zwanzig Seiten vor dem eigentlichen Ende des Buches alle Probleme gelöst werden. Interessant ist, wie mit einem faulen Kompromiss der Gegner nicht nur doppelt in Sicherheit gewogen wird, sondern selbst in die auf ihn wartende Falle läuft. In dieser Hinsicht überrascht das zynische Ende.

Auf dem Wege dahin werden einige originelle Fallen geboten. Dabei schwankt die Handlung zwischen Komik und Tragik. Der Frostmarkt ist eine faszinierende originelle Schöpfung. Im Winter tummeln sich die Menschen bei den Schaustellern. Der Doctor frustriert einen starken Mann, in dem er seine Show und vor allem seine Gewichte als zu leicht deklassiert. Wenige Szenen später kommt dieser im Grunde naive und herzensgute Kraftmeier ums Leben. Justin Richards zeigt an diesen Szenen, wie gefährlich die Widersacher wirklich sind. Mit Silhouette, der Titelfigur, verfügt der Roman über eine wunderschöne und gefährliche Antagonistin, die vom Mann im Hintergrund negativ beeinflusst worden ist. Sie kann leblose Dinge zum Leben erwecken. Das äußert sich nicht nur bei den gefährlichen wie wunderschönen Origamifiguren – die Idee des passiven Boten ist überdurchschnittlich gut - , sondern auch in der Tötung des starken Mannes. Silhouette erscheint auch als Figur absichtlich eher eindimensional, wie ein Schatten gezeichnet. Sie beherrscht das Schattenkabinett und die Erkenntnisse des Doctors auf der Suche nach den Fäden oder Hacken sind verblüffend einfach in Sherlock Holmes Manier gestaltet. Dank der Aussagen ihrer ehemaligen Kollegen ist Silhouette eher Opfer von üblichen Machenschaften als eigentliche Täterin. Aber Justin Richards hält nichts von der Bekehrung der Opfer in letzter Sekunde und bleibt in dieser Hinsicht konsequent. Wie sehr die Schurken in ihrem Irrglauben nach jedem Strohhalm greifen, ist sogar tragisch. Auf der anderen Seite überspannt Justin Richards den Bogen und im Vergleich zur Plotdichte des Romans hätte er auf diesen Countdown verzichten können. Alle anderen Actionszenen sind sehr viel differenzierter, intensiver und vor allem origineller beschrieben worden. Selbst die wahnsinnig werdenden Menschen in London vermeiden die Klischees, die aus dem Zombiegenre heraus in den Bereich der Science Fiction hinüber gewechselt sind.

Der Antagonist im Hintergrund mit seiner verschrobenen Weisheit ist ebenfalls überzeugend gezeichnet. Ein Opportunist, der die Grenze zwischen fragwürdigen Handel und Menschenexperimenten nicht kennt. Der sich wie viele überdimensionierte Schurken nur als kleines Rad in einem gigantischen Gewinde sieht und trotzdem jegliche Schuld von sich weist. Er verkörpert den klassischen rücksichtslosen Kapitalisten und passt in dieser Hinsicht in diese Ära des Wandels. Interessant ist, dass er nicht nur durch seinen Größenwahn überzeugen kann, sondern vor allem vielschichtig genug vorgeht, um tatsächlich seine neuen Ideen an den unschuldigen Bewohnern Londons auszuprobieren. Alleine die Beseitigung dieser Gefahr wirkt ein wenig abrupt und erinnert mehr an die verschiedenen Superheldencomics, in denen fast aus dem Nichts heraus eine neue Fähigkeit ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird. Oder an einige der grotesken Szenen aus Terry Gilliams Filmen, in denen aus Allegorien Wahrheiten geworden sind. Optisch – wenn der Leser den Roman direkt auf die Fernsehserie überträgt – reiht sich dieses vorläufige Ende in eine Reihe von wirklich sehr starken Szenen ein, die beginnend mit Silhouette Schattenkabinett über eine ganze Straße voller Vögel – Strax herrlich skurriler rettender Auftritt ist lesenswert -  bis zum nicht befriedigenden, aber visuell interessanten Ende, in dem Emotionen eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn Moffats Doctor deutlich dunkler als die Inkarnationen der ersten Ära ist und seine Erfahrungen durch die Kriege nicht unbedingt positiv sind, spielt er mit den menschlichen Emotionen und zeigt ihnen, wie „einfach“ es ist, Mensch zu sein.   

Zusammengefasst ist „Silhouette“ trotz der Weltbedrohungsproblematik angesichts der gut gezeichneten, sehr zugänglichen Protagonisten auf beiden Seiten der Auseinandersetzung, dem dreidimensionalen, aber vertrauten Hintergrund; den herrlich pointierten Dialogen und „Silhouette“ Fähigkeiten ein flottes, ein unterhaltsames und teilweise auch spannendes „Doctor Who“ Abenteuer, das viele Stereotype elegant umschifft. Im Anhang findet sich aus ausführliches, sehr warmherziges Interview mit dem Doctor und seiner Begleitung angesichts ihres Besuches in Berlin. Auch das Titelbild dieses Buches wie einer wunderschönen „Silhouette“ ragt aus der Reihe positiv heraus.    

 

      

Verlag Cross Cult

Erscheinungsdatum: 21.10.2015

12x18, TB, sw, 250 Seiten,
ISBN 978-3-86425-799-5