Finster ist der Wald - Kritik zu The Witch

Achtung: Die folgende Kritik enthält Spoiler für die erste halbe Stunde des Films.

New England, 1630. Eine puritanische Familie verlässt ihre sichere Siedlung und zieht in die Wildnis, um dort fernab von allen anderen Menschen ihr von tiefer Frömmigkeit geprägtes Leben zu führen. Der Vater William baut Mais an und geht mit seinem ältesten Sohn auf die Jagd, seine Frau Katherine kümmert sich mit der ältesten Tochter Thomasin und den Zwillingen um die Haushaltsführung, ihren neugeborenen Sohn und das Vieh, Letzteres besteht aus ein paar Hühnern, .Ziegen und einem Ziegenbock namens Black Philip, dem die Zwillinge ständig nachstellen. In den ersten fünf Minuten des Films wirkt das Leben der Familie zwar einfach, aber idyllisch - ein bisschen wie die Großstädterphantasie eines Öko-Bauernhofs.

Doch dann verschwindet der Säugling buchstäblich vor Thomasins Augen und die Idylle erweist sich als eine brüchige Fassade, die von Wahnsinn, Besessenheit und Tod zerschlagen wird.

Dunkle neue Welt

Regisseur Robert Eggers stammt selbst aus New England und hat die Geschichte seiner Heimat studiert, vor allem die berüchtigten Hexenprozesse von Salem, die heute als Paradebeispiel für religiösen Wahn und Massenhysterie gelten. Damals war das natürlich anders. Der Glaube, der Teufel könne sich Menschen und Tieren bemächtigen und sie dazu bringen, anderen zu schaden, wurde von den Wenigsten angezweifelt. Was heute absurd und grausam wirkt, war in Salem zwar nicht normal, aber auch nicht unvorstellbar.

Und so ist es auch in The Witch. Anfangs beharrt William zwar noch darauf, der Säugling sei von einem Wolf gestohlen worden, doch schon bald sucht auch er wie seine Frau nach übernatürlichen Erklärungen. Der Film lässt uns als Zuschauer deutlich weniger lang zappeln als seine Protagonisten. Kaum ist der Säugling verschwunden, präsentiert er uns in einer phänomenal inszinierten und ungeheuer verstörenden Szene die Täterin, eben die titelgebende Hexe. Und nein, sie ist keine missverstandene, alte Kräuterfrau, die einfach nur in Ruhe im Wald leben will. Sie ist die Braut Satans, das reine, nackte Böse.

Anfangs neigt man als Zuschauer dazu, die eigene Realität, in der Menschen in Zungen sprechen und Stimmen hören, weil sie an Geisteskrankheiten leiden, über die des Films zu legen. Doch The Witch lässt das nicht zu. Die Realität des Films ist nicht die unsere und die Menschen, die in ihr leben, denken nicht wie wir. Das fängt mit der Sprache an. Eggers hat sich entschieden, den Film im frühen modernen Englisch zu drehen, wodurch er eine Distanz zu unserer Welt erschafft. Hinzu kommt die freudlose Religiösität der Puritaner, bei denen jeder von Geburt an als verdammt gilt und Erlösung nur durch ein streng bibeltreues Leben möglich ist. Wenn überhaupt.

Dieser Druck begleitet die Familie von Anfang an und wird durch das Verschwinden des Säuglings und die Isolation bis ins Unerträgliche gesteigert. Die Welt an sich ist der Feind, nicht nur abstrakt durch die Versuchungen, die sie für den Gläubigen birgt, sondern ganz real. Eggers zeigt immer wieder die Hütte mit ihrem kleinen Maisfeld und ein paar windschiefen Zäunen vor der Kulisse eines gewaltigen, düsteren Walds. Dies ist die Heimat der Hexe und sie scheint sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Die Hütte wirkt wie ein winziges Schiff, das sich zu weit herausgewagt hat, und vor dem sich die gewaltigen Wellen des Ozeans auftürmen, um es zu zerschmettern.

Fazit

Ihr merkt schon, dass The Witch nicht der Spaßfilm des Jahres ist. Er ist sperrig und lässt sich Zeit, um seine Geschichte zu erzählen, aber er ist auch eindringlich, klaustrophobisch, spannend und sehr gut gespielt (allen voran Anya Taylor-Joy als Thomasin). Neunzig Minuten unerbittlichen Horror im Stil von It Follows kann The Witch nicht bieten, dafür ein verstörendes Psychodrama in ungewöhnlichem Setting mit einigen deftigen Horrorsequenzen.

THE WITCH Trailer German Deutsch (2016)

The Witch 2016 Poster
Originaltitel:
The VVitch: A New-England Folktale
Kinostart:
19.05.16
Laufzeit:
92 min
Regie:
Robert Eggers
Drehbuch:
Robert Eggers
Darsteller:
Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie
Der Film erzählt die Geschichte einer sehr religiösen Familie, die sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein Leben in der neuen Welt aufbauen will. Doch dann geschehen unheimliche Dinge.

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