Erster Eindruck: Comic-Kritik zu Black Hammer 1 + 2

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Black Hammer

Jeff Lemire gehört schon lange zu den Autoren, deren Name auf dem Cover vielen Fans bereits genügt, um einen neuen Comic zu kaufen - unabhängig davon, ob es sich um einen klassischen Superhelden- oder um einen Indie-Titel handelt. Dies kommt nicht von ungefähr.

Der Kanadier überzeugte über Jahre hinweg mit sehr originellen Geschichten für die unterschiedlichsten Verlage. Bei Marvel zeichnete er zum Beispiel unter anderen für Old Man Logan verantwortlich und durfte sich für DC um Green Arrow kümmern. Doch am meisten von Lesern und Kritikern gefeiert werden nicht seine Arbeiten für die großen Zwei.

Es sind vielmehr Titel wie die Essex-County-Trilogie, The Nobody aus dem Hause Vertigo oder das ebenfalls dort erschienene Sweet Tooth, die ihn zu einem der ganz Großen der Branche haben aufsteigen lassen. Eines seiner Werke schickt sich aktuell jedoch an, all seine bisherigen Veröffentlichungen nachhaltig in den Schatten zu stellen und zu einem modernen Klassiker zu werden: Black Hammer.

Inhalt

Dass der Alltag auf einer Farm nicht zwingend unspektakulär verlaufen muss, hat einst ein gewisser Mann aus Stahl in seinen Jugendjahren mehr als einmal bewiesen. Der langjährige Comic-Fan dürfte relativ schnell daran denken müssen, wenn er die außergewöhnliche "Familie" kennenlernt, die im Zentrum dieses Werkes steht und deren Mitglieder allesamt eine Superheldenvergangenheit haben, wie sich nach und nach herausstellt.

Und ihre vergangenen Taten sind es auch, die letztlich dazu geführt haben, dass sie nun schon seit vielen Jahren - ein wenig abgeschieden von der Stadt - auf dem Land leben. Aber warum eigentlich? Warum ausgerechnet diese Fünf? Und warum musste einer von ihnen seinerzeit sterben, als er versuchte, diese Gegend zu verlassen? Das sind nur einige der vielen Fragen, die diese Geschichte aufwirft und interessanterweise oft nur teilweise oder gelegentlich sogar gar nicht beantwortet werden.

Black Hammer

Eine ungeschminkte Wahrheit …

In einer Zeit, in der man sich als Rezensent stets fragen muss, was man dem Leser bereits verraten sollte und was ein zu großer Spoiler wäre, ist vor jeder Besprechung ein sehr genaues Abwägen erforderlich. Was diesen Punkt angeht, machen es einem diese beiden Paperbacks einerseits besonders einfach und andererseits unglaublich schwer.

Der Leser wird nämlich mitten in die Handlung geworfen. Man begleitet auch nicht nur eine Figur, sondern lernt recht schnell viele Charaktere kennen, ohne sie wirklich kennenzulernen. Die Informationen, die man erhält sind - wie bereits erwähnt - von Beginn an lückenhaft. Diese Lücken betreffen allerdings nicht nur das dargestellte gegenwärtige Geschehen, sondern ebenso das vergangene.

Das bedeutet, dass Lemire die Rezipienten nicht in Gänze, jedoch zumindest in Ansätzen das erleben lässt, was seine Protagonisten erleben. Denn diese wissen, wie sich schon bald zeigt, selbst gar nicht, wo sie seit vielen Jahren hausen und weshalb sie dort gelandet sind. So nimmt man diese Welt nicht aus der Sicht eines Akteurs wahr, sondern ist gewissermaßen selbst ein Teil des Geschehens. Auf diese Weise gelingt es dem Autor eindrucksvoll, diese Tristesse und Melancholie, die viele der Panels auszeichnen, in das heimische Wohnzimmer zu übertragen. Da man aber in vielerlei Hinsicht im Dunkeln tappt und nur Vermutungen anstellen kann, verstärken sich die transportierten Gefühle nur noch mehr.

Das eigentlich Faszinierende daran ist, dass nahezu alle Hauptfiguren früher echte Superhelden waren. Normalerweise erlebt man diese schließlich maximal alle paar Runs in einer solch desillusionierten Verfassung. Hinzu kommt, dass dieses Team im Prinzip aus "Weltenretter-Stereotypen" besteht, die Kennern des Faches wie auch Gelegenheitslesern gleichermaßen bekannt vorkommen dürften:

Der starke, allerdings nicht zu starke Anführer, eine Frau, die fliegen kann und über außergewöhnliche Kräfte verfügt, ein "Gestaltenwandler-Alien", ein Reisender zwischen den Welten und eine Magierin.

Jeff Lemire ist jedoch vollkommen bewusst, wie vertraut allen, die in den Black-Hammer-Kosmos eintauchen, diese Charaktere sind. Denn so steht einer Schablonenhaftigkeit plötzlich eine Ansammlung von bemitleidenswerten Individuen gegenüber, die allesamt ihre Päckchen zu tragen haben - mindestens ein persönliches sowie ein gemeinsames.

Black Hammer

… in der Gestalt einer Liebeserklärung

Wer will, kann in diesem Ansatz zweifelsohne eine Kritik an Marvel und DC sehen, und das werden sicherlich auch einige - nach dem Motto "Superheldenabenteuer = ganz viel Erzählen nach Schema F". Der Verfasser dieser Zeilen favorisiert eine andere Lesart; nämlich die, dass man diese ausgeklügelte Geschichte genauso gut als einen freundlichen Gruß an all jene, die auch nach Jahrzehnten noch nicht genug haben von intergalaktischen Bedrohungen, Multiversen und Superheldenvereinigungen, verstehen könnte.

Im Grunde wurden hier Easter Eggs zu Protagonisten, die dann aber in der Gegenwart nicht handelten wie erwartet, weil ihre Vergangenheit bereits geprägt war von alldem, was der Popkultur-affinen Anhängerschaft äußerst vertraut ist. Dass das Fundament dieses unverbrauchten Plots, der im Hier und Jetzt erzählt wird, beim fachkundigen Leser ein Gefühl des Vertrauten erzeugt, ist ein genialer Schachzug, um eine Erzähltradition zu würdigen, die sich über einen derart langen Zeitraum bewährt hat, und gleichzeitig zu zeigen, dass man auch Neues schaffen kann.

Wenn Helden von einst keine Helden mehr sein können oder wollen, ist das selbst für viele Nicht-Kenner ein interessantes Gedankenspiel, mit dem man sich einfach etwas länger als fünf Minuten auseinandersetzen sollte. Überhaupt schafft es Black Hammer wahnsinnig gut, Experten wie Gelegenheitsleser gleichsam anzusprechen und trotz einer eher ernsten Handlung insgesamt sehr frisch daherzukommen - ein äußerst seltener Mix. Maßgeblich dafür verantwortlich sind die vielen offenen Fragen in Verbindung mit dem Setting. Eine Farm und ein Städtchen im Nirgendwo und - man verzeihe mir den Reim - keiner weiß, warum oder wieso. Der Leser soll Vermutungen anstellen, kreativ sein und auch nach Beendigung der Lektüre noch über das Gelesene nachdenken. Und das wiederum macht diesen Comic im Prinzip erst zu dem Ausnahmetitel, der er ist.

Fazit

Immer wieder war zuletzt zu lesen, dass Black Hammer das neue Watchmen sein soll. Wer den Verfasser dieser Kritik allerdings ein wenig kennt, weiß, dass er kein Freund solcher Vergleiche ist. Dass Jeff Lemire aber etwas geschaffen hat, das mit Sicherheit viele Freunde bunter Kästchen mit Sprechblasen in seinen Bann ziehen wird, ist unbestritten. Vorausgesetzt, man ist auf der Suche nach etwas … anderem.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Dark Horse/ Splitter Verlag

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