Proteus und ich

Richard Cowper

Mit dem Roman Profundis nahm Cowper seine beiden beherrschenden Themen- der Mensch nach dem Atomkrieg und die Religion- wieder auf. Im Gegensatz zu seinen anderen Romanen wollte er eine Komödie menschlicher Irrungen schreiben. Das ist ihm nur zum Teil gelungen. Schon der Titel Profundis und seine Bedeutung weißt auf den absurden Hintergrund der Geschichte hin: Um seine Wirtschaft stabil zu halten, beginnt das Königreich mit der Konstruktion von zwei gewaltigen U-Booten an zwei unterschiedlichen Werftstandorten. Schnell werden den Politikern wirtschaftliche Fehlleistungen vorgeworfen, denn man könnte an den jeweiligen Standorten bestimmte Teile produzieren und dann der zweiten Werft zu Verfügung stellen. Die Regierung entschließt sich schließlich zu einem waghalsigen Manöver: man verbindet beide Boote zur Profundis, einem Superatom-U-Boot mit eintausendfünfhundert Metern Länge und einer Besatzung von 45000 Menschen. Als das U-Boot zum ersten Mal taucht, geschieht das Unfassbare: Ein Atomkrieg  bricht an der Oberfläche aus und vernichtet alles menschliche Leben. Proteus, der Supercomputer an Bord des Superbootes, beschließt, seine eigene Existenz zu retten . Es schießt keine eigenen Raketen ab.

In den nächsten Jahren streicht das U-Boot unter den Weltmeeren entlang. Es gelingt den Menschen, mit den Delphinen und Walen in Kontakt zu treten. Diese erweisen sich als intelligenter als gedacht und können von verschiedenen Messstationen die radioaktiven Werte ablesen.

Als die künstliche Gesellschaft an Bord zu zerfallen droht, erschaffen Proteus und sein Kapitän eine Ersatzreligion. Für diese brauchen sie einen Mesias, der später als Märtyrer geopfert werden kann. Nach einer langen Suche erhebt man den jungen und leichtgläubigen Delphin Kontaktmann Tom Jones in diese Position, ohne zu ahnen, dass am Ende aus einer Scheinreligion wahre Erlösung und göttliche Wunder entstehen können.Profundis ist ein frustrierendes Leseerlebnis. Richard Cowper wollte eine göttliche Komödie erzählen und hat nur Komödienstadl abgeliefert. Geht man es chronologisch an: Alleine die Entstehung des Super-U-Bootes Profundis ist eine gelungene, mit spitzen Humor  unterlegte Abrechnung mit der Unfähigkeit der Regierung, eine wirklich sinnvolle Beschäftigung seiner Bevölkerung anzubieten. Leider wirken die Dimensionen des Schiffes und seiner Besatzung zu groß. Im Laufe der kommenden Ereignisse nutzt Cowper diese Bühne zu wenig. Der Text hätte besser funktioniert mit einer sehr kleinen Besatzung in einem kleinen U-Boot, das ebenso teuer geworden ist.

Der Kommandant und Proteus liefern sich herrliche Dialoge. Der Supercomputer voller Ironie, der Kapitän blauäugig und naiv. So entsteht also Gottes Sohn. Für den Kommandanten ist es logisch, dass sein Erbzellen in Tom Jones fließen, Proteus als selbsternannter Gott zieht seinen Intellekt zurate, um das natürliche Auswahlverfahren abzukürzen. Hätte Cowper das Tempo dieser überdrehten Szenen beibehalten, Profundis wäre heute ein Kultroman.Tom Jones als Protagonist. Der Name ist Programm und sehr geschickt spielt Cowper gegen die Erwartungen seiner Leser. Dieser Tom Jones ist naiv, jungfräulich, leichtgläubig und doch am Ende der strahlende Held. Dabei fällt es dem außen stehenden Betrachter nicht leicht, sich in diesem Charakter zurechtzufinden. Zu lange bleibt er zu oberflächlich als das die endgültige Wandlung plausibel und nachvollziehbar erscheint. Auch alle anderen Figuren wirken blass und zweidimensional. Hier hätte sich Cowper ein Herz fassen müssen und eine Reihe von schrillen und schrägen Charaktertypen erfinden müssen, die das Leben an Bord des Totenschiffs zu einem Bühnenstück geschrieben von einem Idioten machen. Obwohl der Autor zu diesem Zeitpunkt schon eine Reihe von unterschiedlichen Romanen geschrieben hat, verließ ihn hier der Mut.

Doch es  stecken sehr viele positive Ansätze in der Romanhülle: die Meerestiere betrügen den Menschen, weil sie Angst vor einem neuen Krieg haben, der Supercomputer betrügt die Menschen, weil er Angst hat, vor der Langeweile. Ansonsten hätte er das Schiff schon von allem menschlichen Abschaum gesäubert und mit seinen Androiden als Besatzung Kurs auf die offene See gesetzt. Tom Jones erkennt erst in der Stunde höchster Not, wo eine Freunde sitzen. Seine übernatürlichen Fähigkeiten kommen ausgerechnet beim Glücksspiel ans Tageslicht .

Als das unnatürliche Gleichgewicht aus dem Ruder gerät, findet sich eine Lösung für alle Probleme.

Auch der deutsche Titel Proteus und ich wirkt unpassend. Proteus und Gott wäre eine empfehlenswerte Alternative. Proteus gleich Gott könnte unter den führenden Offizieren der Profundis Proteste hervorrufen, wäre aber nicht unpassend. So bleibt dieser Roman ein Sinngarten verschenkter Möglichkeiten. Einigen sehr guten Passagen folgen Klischees und immer wieder stößt der Autor an seine Grenzen. Wie bei vielen Romanen, die sich mit Religion kritisch auseinandersetzen möchten,  wird überdeutlich, dass sich der Autor erst selbst freischwimmen muß und dann als zweiten Schritt den Mut haben sollte, einen Schritt weiterzugehen. Das fehlt leider bei Profundis und so spielen fünfundvierzigtausend Menschen auf einer leeren Bühne ohne ein Wort auszusprechen. 

 

 

  • Broschiert
  • Verlag: Goldmann Wilhelm GmbH (Februar 1985)
  • ISBN-10: 3442233356
  • ISBN-13: 978-3442233359
  • 160 Seiten