Die Zeitmaschine

Die Zeitmaschine, Titelbild, Rezension
Dobbs & Mathieu Moreau

Als ersten Band der sechsteiligen H.G. Wells Comicreihe veröffentlicht der Splitter Verlag den Klassiker „Die Zeitmaschine“.  Der Autor Dobbs hat sich mit seinem in diesem Fall die Intention H.G. Wells deutlich besser als zum Beispiel die zu bunte George Pal Verfilmung treffenden Zeichner Mathieu Moreau an der literarischen Vorlage orientiert.

Dagegen hat Dobbs auf der einen Seite versucht, H.G. Wells Idee vom Klassenkampf und nicht den Folgen des vorhergesehenen großen Kriegs in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen und trotzdem einige Akzente der literarischen Vorlage vor allem auch in einem direkten Vergleich mit den beiden Verfilmungen zu verschieben und dadurch moderner zu gestalten.  Unabhängig davon ist es eine ausgesprochen treue Umsetzung der Vorlage.

Auf dem Titelbild wirkt der namenlose Zeitreise relativ jung, fast unschuldig.  Mathieu Moreau zeichnet ihn absichtlich so, um einen stärkeren Kontrast zur ersten und einzigen Rückkehr aus der fernen Zukunft besser graphisch umsetzen zu können. Wie im Buch versammeln sich dessen Freunde in seinem Haus. Das kleine Modell wird ausprobiert und verschwindet mit deutlich visuelleren Effekten als in der ersten Verfilmung. Vieles erinnert aufgrund der bunten Farben eher an die zweite, von H.G. Wells Enkel umgesetzte Adaption,  die aber inhaltlich viel mehr Raum sich nimmt.

Um seine Freunde zu überzeugen, reist er schließlich selbst in diese ferne Zukunft und erlebt die Abenteuer, die Wells beschrieben hat. Er trifft auf die extrem kindlichen Eloi und natürlich die Morlocks.  Wie bei Wells versucht der Autor die beiden unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen des viktorianischen Zeitalters darzustellen, wobei die Morlocks als die ausgebeutete Arbeiterschicht genauso wenig zu dieser Epoche gehört wie die naiven Eloi, die an keiner Stelle eine Art Oberschicht vertreten.  Noch deutlich als in der bekannten Verfilmung zeigen Moreau und Dobbs auf, dass die Morlocks als Kannibalen allerdings doch die gigantischen unterirdischen Anlagen auf eine unbekannte Art und Weise am Laufen halten, wobei der Comic einen deutlich industrielleren Hintergrund impliziert, während in George Pals Verfilmung die Höhlen eher als Vorratslager der Morlocks erschienen mit ein wenig Bewegungstherapie für die Eloi. 

Während Pal mit dem heute noch eindrucksvollen und prophetischen Abstecher in die Zeit des Großen Kriegs einen Zwischenstopp eingebaut hat,  fügen Moreau und Dobbs ihrer Adaption die abschließende Reise ans Ende der Zeit – nachdem der Reisende seine Freundin an die Morlocks verloren hat – wieder der Geschichte hinzu. Im Gegensatz zu dem eindrucksvollen Bildband „Unter fremden Sonnen“ mit dem verlorenen Zeitreisenden als Titelbild gelingt es dem Team nicht, diese Melancholie, diese Schwermut wirklich in Bilder zu fassen. Sie zeichnen die seltsamen Tiere ab, denen der Zeitreisende auch in H.G. Wells Geschichte begegnet, sie setzen diese Idee aber nicht extrapolierend um.

Auch die Episoden im Jahre 802.701 folgen teilweise fast sklavisch der Vorlage und wirken durch die ein wenig unrealistisch erscheinenden Bilder zu vage. Die unter der Erde spielenden Szenen dagegen sind deutlich nuancierter, griffiger und dunkler. Auch die Angriffe der Morlocks mit ihren gigantischen Augen aus dem Dunkel inklusiv eines entsprechenden Alptraums geben diesem Abschnitt der Handlung eine notwendige Dynamik zurück.

Mit ein wenig Phantasie ist die ursprüngliche Idee der Unterdrückung der Massen durch eine Elite extrapoliert aus der Gegenwart des viktorianischen Englands noch zu erkennen, wobei sich Dobbs positiv auf eine besondere Charakterisierung des namenlosen Helden konzentriert. Wie in der Romanvorlage sowie verstärkt in der zweiten Kinoadaption ist er auf der einen Seite ein besessener Forscher, der die Idee der Reise durch die Zeit pragmatisch, aber konsequent angeht. Er erkennt aber auch seine Fehler  und wächst mit den Herausforderungen. Nicht nur zeichnerisch wird aus dem Jüngling ein Mann.  Er verfügt über Ecken und Kanten, ist aber vielleicht auch wegen seiner Fehler und seiner manchmal erschreckenden Naivität zugänglich.   

Selbst Kenner des Originalromans werden vor allem von den im dunklen, nassen viktorianischen England spielenden Szenen mitgerissen.  Moreau nutzt nicht nur die ganze Seite. Insbesondere die Abreise mit dem Reisenden in der Mitte sowie den einzelnen Episoden darum herum platziert, auch der Weg in den Keller und schließlich die erste Rückkehr in die Gegenwart erscheinen stimmig und spiegeln die im Kern pessimistische Haltung H.G. Wells wider.  Die an der Oberfläche in der Eloi Zukunft spielenden Abschnitte wirken dabei ein wenig zu märchenhaft, zu künstlich und erwecken den Eindruck, als wenn sich das Geschehen auf einer Art Bühne abspielt, während mit dem Einstieg in die Unterwelt, den gigantischen von Maschinen dominierten Höhlen und schließlich dem Besuch in der Bücherei  wieder die Intention der Vorlage aufgegriffen wird.

Die Reise in die fernste Zukunft mit den seltsamen Kreaturen erinnert zu sehr an die Morlock Höhlen. Hier gibt es bessere Ideen. Das Schlussbild – im Roman bleibt ja offen, wohin der Namenlose gereist ist – zeigt Wells Protagonisten bewaffnet mit Kamera und in Begleitung seines treuen Freundes, eines Hundes,  zumindest für einen Moment zufriedener, wenn auch einsamer. Es ist ein süßsaures Bild, mit dem sich das Comic vom Leser verabschiedet. Ob die Ungewissheit der literarischen Vorlage besser gewesen wäre, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es ist aber kein störendes Manko.  

Dobbs und Moreau sind aber ihren eigenen Weg gegangen. Während in der in den fünfziger Jahren veröffentlichten Adaption der „Classics Illustrated“ mehr Wert auf eine damals moderne Form den Pulp Science Fiction Geschichten als der literarischen Vorlage folgenden Optik gelegt worden ist, findet sich in dieser neuen auch äußerlich hübsch gestalteten Hardcoverausgabe  neben einer erstaunlichen Textgenauigkeit und einer sehr guten Kompression der wichtigsten Themen des Romans auf knapp fünfzig Bildseiten deutlich mehr Nostalgie.   

ISBN:
978-3-95839-500-8
Verlag
Splitter
Erschienen am:
19.05.2017
Autor
H.G. Wells, Dobbs
Zeichner
Mathieu Moreau
Einband
Hardcover
Seitenzahl
56
Kategorie: