Klingonische Intrige, Saru-Drama, Lovestory und Kollegenhilfe: Die Episode möchte vieles sein, serviert alles durchaus kompetent und liefert ein homogenes, aber unspektakuläres Kapitel im großen Ganzen der Rahmenhandlung ab.
Was passiert?
Um die Situation der Föderation im Krieg zu verbessern, sollen Burnham, Tyler und Saru eine fremde Welt erforschen. Derweil sorgt sich Tilly um Stamets, und L’Rell intrigiert mit und gegen Kol und Cornwall vor sich hin ...
Kirsten Beyer liest Gedanken
Wir haben es hier mit dem ersten Drehbuch für die Serie von Kirsten Beyer zu tun, die für viele starke Trek-Romane verantwortlich zeichnet und als eine Art Kanon-Wachhund im Team der Produktion gilt. Sie liefert eine Episode ab, die mit drei Handlungssträngen jongliert, vor allem aber Elemente weiterverfolgt, die längst überfällig waren.
So stellt sie endlich den höchst interessanten Saru in den Mittelpunkt und bringt uns seine Figur näher. Darsteller Doug Jones nimmt den Ball übrigens freudig auf und liefert eine starke Leistung ab.
Doch ist das noch längst nicht alles. Etwas irritiert hatte ich bei der vergangenen Episode angemerkt, dass Burnhams positive Sichtweise bezüglich des Kriegsverlaufes ("because of us we are winning the war") ein wenig aus dem Nichts kam, da man bisher keine Schlachten gesehen oder von ihnen gehört hatte. Hier nun wirkt dann auch alles ein wenig pessimistischer, indem man Burnham sagen lässt, die aktuelle Mission wäre nötig, um den Krieg zugunsten der Föderation zu lenken. Vielleicht war ihr Statement vergangene Woche also eher im Sinne von "Auf geht's! Gewinnen wir das Ding!" zu sehen und weniger Ausdruck wirklicher Ereignisse.
In diesem Zusammenhang erleben wir übrigens auch die erste richtige Raumschlacht mit den Klingonen seit dem Untergang der Shenzou. Krieg ist selbstverständlich furchtbar - die Umsetzung hier aber tadellos und spektakulär. Die Discovery kommt dabei der U.S.S. Gagarin zur Hilfe und muss trotz hohen Einsatzes leider deren Untergang mit ansehen. Diese verflixte Tarntechnologie, die Kol allen Häusern zur Verfügung stellt!
So deckt Kirsten Beyer also schon drei Aspekte ab, die einer Weiterführung bedurften. Als vierter kommt noch die Problematik um Stamets und seine Nutzung des Sporenantriebs hinzu. Vier Wünsche auf einmal erfüllt? Unglaublich, aber wahr: Hier ist das kein Problem und sorgt dafür, dass an allen Ecken und Enden handlungstechnisch geschraubt wird und endlich einmal mehrere Stränge wie in Game of Thrones organisch parallel verlaufen. Die gute Frau Beyer ist eben eine kompetente Romanautorin.
Doch gehen wir mal der Reihe nach durch die verschiedenen Punkte.
Stamets ist wieder ganz der Alte
Endlich sehen wir, wie Stamets - offenbar inzwischen in einer Art Routine - den Sporenatrieb benutzt. Der Mann, der nach dem aktuellen Sprung jedoch aus der Kabine tritt, ist nicht derselbe Spaßvogel, den wir zuletzt erleben durften. Er erinnert eher frappierend an den Stamets, der uns allen zu Beginn der Serie mit seiner Arroganz und Feindseligkeit auf die Nerven gegangen war. Und er fragt Kadettin Tilly (die die Konsole bedient) in einem Anfall von Verwirrung, warum sie - Captain Tilly - denn hier im Labor sei. Interessant: Es geht um die Tilly, die von sich selbst behauptet, sie würde einmal Captain werden wollen. Hat Stamets dank des Antriebs etwa in die Zukunft geschaut? Oder eher einen Blick in ein Paralleluniversum riskieren können? Er selbst kann es sich auch nicht erklären, seine geschilderten Erlebnisse klingen aber sehr nach Sprüngen zwischen verschiedenen Realitäten. Hier leistet das Drehbuch dringend benötigte Arbeit und fragt endlich nach den Auswirkungen der Prozedur auf Stamets Gesundheit. Nebenbei bringt man auch noch gekonnt Tilly ins Spiel, die als eine Art Counselor fungieren darf und dabei weniger überkandidelt als sonst eingesetzt wird. Gute Arbeit, wenn es sich hier auch um die Ebene handelt, der die geringste Aufmerksamkeit zuteil wird.
Der Planet, das unbekannte Wesen
Die A-Handlung rankt sich um eine im besten Sinne klassische Trek-Außenmission, an der Burnham und Tyler (die verlängerten Arme Lorcas) und Saru teilnehmen. Ein vermeintlich unbewohnter Planet soll die Ortung der getarnten Schiffe ermöglichen, stellt sich aber auf eine magische Art als sehr wohl bewohnt und nebenbei als Heiliger Gral für Saru heraus. Dieser fungiert als Sprachrohr des Teams und gerät dadurch unter einen für ihn neuartigen Einfluss, der viel Eindruck auf ihn macht. Als geborener Feigling hat er nach eigenem Bekunden nie etwas anderes kennengelernt, als in Furcht zu leben. Dank der Wirkung des Planeten jedoch fühlt er sich das erste Mal in seinem Leben frei und mit sich im Reinen. Dass er dabei wirkt wie direkt aus der Classic-Episode "The Return of the Archons" ("Friede sei mit Ihnen") herübergebeamt, ist eher sympathisch retro als albern. Dennoch wirkt dieser Hippie-Saru auch ein klein wenig übertrieben. Man kommt uns hier mit einer drastischen Wesensveränderung, obwohl der eigentliche Saru uns noch gar nicht ausreichend bekannt ist. Dabei handelt es sich aber um eine Vorgehensweise, die man in Star Trek immer wieder erlebt hat. Man denke zum Beispiel an die viel zu frühen Episoden "The Naked Time" (Star Trek) und "The Naked Now" (Star Trek: The Next Generation), die Crewmitglieder in einer Art Rauschzustand präsentierten, ohne uns vorher die Zeit gegeben zu haben, diese im Normalzustand besser kennenzulernen.
So geht es dann am Ende nur noch darum, Saru wieder in die Spur zu bekommen, was zu einer dezent weinerlich-lächerlichen Szene führt, in der der Kelpianer Burnham beschuldigt, ihm immer seine Förmchen wegzunehmen, wenn er gerade eine tolle Sandburg bauen möchte - im übertragenen Sinne natürlich. Saru wird an dieser Stelle ein wenig zu viel von seiner Souveränität und Würde weggeschrieben als nötig. Den Punkt seines Leids hatten wir auch schon früher erfasst.
Dennoch kann die Mission ein erster Ölzweig in der Beziehung der beiden sein und zu einem größeren Verständnis für das jeweilige Gegenüber beitragen.
Schön, wenn auch etwas plump, wird ebenfalls noch herausgearbeitet, wie sehr Burnham versucht, den Prinzipien der Föderation (Stichwort: Erstkontakt) treu zu bleiben, während Tyler viel schneller bereit ist, in blinden Aktionismus zu verfallen.
Was will L’Rell?
Um die Klingonin L’Rell war es zuletzt etwas still geworden. In der dritten Episode hatte sie Voq auf eine unklare Mission geschickt (bei der viele - so auch ich - glauben, sie würde darin bestehen, getarnt als Ash Tyler auf der Discovery zu spionieren), vor kurzem hatte sie dann Lorca entführt und gefoltert (oder doch nicht?) und ihn sowie Tyler schließlich wieder verloren (oder gehen lassen?). Die Narben, die ihr dieser Kampf beschert hat, dürfen wir jetzt erstmals sehen. Hier nun spielt sie Kol vor, Admiral Cornwall befragen und foltern zu wollen, erzählt dieser dann aber etwas davon, überlaufen zu wollen, um sie dann auf der Flucht vor Kols Augen doch umzubringen (oder etwa nicht?). Was plant diese Frau? In jedem Fall hat sie gegenüber Cornwall gelogen, was Voq angeht. Ob sie den Admiral nun allerdings nur benutzt hat, um Kols Gunst zu erwerben (was sehr weit hergeholt wäre) oder Cornwall gar nicht getötet hat, weil sie andere Pläne verfolgt, oder ob sie vielleicht nur improvisieren musste, weil Kol plötzlich auftauchte - es bleibt mehr als unklar. Am Ende scheint sie dann zunächst in Kols Dienst zu treten, wird aber anschließend nach erfolgter Kriegsbemalung abgeführt, da Kol behauptet, ihren Verrat durchschaut zu haben. Entweder ist dieser Teil der Handlung unnötig kompliziert, oder ich an dieser Stelle schlicht zu doof. Warten wir die weitere Entwicklung ab.
Mary Chieffo gelingt es in jedem Fall, die bisher einzige überzeugende und mehrdimensionale klingonische Figur der Serie zu kreieren. Gegenspieler Kol bleibt hingegen weiterhin der typisch plumpe Bösewicht, dessen einzige Leistungen in Sachen Gestik im erhobenen Zeigefinger und Drohgebärden bestehen.
Ein Gedanke noch, auch wenn er aus der Handlung nicht hervorgeht: So sehr, wie L’Rell Kol hasst, will sie mit Hilfe von Tyler-Voq vielleicht gar nicht die Föderation besiegen, sondern womöglich schlicht die Macht im Reich an sich reißen und eventuell gar einen Frieden mit der Föderation erreichen. Das wäre in jedem Fall eine nette Wendung im Vergleich zur bisherigen Theorie vom Schläfer an Bord der Discovery.
Einige Beobachtungen
Man entlässt die Zuschauer mit einem richtig schmissigen Cliffhanger. Die Discovery ist das einzige Schiff im Sektor (jaul), und die Klingonen sind auf dem Weg nach Pahvo. Das Herbstfinale kommende Woche kann kommen!
Ein wenig musste ich bei der Einladung der Pahvaner für die Klingonen an die Auflösung des Schattenkrieges aus Babylon 5 denken. Frieden und Krieg sowie Verständigung und Konflikt treffen aufeinander, und am Ende lassen die alten Rassen (wie die Pahvaner?) die jungen Rassen (Föderation und Klingonen) ihre Konflikte wie Kinder auf dem Schulhof austragen.
Die Liebesgeschichte um Burnham und Tyler wird ein wenig vertieft - die beiden dürfen sich sogar nochmal küssen, nachdem der erste Kuss einem Timeloop zum Opfer gefallen war. Was könnte schöner sein als Knutschen in einer Art Bast-Iglu auf einem Märchenplaneten? Hach. Schön auch, wie in diesem Zusammenhang der legendäre Satz über das Wohl vieler, das mehr wiegt als das Wohl weniger, eingewoben wird. Etwas merkwürdig mutet aber an, dass Tyler dazu bereit wäre, den Krieg unnötig in die Länge zu ziehen, damit Burnham noch eine Weile auf der Discovery bleiben kann. Aber nun ja - Liebe macht sonderbare Dinge mit uns Menschen.
Und wo wir gerade dabei sind: Burnham rechnet offenbar damit, nach dem Krieg wieder ins Gefängnis zu müssen. Das hören wir zum ersten Mal - bisher war eher davon auszugehen, dass Lorca sie dauerhaft herausgeholt hatte. Gut aber, dass die Autoren hier offenbar doch noch tiefer in die Thematik ihrer lebenslangen Haftstrafe eintauchen wollen.
Technisch betrachtet
Die technische Umsetzung der Raumschlacht überzeugt von der ersten bis zur letzten Sekunde. Besonders jedoch begeistert die Welt von Pahvo, wenngleich man niemandem vorwerfen könnte, hier dezente Avatar-Anleihen zu erkennen.
Regie führte erstmals John S. Scott, der bisher für Serien wie Glee, Chuck oder The Office aktiv war. Ihm gelingen überraschende Perspektiven (insbesondere von der Brücke und des Planeten), was die visuelle Umsetzung durchweg dynamisch wirken lässt.
Das Drehbuch von Kirsten Beyer jongliert die unterschiedlichen Handlungsebenen so gekonnt, dass man sich nicht durch die Brüche gestört fühlt. Hier und da wäre eine weitere Ausarbeitung (Stamets/Tilly, Sarus Transformation, L’Rells Motive) aber ratsam gewesen. Irritierend ist, dass dies nicht geschehen und man stattdessen lieber eine fast schon dramatisch kurze Episode abgeliefert hat, die ohne Rückblick, Intro und Abspann unter 40 Minuten reiner Handlung ins Ziel kommt. Hier hätte gerade Beyer die freien Strukturen der Serie gerne ausreizen dürfen.
Der heimliche Star der Episode ist allerdings der Score; untermalt er doch sowohl das Schlachtengetümmel zu Beginn mit viel Dramatik, vor allem jedoch die märchenhafte Welt mit überraschenden Klängen. Tragend, atmosphärisch - einfach schön. In Sachen musikalischer Untermalung haben wir es bisher ganz klar mit der besten Trek-Serie zu tun, da man mit Konventionen der Berman-Ära bricht und Neues zulässt. Der Score ist nicht mehr nur Hintergrundberieselung, sondern darf sich auch in den Vordergrund spielen. Klasse!
Die Frau des Rezensenten
Ihr war die Episode insgesamt zu spannungsarm, um ein Highlight zu sein. Dennoch gefielen ihr auch viele Aspekte: Der Planet, die Musik und die Story um Saru. Soviel zur Habenseite. Dem entgegen stehen die Klingonen, denen sie immer noch nichts abgewinnen kann und deren Motivationen ihr weiterhin vollkommen unklar sind. Wer will eigentlich was? Ob das an den Drehbüchern liegt? Wesentlich komplexere Serien bereiten ihr da weniger Probleme - der Verdacht drängt sich also auf.
Gib dem Kind einen Namen
Si Vis Pacem, Para Bellum: Der Titel heißt soviel wie "Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“. Dabei handelt es sich um ein Statement, das im Kontext der Episode weniger Sinn ergibt als im Kontext der Serie allgemein. Auch ist nicht klar, auf wen sich der Spruch beziehen soll. Auf Lorca trifft er fraglos zu. Und auch Tyler und Burnham scheinen ihm in dieser Betrachtung zu folgen. Doppeldeutigkeiten zu den Klingonen sind aber eher ausgeschlossen - es sei denn, man definiert Frieden auf Klingonisch ein wenig um.
Fazit
"Si Vis Pacem, Para Bellum“ ist die erste Episode, die sich wirklich wie das Teil eines größeren Puzzles anfühlt, dessen Drehbuch seine losen Enden in der Hand hält und weiterspinnt, die Charaktere des Ensembles beschäftigt und den Zuschauer gleichermaßen schlauer und verwirrter zurücklässt. Dass man dazu noch eine hübsche "awe and wonder“-Geschichte erzählt und mit der Umsetzung punkten kann, rundet den Gesamteindruck ab. Unterhaltsames, gehobenes Mittelmaß.
Bewertung: 3.0 von 5 Sterne