Binti: Home

Binti Home, Titelbild, Rezension
Nnedi Okarafor

Ein Jahr später veröffentlichte die Autoren mit „Binti Home“ den inzwischen Mittelteil ihrer konzipierten Trilogie von Geschichten um die zu den Sternen strebende Afrikanerin. Doppelt so umfangreich wie die erste, mit den wichtigsten Preisen ausgezeichnete Novelle, greift Nnedi Okorafor einige Aspekte „Bintis“ auf und dreht sie einmal um die Achse. Während Binti in der ersten Geschichte unbedingt zu den Sternen wollte und Angst hatte, den Kontakt zu ihrem Stamm zu verlieren, muss sie in der Fortsetzung erkennen, dass man als Mensch, der seine Heimat verlassen hat, zwar zurückkehren, aber nicht mehr wirklich heimkehren kann.

 Gleich zu Beginn der Geschichte wird aufgezeigt, dass Binti an der Universität, die sie ohne Frage durch ihren Verhandeln in der ersten Story auch provoziert hat, inzwischen unglücklich ist. Sie hat Heimweh. Nnedi Okorafor macht dabei deutlich, dass dieses Heimweh körperlich spürbar ist, sich aber anscheinend in einer fiktiven Version ihres Heimatortes manifestiert. Alle Sehnsüchte und Wünsche, die Binti aus dem Off heraus dem Leser vermittelt, hat sie in der ersten Novelle vehement negiert. Gleich zu Beginn eröffnet die Autorin den Plot mit einer seltsamen, ohne Frage auch dramatischen, aber für den Leser nicht gänzlich nachvollziehbaren Szene. Die Medusa Okwu als ständiger Begleiter Bintis legt sich mit einem seiner/ ihrer Lehrer an. Diese verbale Auseinandersetzung endet in Morddrohungen. Für eine intergalaktische Universität ein ungewöhnliches Ende. Dabei betont die Autorin, dass Okwu auf der einen Seite als Außerirdischer vielleicht so handeln könnte, während der menschliche Lehrer alle Regeln verletzt und dann den aufmüpfigen Schüler trotzdem mit einer sehr guten Note belohnt.

 Binti selbst gilt auch aufgrund ihrer Herkunft und ihres Stammes als Harmonisierer. Ohne tief in die Kultur und den Hintergrund ihres Stammes einzudringen, ihre „Reichweite“ als Friedensstifter zu definieren oder diese Aufgabe fokussiert auf ihren eigenen friedliebenden Stamm zu definieren, zieht sich dieser Begriff, diese Mission wie ein roter Faden beginnend ab der Mitte „Bintis“ durch den Handlungsbogen. Binti will zur Erde, zu ihrem Stamm zurückkehren, weil sie nach ihren körperlichen Anpassungen am Ende der letzten Geschichte auch unter Stimmungsschwankungen und Aggressionen leidet. Auch hier fehlt eine notwendige Erklärung. Der abschließende fragwürdige Punkt ist die Idee, dass die inzwischen sechzehn Jahre alte Binti noch ihre Pilgerreise ins Innere der Wüste unternehmen muss. Hier stellt sich die Frage für den Leser, wenn Binti diese Pilgerschaft so wichtig gewesen wäre, warum hat sie diese nicht unmittelbar vor ihrer Reise ins All – es scheinen nur Monate und keine Jahre in absoluter Zeit vergangen zu sein – angetreten, um ihr in der ersten Novelle so extrem wichtiges Studium in einem Rutsch abschließen zu können?  Kaum auf der Erde angekommen, wird sie keine Pilgerschaft beginnen, sondern mit den Wüstenleuten – hier besteht kein Stammes- oder Verwandtschaftsverhältnis – direkt in die Wüste gehen und ihre grundlegende Intention zur Seite legen.

 Aber bevor es zu dieser dreitätigen Reise nicht nur ins Innere der Wüste kommt,  wird Binti zusammen mit Medusa am Flughafen von Sicherheitsleuten angegriffen. Ausführlich beschreibt die Autorin, dass diese Reise inklusiv der Begleitung verhandelt worden ist. Das jeder informiert worden ist, dass Binti in Begleitung einer Fremden/ eines Fremden kommt. Ein geschultes Sicherheitspersonal hätte also ohne ein Anzeichen einer Bedrohung nicht umgehend das Feuer eröffnen sollen. Wie es sich für diese dramaturgisch aus dem Nichts heraus vorbereiteten Szenen gehört, wird der Fremde nicht verletzt. Binti kann vor größeren Schaden die Szene bereinigen. Natürlich hat sie umgehend ein schlechtes Gewissen, dass die Menschen intellektuell doch nicht reif genug für die Sterne und die Fremden sind. Nnedi Okorafor hat in „Lagune“ bewiesen, wie es eine Autorin richtig machen kann. Da tauchen die Fremden überraschend auf. Sie überfordern sowohl die Behörden inklusiv des schwerkranken, im Ausland weilenden Präsidenten als auch die Straßengangs. In „Binti Home“ wäre es noch verständlich gewesen, wenn Kräfte von Außen – Angehörige der auf dem Schiff Ermordeten – die Sicherheitsleute überrumpelt und dann angegriffen hätten. Aber ein extra auf die Situation hingewiesenes Sicherheitspersonal kann nur so reagieren, wenn die Autorin aus planerischer Verzweifelung eine solche überzogene Szene braucht. Der angestrebte Effekt geht verloren.

 Es ist aber nicht die einzige Szene, in welcher die zugrunde liegende Logik in Frage gestellt wird. Ausführlich wird über das lebendige Raumschiff geschrieben, das absichtlich schneller zur Erde fliegt, um dort sein Junges zu gebären. Die Verbindung zwischen den Menschen/ Außerirdischen und ihren Raumschiffen wird sehr pragmatisch dargestellt. Keiner fragt, ob es für das Raumschiff gefährlich ist, so hochschwanger eine Mission zu unternehmen. Muss es denn in der Planetennnähe gebären? Können Menschen/ Besatzungsmitglieder ihr helfen? Alleine die Tatsache, dass es ein wenig schneller fliegt, erscheint ausreichend. Aber Zeit und Raum sind in der ganzen Serie ambivalent. Schon in „Binti“ konnten die lebenden Raumschiffe relativ schneller von der Erde zum Beispiel zur Universität fliegen. Zeitverzögerungen scheint es nicht gegeben zu haben. Darum wirkt diese Argumentationskette wie der Angriff auf die Medusa alleine konstruiert, um dem Plot Fülle und vordergründig auch Tiefe zu geben. Diese Vorgehensweise wird sich umfangreich in der zweiten Hälfte rächen, wenn die Autorin wieder aus dem Nichts heraus einen sehr abrupten Abschluss sucht und zu viele Fragen für den abschließenden dritten Teil offen lässt.

Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Szenen nicht interessant sind. Für sich alleine wirken sie spannend und vielschichtig, emotional und ergreifend geschrieben. Das Fundament ist aber nicht ausreichend gelegt worden, so dass ein großer Teil ihrer Wirkung vor allem unter dem kalten Blickwinkel der Logik im Grunde verpufft.

 Mit der Ankunft im Dorf werden verschiedene Aspekte in den Vordergrund geschoben. Zum einen das ohne Frage interessante wie schwierige Verhältnis zwischen Binti und ihrer Familie, die sich von ihr entfremdet hat. Die Autorin macht allerdings deutlich, dass es nicht Binti ist, die sich emotional und vor allem intellektuell entwickelnd isoliert hat, sondern ihr Stamm und vor allem ihre Familie nicht in der Lage sind, über den eigenen Schatten zu springen und die Veränderungen der Welt zu registrieren. Von akzeptieren soll keine Rede sein. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Autorin noch einen anderen Themenbereich in konträrer Hinsicht anreißt. Religion. Die Medusa Okwu betet das Wasser an, obwohl es auf ihrer Welt kein Wasser gibt. Sie ist auch in der Lage, in der einzigen Wasserquelle des Dorfes zu baden, während die Dorfbewohner wie in Binti erwähnt in erster Linie als Trinkwasser nutzen und sich ihre Haut mit einem Sandgemisch reinigen. Interessant ist, dass weder einer der Protagonisten noch die Autorin den Hintergrund einer Religion hinterfragt, die auf einem Stoff basiert, den die Wesen gar nicht kennen können. Im Umkehrschluss wird klar, dass die in der Wüste lebenden Menschen nicht nur als Erste lange vor dem Rest der Zivilisation Kontakt mit den Außerirdischen, den Goldenen hatten. Zusätzlich kennen sie die Hinterlassenschaften der Fremden und können das von Binti anscheinend jetzt nicht mehr zufällig gefundene „Edan“ – im ersten Buch wird es öfter eingesetzt – einschätzen.  Hinzu kommt, dass die Anführerin dieses heiligen Stammes in einer engen Verbindung zu Binti steht und sie dadurch weniger zur Außenseiterin ihres Stammes dank ihrer intellektuellen Fähigkeiten wird, sondern wie ein Puzzlestück in einem noch zu ergründenden kosmischen Rätsel erscheint. Bei der Begegnung reißt die Autorin sehr viele Fragen auf, verweigert aber die Antworten. Alle Szenen sind stilistisch sehr überzeugend entwickelt worden. Vieles erinnert an eine Novelle, basierend auf den Ideen Nicolas Roegs in „Walkabout“oder Peter Weirs „Picnic at the Hanging Rock“. Die fiktive, aber auf erkennbaren Wurzeln erkennbare afrikanische Kultur ist überzeugend entwickelt worden und wird dem Leser auch anschaulich beschrieben. Aber der Funke springt durch die einzelnen Widersprüche und die vielen, plötzlich passenden Zufälligkeiten nicht wirklich über. Ausgerechnet die Passagen, in denen die Zukunft in Person Bintis und der Medusa auf die Vergangenheit in Form des afrikanischen Kulturgutes treffen soll, erscheinen zweidimensional und wirken in Hinsicht auf ihre Glaubwürdigkeit extrem konstruiert.

 Der letzte abschließende Faktor ist Bintis Rückkehr. Um ihre Isolation, ihre Einsamkeit noch zu unterstreichen, muss die Familienvereinigung im Kontext der beiden zusammengehörenden Novellen gesehen werden. Mit einem schlechten Gewissen der Familie gegenüber ist Binti ja aufgebrochen und hat sich nicht richtig verabschiedet. Dazwischen liegt ihre Heldentat. Bedenkt man, mit welcher Feindseligkeit und fast Neid/ Hass sie von ihren Verwandten bis hinauf zum erkrankten Vater empfangen wird, fragt sich der Leser, warum diese Antipathien nicht schon vorher in den vorangegangenen, im Off stattgefundenen Nachrichten aufgeflammt sind? Die Familie ist so negativ und egoistisch beschrieben worden, dass der Leser Binti nur wünschen kann, das ihre Freundschaft zu Medusa, die sich nicht zum ersten Mal menschlicher und warmherziger als alle Erdenbürger zusammen zeigt, niemals zerbrechen wird.

 „Binti Home“ ist stilistisch genauso überzeugend geschrieben worden wie der erste Teil. Nnedi Okorafor kann sich sehr gut der Perspektive der Heranwachsenden hinein versetzen, die zwischen den Kulturen stehen. Binti ist auch weiterhin eine sehr sympathische Figur, welche die ganzen Erlebnisse im Grunde nicht verarbeiten konnte und auch unter dem Trauma fortdauernd leidet. Damit diese Fortsetzung aber überhaupt emotional ansprechend ist, musste die Autorin vor allem in einem direkten Vergleich zur Auftaktnovelle einige Kompromisse eingehen, welche die Stärken im Bereich der Kultur und der exotischen afrikanischen Landschaft unterminieren. Dadurch wirkt „Binti Home“ im Gegensatz zur dreidimensionalen kraftvolle Auftaktnovelle zweidimensionaler, funktionaler und irgendwie trotz der brisanten, zeitlosen Themen auch „herzloser“.            

 

 

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 1168 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 176 Seiten
  • Verlag: Tor.com (31. Januar 2017)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Englisch
  • ASIN: B01EROMI1S