
Von den acht Romanen, die Michael Chrichton unter dem Pseudonym John Lange zwischen 1966 und 1972 zur Finanzierung seines Studiums verfasst ist, deutet "Drog of Choice" am ehesten auf den späteren Bestsellerautor hin. Es ist erstaunlich, wie viele Ideen rudimentär und trotz eines mahnenden abrupten Endes nicht zufriedenstellend extrapoliert sich in dieser frühen Arbeit finden lassen, die später Crichtons Ruhm begründeten. "Westworld" und "Jurassic Park" als Ausdruck der Jagd nach dem ultimativen Vergnügen sowie "Looker- kein Mord von der Stange" als ultimative Manipulation der Öffentlichkeit finden ihre Wurzeln in dem vorliegenden Buch. Wie ein roter Faden durchzieht Crichtons Werk die Idee des gebildeten, aber "normalen" Mannes, der unverhofft und unverschuldet in extreme Situationen geworfen wird, aus denen er sich nur dank seiner Intelligenz, seiner beruflichen Erfahrung und schließlich auch einer gehörigen Portion Glück befreien kann. Dazu kommt ein spektakulärer, geheimnisvoller Auftakt.
Roger Clark arbeitet in einer Klinik in Los Angeles. Außer seinem attraktiven Äußeren ist alles an ihm durchschnittlich. Eines Abends wird ein bewusstloser, aber anscheinend nicht armer Hells Angels komatös eingeliefert. Sein Urin ist blau. Während Roger Clark verzweifelt nach einer Erklärung sucht, kann ihn sein Vorgesetzter durch Backpfeifen aus dem Koma wecken. Anscheinend hat er keinen bleibenden Schaden davon getragen, sein Urin ist kurze Zeit später auch wieder gelb. Wenige Stunden später wird eines von Hollywoods Starlets Sharon Wilder ebenfalls mit blauen Urinflecken eingeliefert. Wilder braucht ein wenig länger, um wieder zu sich zu kommen. Sie findet ihren "Retter" attraktiv und lädt ihn zu einer wilden Party an Bord eines Schiffes ein. Als Clark am nächsten Morgen erwacht, kann er sich kaum an diese Nacht erinnern. Wenig später erhält er nicht nur ein seltsames Jobangebot einer seit wenigen Jahren mit Drogen arbeitenden Firma, sondern soll Sharon Wilder zu einem neuen Freizeitresort begleitend, das nur mit einem Flugzeug abgedunkelter Scheiben zu erreichen ist. Auf dieser kleinen Insel soll eine perfekte Erholung möglich sein.
Michael Crichton schreibt einen relativ geradlinigen Thriller. Zu den Schwächen gehört ohne Frage die Charakterisierung der handelnden Personen. Sie ist sehr eindimensional. Roger Clark wird sehr schnell mit allem fertig. Seine neue Geliebte Walker ist auf der einen Seite eine extrovertierte und nach einigen harten Runden im Hollywoodmilieu sogar erfolgreiche Schauspielerin, die auf der anderen Seite sogar Frühstück machen sowie Kaffee ans Bett bringen kann. Die Schurken sind wie in einigen seiner Bücher – siehe auch „Coma“ keine brutalen Mörder oder Berufskriminelle. Es sind intellektuelle reiche Forscher, welche ohne Mitleid rücksichtslos Nischen ausnutzen. Das beginnt mit der Arbeit für das Militär, das in Crichtons Büchern immer passive Rollen spielt und endet schließlich während des zynischen Epilogs mit einer düsteren Aussicht auf das freie Denken der damaligen Gegenwart. Extrapoliert der Leser diese Strömungen und fügt auch noch die Idee der manipulierenden Schleichwerbung hinzu, dann ist „Drug of Choice“ sogar ein beängstigend aktueller Roman, dessen zu simples Ende nicht befriedigt, aber viele Fragen offen lässt. Während die erste Hälfte des Buches relativ simpel konstruiert worden ist und aus heutiger Sicht erfahrene Crichton Leser genau wissen, warum es geht und vor allem welche perfide Idee hinter dem perfekten wie geheimnisvollen Urlaubsparadies steckt, zerfällt der zweite Teil des Buches in einige nicht unbedingt zusammenhängende Szenen. Der Teufelspakt mit einer perfekten Manipulation der Öffentlichkeit ist dabei eine der positiven Schlüsselszenen. Selbst die Idee, dass niemand wirklich Roger Clark Glauben schenken würde, ist eine klassische Metapher aus den ersten Crichton Thrillern. Roger Clark agiert aber dann auch ein wenig zu dumm. Es besteht ja nicht eine unmittelbare Gefahr, sondern eine mittelbare Versuchung. Während andere Thriller immer auf die „Deadline“ Karte setzen, hätte Clark mehr Möglichkeiten gehabt, mit ein wenig Täuschung und einigen Tricks alles über die geheimnisvollen Investoren und ihre Hintermänner zu erfahren. Bei einer nicht börsennotierten Firma auch noch einen Broker vor Ort anzusprechen, erscheint in dieser Hinsicht wenig sinnvoll. Auch die Hintermänner lassen ihren potentiellen Köder nicht nur lange Zeit laufen, sie scheinen seine Pläne zu ahnen. Es hätte mindestens drei oder vier Möglichkeiten gegeben, den Feind auszuschalten und die Organisation in bewährter Form weiter laufen zu lassen. Roger Clark ist in dieser Hinsicht kein entscheidender, kein lebensnotwendiger Faktor.
Das Herz des Buches bildet die Organisation des perfekten Ferienparadieses. In diesen Szenen blüht Michael Crichton auf und präsentiert eine bizarre, aus den siebziger Jahren intelligent extrapolierte „Verschwörungstheorie“, die durch verschiedene Variationsmöglichkeiten noch weiter reicht. Die militärische Nutzung wird nur angedeutet und einmal in einer der wenigen dramaturgisch effektiven wie brutalen Szenen an Clark ausprobiert. Alleine dieses Mittel müsste der Firma Milliarden aus aller Welt in die Kassen spülen. Daher wirkt die Argumentation im abschließenden Enthüllungsshowdown auch nicht glaubwürdig, dass die Verantwortlichen viele Millionen verdient haben, das Geld aber durch andere Projekte wieder verloren gegangen ist. Hier bleibt Crichton schwammig. Viel interessanter ist die Nutzung der Droge in absichtlich eingeschränkter kommerzieller Hinsicht. Crichton entwickelt einen perfekten Rahmen. In mancher Hinsicht nimmt er die virtuelle Realität der Cyberpunks vorweg. Dabei entwirft er nicht nur eine variable Scheinwelt, sondern füllt diese auch immer mit einem Bezug zur Gegenwart. Der Seitenriss bei einem Tennisschläger, ein kleiner Schnitt oder das Ganzkörperbräunen. Es ist unglaublich, wie minutiös der Autor diese Ideen angerissen hat. Wer sich mit Crichtons Werk auskennt, wird in „Westworld“ die logische wie dreidimensionale Weiterentwicklung einiger Ideen dieses Buches erkennen. Nur geht “Westworld“ aus dramaturgischen Gründen die notwendigen zwei/ drei Schritte weiter.
Zusammengefasst ist „Drug of Choice“ einer der besten John Lange Thriller. Das Tempo ist bei allen Romanen hoch und erst mit den letzten beiden veröffentlichten Büchern hat Crichton die zugrundeliegende Maxime einer Unterhaltung für einen durchschnittlichen Mittelstreckenflug – Lesedauer als knappe zwei bis drei Stunden – durch längere und damit auch komplexere Arbeiten unterminiert. Exotische Schauplätze und damit auch Spielplätze der Reichen dienen als Hintergrund. Das degenerierte Hollywood mit seinen vielen Schattenseiten spielt eine untergeordnete, aber irgendwie auch als Katalysator dienende Rolle. Dazu der Held als Einzelgänger sowie einige sehr attraktive wie willige Frauen im Hintergrund. Eine perfekte Mischung und einer der frühen Paranoia Thriller, für die Michel Crichton sowohl im Kino als auch auf den Bestsellerlisten der Verlage so bekannt geworden ist. Natürlich hätte man mit etwas mehr Erfahrung und einem Faible für kompliziertere Handlungsführung sehr viel mehr aus dem zugrundeliegenden Plot durch die Anlage einer viel schichtigen Struktur herausholen können, aber in der vorliegenden Form handelt es sich um kritische wie kurzweilige Unterhaltung auf einem sehr ansprechenden Niveau.
- Taschenbuch: 224 Seiten
- Verlag: Hard Case Crime
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 1783291230
- ISBN-13: 978-1783291236