Kritik zu Sherlock - Staffel 3

Sherlock – Staffel 3
oder: Wie man mit nur drei Folgen die Zuschauer in den Wahnsinn treibt
(Text: Stephanie Scherr / Fotos: BBC)

Wer sich in den letzten Jahren ein wenig mit dem Phänomen Sherlock befasst hat, der weiß: Leiden gehört mit dazu. Leiden, weil man so lange warten muss bis eine neue Staffel gesendet wird. Leiden, weil diese Staffel dann nur drei Folgen hat. Und leiden, weil die Serienmacher einfach nicht anders können als ihre Zuschauer zu ärgern. Jede Staffel endet mit einem Cliffhanger, beinahe jede Folge wartet mit einem so genannten Plot Twist auf. Sherlock schauen geht an die Nerven – aber genau deswegen lieben wir die Serie ja, oder?
Nach dem dramatischen Ende der zweiten Staffel mit Sherlocks Sprung vom Dach von St. Barths war der Zuschauer so niedergeschmettert wie John Watson. Wäre da nicht die letzte Szene der Folge gewesen: Sherlock lebt. Aber wie hat er das angestellt?

Folge 1:  Der leere Sarg (The Empty Hearse)
John Watson hat es endlich geschafft, mit seinem Leben voran zu kommen und die Trauer um Sherlock irgendwie verarbeitet. Höchste Zeit also für den Meisterdetektiv zurückzukommen und alles ein wenig aufzurütteln, oder? Zugegeben, vielleicht liegt es auch ein wenig daran, dass London von einem Terroranschlag bedroht wird und Mycroft Holmes keinen anderen Ausweg sieht als seinen für tot geglaubten Bruder zurückzuholen.

Es stellt sich Sherlock also eine wichtige Frage: Welch großen Auftritt soll er hinlegen, um John so richtig zu überraschen und die Freude ins Unermessliche zu steigern? Er entscheidet sich für eine Verkleidung – und damit bleibt man sehr nah an der Romanvorlage. Auch hier verkleidete sich Holmes – als Buchhändler. John Watson fällt im Buch übrigens vor Überraschung in Ohnmacht – der Serien-John verprügelt Sherlock lieber. Mehrmals. Passt auch besser zu ihm. Außerdem war er gerade dabei, seiner Freundin Mary Morstan einen Heiratsantrag zu machen, das Timing war also nicht allzu gut

John interessiert sich nicht sonderlich dafür, wie Sherlock seinen Tod vorgetäuscht hat. Die Zuschauer und eine kleine Gruppe namens "Der leere Sarg", angeführt von niemand anderem als Anderson, demjenigen bei Scotland Yard, der nie Sherlocks größter Fan war, umso mehr. Und man hätte es hier nicht mit Steven Moffat und Mark Gatiss zu tun, wenn sie nicht gleich eine ganze Reihe von Theorien präsentieren würden.
Theorie Nummer eins stammt von Anderson, der sie stolz Lestrade präsentiert: Der vermeintliche Leichnam Sherlocks ist eigentlich Moriarty mit einer Maske, Sherlock hängt an einem Seil und rettet sich mit einem Sprung durchs Fenster, küsst Molly Hooper und verschwindet. John wird von niemand geringerem als dem bekannten Hypnosekünstler Derren Brown in Trance versetzt, damit er das Täuschungsspiel nicht mitbekommt. Klingt absurd? Mag sein, aber wundern würde es uns auch nicht.

Eine weitere Theorie aus der von Anderson gegründeten Sherlock-Fangruppe: "Der leere Sarg": Sherlock und Moriarty legen zusammen John rein, um sich einen Spaß zu erlauben und stellen dabei fest, dass sie romantische Gefühle füreinander hegen. Absurd genug? Ach was – manches Fanherz ließ das bestimmt höher schlagen.

Sherlock selbst klärt Anderson schließlich auf. Und seine Erklärung klingt tatsächlich einleuchtend. Ein Leichnam, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, ein großes Rettungskissen, auf dem er landen kann und ein exakt instruierter Radfahrer, der John über den Haufen fährt. Fall gelöst – oder auch nicht! Denn Anderson kommen Zweifel. Und dem Zuschauer auch, denn: Wieso sollte Sherlock das alles ausgerechnet ihm verraten? Die Frage bleibt: Wie hat er es gemacht? Stimmt eine der Theorien oder war es doch ganz anders? Es wird ein urbaner Mythos bleiben. Aber das ist okay so. Manchmal will man auch im Dunkel gelassen werden... oder?
Wer sich durchs Sherlocks Rückkehr einen spannenden Fall erhofft hat, dürfte ein wenig enttäuscht sein. Klar hat Mycroft ihn geholt, um den Terroranschlag zu verhindern. Aber die meiste Zeit bleibt diese Tatsache im Hintergrund. Ab und zu kommt ein "Ach, da war ja was", aber bis zum großen Showdown hat man schon fast wieder vergessen, dass London ziemlich in Gefahr ist. Bevor es dazu kommt, müssen Sherlock und Mary zuerst einmal John retten – der soll nämlich in einem Bonfire verbrannt werden. Manchmal scheint ein wenig viel in diese 90-minütige Episode gepackt worden zu sein. Zig Handlungsstränge, Rückblenden und ein Drama jagt das nächste – aber das sind wir ja von dieser Serie hinreichend gewohnt. Am Ende retten Sherlock und John wieder einmal London. Und ihre Freundschaft haben sie zwischenzeitlich auch wieder hergestellt. John verzeiht Sherlock und alles ist soweit wieder im Lot. Vorerst.
Folge 2: Im Zeichen der Drei (The Sign Of Three)
Sherlock Holmes hat schon eine Menge Herausforderungen gemeistert. Die aussichtslosesten Fälle gelöst, seinen eigenen Tod vorgetäuscht. Und doch sieht er sich seiner bisher größten Aufgabe gegenüber, die ihn in Angst und Schrecken versetzt: Er soll Johns Trauzeuge sein. Junggesellenabschied, Hochzeitsplanung, eine Rede halten – eine Menge Dinge, von denen er so gar keine Ahnung hat. Aber so viel sei verraten: Er meistert sie wie kein zweiter. Auf seine eigene, unkonventionelle Art zwar, aber am Ende ist jeder zufrieden.
Die Folge folgt einem interessanten Aufbau. Viele der Rückblenden sind Teil der Trauzeugen-Rede, die Sherlock hält. Zum Einen beinhaltet das einen scheinbar aussichtslosen Fall, den die beiden zuletzt bearbeitet haben. Zu Anderen den Junggesellenabschied. Und der hat es in sich. Durchgeplant bis ins letzte Detail sollten die beiden Herren leicht betrunken sein, wenn sie ihre Bar-Tour beendet haben. Tatsächlich sind sie aber so betrunken, dass sie noch vor der Sperrstunde auf der Treppe in 221B Baker Street aufwachen. Zu blöd, dass eine Klienten gerade jetzt kommt, um sie zu konsultieren.

Wie man es gewohnt ist von Sherlock-Folgen, ist auch diese ein wenig vollgestopft. Aber am Ende stellt sich heraus: Das hat schon seinen Sinn so, denn alles ist miteinander verknüpft! Jeder Fall, den sie behandeln, findet am Ende seine Auflösung auf Johns Hochzeit. Denn was wäre so eine Party ohne einen Mordversuch? Richtig: Langweilig.


Wer sich für "Im Zeichen der Drei" wieder einen interessanten Fall gewünscht hat, wurde nicht enttäuscht. Zwar stehen auch weiterhin die zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund, aber Sherlock läuft nebenbei zu Hochform auf. Ob das daran liegt, dass er und John wieder so ein eingespieltes Team sind? Man erhält Einblicke in seinen berühmten Gedächtnispalast und wie sein Gehirn beim Lösen eines Falls auf Hochtouren läuft. Dazu hat man John, der ihm nicht nur zur Seite steht, sondern auch noch Leben rettet. Das Dreamteam ist zurück. Und wird auch noch durch Johns Gattin Mary ergänzt, die sich wunderbar in das Leben der beiden einzufügen scheint... und doch verlässt Sherlock die Hochzeit als Erster. Allein.


Folge 3: Sein letzter Schwur (His Last Vow)
Es wurde bereits in den ersten beiden Folgen ein wenig angedeutet, jetzt erlangt man Gewissheit: Auch die dritte Sherlock-Staffel hat einen Endgegner. Sein Name: Charles Augustus Magnussen. Man lernt ihn kennen und mag ihn nicht. Man findet ihn abstossend. Das ist ein nette Abwechslung, denn Jim Moriarty hat so mancher gleich ins Herz geschlossen, trotz seiner sozio- und psychopathischen Züge.


Magnussen hingegen – immer korrekt im Anzug, nie laut werdend oder auch nur Emotionen zeigend - bringt sogar Sherlock aus der Fassung. Und das muss bekanntlich etwas heißen. Er bezeichnet ihn als den gefährlichsten Mann der Welt und ist sich in dieser Ansicht sogar mit Mycroft einig. Magnussen hat Wissen. Und das ist bekanntlich Macht. Was er nicht hat: Auch nur einen Funken Anstand. Das stellen die Bakerstreet-Boys fest, als er ihnen einen Besuch abstattet. Dass man ihn danach sympathischer findet, kann man nicht gerade sagen...

Sherlock ist Magnussen auf der Spur. Und kann doch nicht hervorsehen, was ihn in dessen Büro erwartet. Oder besser wer: Denn Johns Mary, die er nie so recht durchschauen konnte, hat eine derart düstere Vergangenheit, dass es sogar den Detektiv umwirft – im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie schießt ihn an! Sherlock überlebt knapp. Und warum? Er will John retten, denn wer weiß, was Mary noch so alles zu verbergeben hat?


Moffat und Gatiss können Plot Twists wie sonst kaum jemand. Hier haben wir einen. Plötzlich ist Mary eine Klientin. Aber was hat sie zu verbergeben? Wie ist ihre Geschichte? Und was hat sie mit Magnussen zu tun?
Wie sich herausstellt, ist Sherlocks Gedächtnispalast im Vergleich zu dem seines aktuellen Endgegners ein Witz! All dessen Wissen, also all seine Macht, hat er in seinem Kopf abgespeichert und kann es jederzeit abrufen. Er ist eine Bedrohung für alle – vor allem auch für John. Sherlocks einziger Ausweg? Magnussen erschießen. Schon wieder so ein Schocker, denn ganz ehrlich: Wer hätte damit gerechnet? Mycroft mit Sicherheit nicht und doch reagiert er schnell. Sherlock soll aus dem Land geschafft werden. Die einzige Möglichkeit, ihn vor einer Gefägnisstrafe zu bewahren.

Ganze vier Minuten befindet sich der Jet mit Sherlock Holmes in der Luft, als in ganz England ein bekanntes Gesicht auf allein Bildschirmen erscheint. Jim Moriarty. Der eigentlich doch tot sein soll. Was ist hier los?


Fazit:
War die dritte Staffel Sherlock das lange Warten wert? Wer die Serie nur wegen der spannenden Fälle schaut, wird das verneinen müssen. Aber wer tut das schon? Wen die menschlichen Beziehungen interessieren, wer auf Charakterentwicklung und Plot Twists steht, der hat sich in diesen 4,5 Stunden gut unterhalten gefühlt. Und hat vermutlich bei diesem erneuten Cliffhanger die Faust geschüttelt und dabei "MOFFAT!!!" gebrüllt. Wie schon in den ersten beiden Staffeln auch.

Was wünscht man sich für die vierte Staffel? Eine Auflösung des Moriarty-Rätsels in erster Linie. Eine weitere Charakterentwicklung, vor allem in Sachen Sherlock. Und vielleicht doch die ein oder andere Episode, die mit einem Fall aufwartet, der den Zuschauer an die Sofakante treibt und Sherlock bis zum Äußersten. Man darf gespannt sein. Aber vorher darf man erst einmal eins: Warten.


herlock - Staffel 3 ist als 2-Disc-Set auf DVD und Blu-ray sowie als Special Edition erhältlich.
Die Special Edition umfasst neben einem hochwertig gestalteten Schuber mit Prägedruck eine Bonus-Disc, ein umfangreiches Booklet sowie ein Postkarten-Set. Das Bonusmaterial beinhaltet u.a. erstmals das zuvor nur in England veröffentlichte Prequel zur dritten Staffel "Many Happy Returns".
Weitere Extras:
- Audiokommentar zu "Der leere Sarg" und "Sein letzter Schwur"
- Unlocking Sherlock
- Sherlock uncovered
- Deleted Scene
- Outtakes
- TV Interviews
- Fans, Villains & Speculation
- Shooting Sherlock
- The Fall
Veröffentlichung: 27. März 2015
Vertrieb: Polyband/WVG Medien
Produktion: UK 2014
Bildformat: 16:9 (1,78:1)
Sprachen: Deutsch (DTS HD Master Audio 5.1), Englisch (DTS HD Master Audio 5.1)
Untertitel: Deutsch, Englisch
Laufzeit: ca. 261 Minuten (+ ca. 220 Minuten Bonusmaterial)
Discs: 3
Altersfreigabe: FSK 12

Originaltitel: Sherlock (seit 2010)
Erstaustrahlung am 25.07.2010
Basiert auf den Sherlock-Holmes-Detektivgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle
Darsteller: Benedict Cumberbatch (Sherlock Holmes), Martin Freeman (Doctor John Watson), Una Stubbs (Mrs. Hudson), Rupert Graves (Greg Lestrade), Louise Brealey (Molly Hooper), Mark Gatiss (Mycroft Holmes)
Produzenten: Mark Gatiss, Steven Moffat, Beryl Vertue
Staffeln: 4+
Anzahl der Episoden: 13+


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