Scratch One

Scratch One, Titelbild, Rezension
Michael Crichton (alias John Lange)

“Scratch One” ist einer der frühsten Michael Crichton alias John Lange Thriller. Wie bei einigen anderen der insgesamt acht Bücher hat sich der Amerikaner in verschiedenen Genres versucht und sich dieses Mal für ein Agentengarn entschieden, das vor allem während der ersten Kapitel mit diversen Morden an eine Exposition der in den sechziger Jahren so populären James Bond Filme erinnert.  Michael Crichton hat später in einem Interview erklärt, dass er den Roman während einer Reise durch Europa verfasst hat. So besuchte er sowohl das Filmfestival in Cannes als auch den Monaco Grand Prix, um anschließend nach eigener Aussage das Buch innerhalb von elf Tagen während der Reise zu verfassen. Auch wenn die Eindrücke dieser Reise den authentischen Eindruck hinterlassen, das der Autor vor Ort gewesen ist und deswegen so realistisch erscheinen, lässt der Spannungsbogen nach dem angesprochenen dynamischen Auftakt nach.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht wie nicht selten bei Crichton ein „normaler“ Mann, der in ungewöhnliche Situationen gestoßen wird. Wie es sich für Crichtons Helden dieser frühen literarischen Ära gehört, wachsen sie vor allem mittels ihres überlegenen Intellekts über sich hinaus und können sich auch schließlich aus lebensbedrohlichen Situationen retten, wobei während des finalen Showdowns auch eine Spur Rücksichtslosigkeit hinzu kommt.

Roger Carr ist einer dieser Charaktere. Er ist ein Frauenheld, der dank seines guten Aussehens, seines Auftretens und vor allem auch dank seines einflussreichen Vaters – er ist Politiker, wobei Crichton in dieser Hinsicht erstaunlich ambivalent bleibt und diese logische Komponente gar nicht effektiv in den Handlungsbogen einbaut – wird er in einer angesehen Anwaltskanzlei geduldet und mit niederen Aufgaben betraut. Dabei soll diese Arbeit seinem Leben als Playboy möglichst nicht im Wege stehen.

Carr soll in Nizza für einen Klienten eine Villa besichtigen und die entsprechenden Verträge fertigen.  Ein leichter Auftrag.

Der Leser weiß aber, dass in Südfrankreich ein Konflikt anscheinend zwischen der CIA und einer Bande mit Namen „The Associates“ am Kochen ist. Dabei geht es um eine Waffenlieferung. Kopf dieser Verbrecherorganisation ist ein Arzt, ein Schönheitschirurg, der in bester James Bond Antagonisten Manier auch gerne seine Feinde foltert. Crichton zeichnet ihn zwar als klassischen Psychopathen, der nur vordergründig nicht die Fehler von Ian Flemings Schurken macht, hintergründig aber genau diesem inzwischen eher klischeehaften Muster verfällt. So erläutert er doch den zum „Tode“ verurteilten Gegnern seine Pläne, um stellvertretend den Leser über die bislang nicht geklärten Hintergründe zu informieren. Sein umfangreiches medizinisches Wissen ermöglicht es ihm, seine Feinde auf perfide Art und Weise zu foltern, die Crichton auch im Seiten zu füllen, ausführlich beschreibt. Hinzu kommen noch einige offensichtliche Schönheitsoperationen, die ebenfalls von dem angehenden Mediziner und Thriller Autoren mit einer ungewöhnlichen Liebe zum Detail erklärt werden. Dabei überschreitet der Autor zwar nicht die Grenze der Glaubwürdigkeit, er verwischt viel mehr das anfänglich so hohe Tempo und nimmt insbesondere im Mittelteil seinem Roman eine entsprechende Dynamik.

Der Leser ahnt schon, dass die beiden Seiten – CIA und die Associates – Roger Carr bei seiner Ankunft verwechseln. Beide glauben, es handelt sich um einen amerikanischen Profikiller.  Crichton folgt dieser Prämisse ein wenig unglaubwürdig. Auch wenn sich Carr wie ein Amateur verhält und keine Ahnung hat, was um ihn herum bis auf das Kennenlernen einer sehr attraktiven jungen Frau geschieht, interpretieren beide Seiten ihn jede seiner Aktionen eine Besonderheit, einen Plan hinein.

Vor allem der politische Hintergrund ist interessant. Die Geschichte spielt in Frankreich. Im Hintergrund versuchen die Israelis auf dem schwarzen Markt weitere Waffen zu kaufen. Schwarzmarktbanden versorgen sie mit gestohlenen Gütern. Auch wenn Israel ein Partner der Vereinigten Staaten ist, herrscht bei den Geheimdiensten eine gewisse Paranoia.  Die arabischen Nationen versuchen diesen Kauf zu verhindern und agieren deshalb mit Mittelsmännern, wobei sich die Frage stellt, ob diese Mittelsmänner nicht zu sehr auch auf die eigene Rechnung agieren.  Zu den Schwächen des Romans gehört, dass John Lange alias Michael Crichton  die politischen Hintergründe im Kern entwickelt, sich aber auch hinsichtlich einer Meinung zurückhält. Dadurch wirken einige Aktionen mechanisch.

Von der Struktur her führt Crichton anfänglich zu viele Figuren im Grunde auch zu umfangreich ein und fokussiert sich sehr wenig auf die tragenden Elemente. Dass Carr auch noch eine unsympathische Heldenfigur ist, welcher der Leser ein Scheitern wünscht, erschwert den Handlungsaufbau zusätzlich. Der Mittelteil konzentriert sich auf die Atmosphäre der französischen Mittelmeerküste. Carr ist ein Müßiggänger, wobei er auf die hübschen Frauen weniger in James Bond Manier reagiert. Das ihm eine aus dem Schlafzimmer entführt wird, erscheint genauso ein Seitenhieb auf die Klischees des Agentengenres wie das abschließende Happy End.

Wie eingangs erwähnt bewegt sich Crichton vor allem bei der Zeichnung seiner Frauencharaktere  - eine Schwäche, die sich durch sein ganzes Werk zieht – sowie in diesem besonderen Fall auch des Antagonisten immer am Rande des Klischees.  Dabei wirkt sein Schurke mit seiner natürlich sadistischen Ader – ein Arzt greift immer zu den richtigen Folterwerkzeugen – fast wie ein Klischee. Interessant ist, dass Carr lange Zeit nicht nur ahnungslos ist, sondern sein ganzer Auftrag wie eine Fassade erscheint, als wenn der amerikanische Geheimdienst ihn als Sündenbock etablieren wollte. Diese letzte zynische Wendung präsentiert Crichton dem Leser nicht und auf den letzten, rasanten Seiten mit einem allerdings eher den James Bond Streifen entsprechenden, der Ausgangslage des Plots allerdings nicht konsequent folgenden Showdown zieht Crichton nicht nur das Tempo an, sondern präsentiert rückblickend einen in dem Flair der Zeit entsprechenden Showdown.

Crichtons Bücher sind immer cineastisch angelegt und als Kinofilm hätte „Scratch One“ ohne Frage besser gewirkt. Der große Preis von Monaco ist damals wie heute ein Ereignis, das gesehen, aber nicht erzählt werden muss.

Eine weitere Schwäche stellt die Grundidee der Verwechselung eines „Unschuldigen“ dar. Diese Prämisse ist oft verwandt worden und Crichton kann ihr leider keine neuen Akzente hinzufügen. Zu den Stärken des Romans gehört das kontinuierlich sich steigernde Tempo, nachdem Crichton zu Beginn übertrieben demonstrieren musste, wie weit der Arm der Verbrecherorganisation reicht. Das ganze aus heutiger Sicht mit rauchenden Protagonisten und ohne Handys fast exotisch archaisch erscheinende Flair und Crichtons Auge für Details, welche diese kurzweilig zu lesende Geschichte trotz der markanten Schwächen immer noch als Sommerunterhaltung lesenswert machen.

  • Taschenbuch: 272 Seiten
  • Verlag: Hard Case Crime (29. Oktober 2013)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1783291192
  • ISBN-13: 978-1783291199
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