Das Imperium der Ameisen: Kritik zu Oliver Dörings Hörspiel

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Imperium der Ameisen

Ameisen sind im Horrorgenre nicht ganz so präsent wie Spinnen. Allerdings können auch die Insekten einige Genreklassiker vorweisen. Man denke nur an die Filme Formicula und Phase IV, das PC-Game It Came from the Desert oder das Hörspiel Der Angriff der Horrorameisen aus H. G. Francis' Gruselserie.

"Das sind Geschichten und die sind nicht neu."

Aber wie schon bei den Themen Zeitreise und Alieninvasion war H. G. Wells einer der Ersten, der sich des Konzepts annahm. In seiner Kurzgeschichte Das Imperium der Ameisen lässt Wells die Menschen auf ein intelligentes und gefährliches Insektenvolk treffen. Der Hörspielregisseur Oliver Döring nimmt die Vorlage des Science-Fiction-Autors und erzählt die Geschichte in unserer modernen Welt neu.

Der Biologe Holroyd arbeitet seit kurzen für einen großen Pharmakonzern. So richtig zufrieden ist er mit seinem Job bisher nicht. Als sein Chef ihn auf Dienstreise nach Südamerika schickt, müsst Holroyd sich eigentlich freuen, den öden Arbeitstrott zu entkommen und mit ein wenig Glück auf der Karriereleiter nach oben zu rutschen. Der Biologe beschäftigt beruflich zwar intensiv mit der Natur, beschränkt den Kontakt mit ihr aber gerne auf das Nötigste. So ist er ganz und gar nicht begeistert, in den tropischen Regenwald reisen zu müssen. Aber da er sich noch in der Probezeit befindet, fügt er sich den Willen seines Chefs.

"Wir forschen mit dem Ziel der Natur ihre tiefsten Geheimnisse zu entreißen - notfalls mit Gewalt."

In Südamerika soll er einen vermissten Kollegen aufspüren, welcher das Gift einer neu entdeckten Ameisenart untersucht hat. Holroyd soll nun herausfinden, ob ihm etwas zugestoßen ist oder der Kollege vor Ort von der Konkurrenz abgeworben wurde. Nach der Landung bestätigen sich all seine schlimmen Erwartungen an das fremde Land. Tropische Schwüle, schwitzende Menschen und ein Chauffeur, der mit seinem Auto am Abgrund entlang rast, machen ihm den Aufenthalt zur Hölle.

Erst als sie den Fluss erreichen und Holroyd auf das Kanonenboot von Kapitän Gerilleau überwechselt, gibt es wieder etwas Komfort für den verwöhnten Städter. Beim Abendessen will der Kapitän von Holroyd genau wissen, worauf er sich bei dieser Mission einstellen muss. Der Biologe berichtet von den Killerameisen und Perkins, seinem vermissten Kollegen. Kapitän Gerilleau erzählt ihm daraufhin die Legenden der Einheimischen über die Ameisen. Für den erfahrenen Soldaten sind das aber alles nur Gerüchte und moderne Märchen.

Das ändert sich, als es auf einen steuerlos dahin treibenden Boot zum ersten Kontakt mit dem geheimnisvollen Ameisenvolk kommt. Einer der Soldaten rudert hinüber und wird dabei von den Insekten angefallen. Holroyd gelingt es, bei dem Rettungsversuch, eine der Ameisen lebend zu fangen. Zusammen mit ihrem Führer Ernest Simpson, der für Perkins als Kurier gearbeitet hat, brechen sie am darauf folgenden Tag in den Dschungel zur geheimen Forschungsstation des Pharmakonzerns auf. Dort offenbart sich ihnen schließlich das ganze Ausmaß der Ameiseninvasion.

"Ich habe schon viele Freunde dort draußen verloren. Es ist gefährlich. Dort gibt es Dinge, die so grausam sind, dass der Verstand nicht in der Lage ist, sie zu begreifen."

Den größten Sprechanteil in dem gesamten Hörspiel hat Julien Haggége als Biologe Holroyd. Da die Geschichte aus seiner Sicht geschildert wird, übernimmt er auch die Rolle des Erzählers. Haggége Stimme dürfte vielen Hörern aus verschiedenen US-Serien bekannt sein. Unter anderen ist er der Synchronsprecher von Jensen Ackles als Dean Winchester in der Serie Supernatural. An seiner Leistung in dem Hörspiel gibt es insgesamt nichts zu meckern.

Zwei weitere große Rollen werden von Carlos Lobo und Douglas Welbat übernommen. Lobo spricht Kapitän Gerilleau mit einem schönen spanischen Akzent. Er ist unter anderen die deutsche Synchronstimme von Javier Bardem und hat auch im Spiel Witcher 3 – Blood and Wine als Ritter in Toissant eine Sprechrolle übernommen.

Bei der Stimme von Douglas Welbat dürften viele Hörer an Kekse denken - Welbat ist nämlich die deutsche Stimme des Krümelmonsters in der Sesamstraße. Im Hörspiel leiht er dem Aussteiger Ernest Simpson seine Stimme - wobei man schon genau hinhören muss, um Ähnlichkeiten zum blauen Plüschmonster zu entdecken. Lobo und Welbat bieten eine sehr gute Vorstellung und sorgen dafür, dass Julien Haggége im Vergleich zeitweise ein wenig blass wirkt.

Am Anfang sowie kurz am Ende ist Boris Tessmann (David Boreanaz in Buffy – Im Bann der Dämonen und Alexander Siddig in Star Trek: Deep Space Nine) als vermisster Biologe John Perkins zu hören. Den perfekten Einstieg verdankt Das Imperium der Ameisen aber nicht Tessmanns Auftritt im kurzen Prolog, sondern der Darbietung von Oliver Stritzel in der anschließenden Szene.

Stritzel war der deutsche Synchronsprecher von Philip Seymour Hoffman und spielt in dem Hörspiel Holroyds Chef. Während seines kurzen Auftritts verleiht er seiner Stimme zugleich etwas Kumpelhaftes, Arrogantes und Skrupelloses, dass man ihn gerne noch länger zugehört und sich über weitere Auftritte des Chefs gefreut hätte.

"Ein Gehirn, ein Verstand bestehend aus Billiarden von Ameisen."

Oliver Döring ist in der Hörspielszene kein Unbekannter. Er brachte die modernisierten John-Sinclair-Hörspiele der Edition 2000 und Sinclair Classics heraus. Außerdem adaptierte er die Star-Wars-Episoden I–VI sowie die Thrawn-Trilogie von Timothy Zahn als Hörspiele und produziert zuletzt die Serien End of Time, The Border und Foster.

Für das Label Folgenreich hat Döring, neben Das Imperium der Ameisen, bereits H. G. Wells' Romane Die Zeitmaschine und Der Krieg der Welten vertont. In einem Interview kündigte der Produzent an, dass weitere Hörspielversionen von Wells Büchern geplant seien. Welche als Nächste dran ist, ließ er aber offen.

"Seit die Menschen damit begonnen haben, den Regenwald aus reiner Gier Stück für Stück zu vernichten, glauben viele hier, dass sich die Natur eines Tages dafür rächen wird."

Oliver Döring ist für gut produzierte Hörspiele bekannt, und so gibt es auch bei Das Imperium der Ameisen an Musik und Soundeffekten nichts auszusetzen. Schwieriger ist da schon die Frage, für wie gelungen man die Modernisierung der Geschichte hält und was für ein Genre man jetzt eigentlich vorgesetzt bekommt.

Trotz einiger unheimlicher Szenen (für Hörer, die Ansammlung vieler Ameisen gruselig finden, gibt es noch ein paar mehr), ist die Geschichte immer mehr im Science-Fiction-Bereich als im Horrorgenre angesiedelt. Am ehesten kann man das Hörspiel als Mysterythriller bezeichnen. Dazu passt auch das offene Ende gut, welches Raum für weitere Spekulationen des Hörers lässt.

Die Modernisierung des Stoffes ist Döring insgesamt sehr gut gelungen. Der gierige Pharmakonzern und die neue Rolle des Aussteigers Simpson fügen sich gekonnt in die Geschichte ein. H. G. Wells' Aussage, dass die menschliche Zivilisation auf Wesen treffen könnte, denen sie nicht gewachsen ist, bleibt im Hörspiel zentral. Damals war sie als Kritik am Kolonialismus gemeint, hat aber noch heute ihre Berechtigung. Döring ergänzt sie geschickt mit seiner Kritik am Raubbau an der Natur und der Ausbeutung der Ressourcen der Erde.

Wenn man aber schon die Geschichte in der heutigen Zeit ansiedelt, hätte man auch das Frauenbild moderner gestalten können. Frauen treten nur in kleinen Nebenrollen als hilflose Opfer oder Freundin auf. Ansonsten bleiben die Männer auf ihrem Kanonenboot unter sich. Da sowieso neue Figuren in die Handlung eingebaut wurden, hätte man ohne Probleme auch eine größere und zeitgemäßere Frauenrolle schaffen können.

"Ameisen können sie nicht erschießen."

Wem die Veränderungen und Modernisierungen in Dörings Version zu weit gehen, sollte lieber zu Gruselkabinett Folge 136 Das Königreich der Ameisen greifen. Sie bietet, wie von Titania Medien gewohnt, eine Adaption, welche in der Entstehungszeit von H. G. Wells Geschichte angesiedelt ist.

Fazit

Das Imperium der Ameisen gehört vielleicht nicht zu den großen Klassikern von H. G. Wells - muss sich aber hinter Der Krieg der Welten, Der Unsichtbare oder Die Insel des Doktor Moreaus nicht verstecken. Die Kurzgeschichte eignet sich ideal für eine Hörspieladaption, die mit 56 Minuten genau die richtige Länge besitzt. Oliver Döring hat aus der Vorlage einen spannenden Mysterythriller gemacht, der mit professionellen Sprechern die perfekte Qualität bietet, wie man sie von seinen Produktionen gewohnt ist. Das ideale Hörspiel für Arachnophobiker - die keine Angst vor einer weiteren Insektenphobie haben.

Eine kurze Hörprobe ist hier zu finden.

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