Into the Unknown

Into the Unkown, Titelbild, Rezension
Andy Murray

Biographien über Autoren sind schon schwierig. Selten ist das persönliche Leben so interessant wie das Schicksal, das sie ihren Charakteren angedeihen. James Ballard ist wahrscheinlich eine der wenigen Ausnahmen.
Biographien über vor allem Drehbuchautoren sollten noch eingeschränkter hinsichtlich ihrer Dramatik sein. Nicht selten wird nach einer bestimmten dunklen Seite gesucht, aus deren Ecke die nicht selten entweder morbiden und perversen Phantasien gekrochen sind. Ein Musterbeispiel sind die verschiedenen Arbeiten über Rod Serling, der nicht nur mit „The Twilight Zone“ Amerika gezeigt hat, was qualitativ hoch stehendes Fernsehen bedeutet. Rod Sterling hat sehr viel mit Nigel Kneale gemeinsam und doch könnten sie als Menschen den Biographen folgend nicht unterschiedlicher sein.
Rod Sterling hat die Phantastik in das amerikanische Fernsehen eingeführt und nicht nur mit den von ihm kreativ kontrollierten Fernsehserien Maßstäbe gesetzt. Nigel Kneale ist nicht nur der Schöpfer der „Quatermass“ Tetralogie, sondern eine der treibenden Kräfte im so erzkonservativen britischen Fernsehen der Nachkriegszeit gewesen. Hier hören aber auch schon die Gemeinsamkeiten auf.

Andy Murray präsentiert eine deutlich erweitere Neuausgabe seiner ersten, vor ungefähr zehn Jahren veröffentlichten Biographie „Into the Unknown“ mit dem nicht unbedingt treffenden Untertitel „The Fantastic Life of Nigel Kneale“. Nigel Kneales Leben ist von seiner Kreativität geprägt worden. Und dem Glück, im richtigen Moment am richtigen Ort das originellste Bahn brechende Drehbuch zu verfassen. Er hat kein aufregendes, aber ein ohne Frage erfülltes Leben geführt. Andy Murray versucht auch gar nicht, den ersten Lebensjahren sehr viel Dramatik oder schicksalshafte Begegnungen zu verleihen. Geboren in den soliden Mittelstand mit Wurzeln auf der Island auf Man hat Nigel Kneale vor allem über die Comics die Science Fiction kennen gelernt. Im Vorwort werden seine langjährige Frau – eine erfolgreiche Kinderbuchautorin -, sein Schwiegervater – ein aus Nazideutschland geflohener Publizist und Autor -, sein Bruder – ein Maler/ Künstler – und ihre eigenen inzwischen literarisch frei geschwommenen Kinder sehr persönlich, sehr kompakt, aber vor allem sehr sympathisch natürlich vorgestellt. Die gemeinsame Begegnungsstätte ist das Haus Nigel Kneales, in dem er bescheiden seine eigenen Meriten in der Ecke eines Wohnzimmers aufbewahrt, während der mumifizierte Marsianer aus seinem Meisterwerk „Quatermass and the Pit“ im Arbeitszimmer vor sich hin schlummert.

Aus dieser Bodenständigkeit heraus setzt sich Andy Murray begeleitet von vielen Zeitzeugen, aber vor allem auch Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, vor allem mit Nigel Kneales umfangreichen Werk auseinander, das aus viel mehr als den zahllosen heute noch bekannten phantastischen Drehbücher für BBC Mehrteiler bzw. das Kino bestanden hat. Hier kann wieder der Bogen zu Rod Sterling geschlagen werden. Während Nigel Kneale über die Kurzgeschichte als selbstständiger Autor schließlich durch seine Unlust, Romane zu verfassen, bei der BBC gelandet ist, adaptierte Rod Sterling von Beginn an bekannte Stoffe für das amerikanische Fernsehen. Auch Nigel Kneales erste Arbeiten sind meistens Bearbeitungen vor allem klassischer Stoffe gewesen. Hier setzt der Amerikaner ohne Frage auf den ersten Blick mehr Akzente, aber spätestens mit der ersten „Quatermass“ Serie aus der Note und Angst vor einem Sendeloch bei der BBC geboren entwickelte sich Nigel Kneale sehr viel konsequenter und zielstrebiger weiter, während Rod Serling sich in vielen literarischen Lagern noch versuchte und erst relativ „spät“ in der ersten Phase seiner Karriere mit „The Twilight Zone“ durchstarten sollte.

Das verbindende originale Element des ersten Abschnitte sind die insgesamt vier Miniserien, die Nigel Kneale neben anderen Stoffen für die BBC geschrieben hat. Die drei „Quatermass“ Folgen und schließlich seine Fassung der Yeti Legende. Berücksichtigt werden muss dabei, dass die Originalversionen der BBC heute nur noch in Drehbuchform und rudimentär dank zahlreicher Fotos vom Set und den Dreharbeiten vorhanden sind. Im 21. Jahrhundert hat man die erste Quatermass Folge noch einmal als Liveausstrahlung neu ausgezeichnet, der Flair des Originals und seine erstaunliche Wirkung auf die unvorbereiteten Massen ist aber nicht mehr erreicht worden. Viele Fans schlagen den Bogen zu Nigel Kneale über die immer noch populären Hammer Kinoversionen. Auch hier haben Biograph und Drehbuchautor einiger zu sagen, wobei aus der subjektiven Perspektive des nicht für die Hammer Versionen bezahlten Nigel Kneale vielleicht ein wenig Wehmut und Missgunst mitschwingt. Schließlich ist es nicht leicht, einen Fernsehmehrteiler zu einem kurzweiligen Kinofilm einzudampfen und dabei die Essence weiterhin an Bord zu halten.
„Quatermass“ als Serie steht für viele Elemente in Nigel Kneales Werk. Die Hommage an H.G. Wells – auch hier finden sich sehr viele Hinweise – ist dabei genauso herausgearbeitet worden wie die Neugierde auf das Weltall da draußen und die paranoide Angst vor der Invasion, nicht mehr durch die Nazis, sondern die Fremden vom Mars. Nicht umsonst spricht Andy Murray davon, dass im ersten Film die Invasion vorbereitet; im zweiten Serial in vollem Gange und schließlich im dritten „Quatermass“ schon lange in der Vergangenheit liegt, obwohl alle drei Teile in der Gegenwart spielen. In mancher Hinsicht ragt der vierte, sehr viel später entstandene „Quatermass“ Streifen aus der Masse heraus, aber kritisch gesprochen ist er ein nostalgischer Rückblick eines alten, gebrochenen Mannes auf die verwirrte und verführte Jugend. In dieser Hinsicht reiht er sich inhaltlich sehr wohl in die “Quatermass“ Streifen an, nicht unbedingt an die vierte, sondern eher an die dritte Stelle von „Quatermass and the Pit“.

Unabhängig davon wird Nigel Kneale Quatermass immer wieder begegnen. Der ungeheure Einfluss der Miniserien wird ein wenig verzerrt und subjektiv dargestellt. Das Nigel Kneale mit der Hippie und Babyboomer Generation nicht viel anfangen konnte, steht in keinem Kontrast zu dem Einfluss, den seine Serien auf eine ganze Reihe von später populären und kreativen Menschen vor allem aus der Rockszene gehabt hat. Diese Wechselwirkungen ziehen sich ja nicht nur durch Nigel Kneales Werk, sondern durch die Arbeiten vieler populärer Autoren. Ein typisches Beispiel ist Tolkiens „Herr der Ringe“, der auch erst Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung von einer ganz anderen Generation angenommen und zum Bestseller gemacht worden ist. Vor allem stehen diese Thesen in einem starken Widerspruch zu den Drehbüchern, die Nigel Kneale zu Beginn der siebziger Jahre wieder für die BBC, wenn auch als freier Mitarbeiter eher widerwillig verfasste. Viele der Stücke sind entweder nicht produziert worden oder die Bänder stehen nicht mehr zur Verfügung. Daher muss der Autor ihre Wirkung vor allem von den vorhandenen Drehbüchern ableiten. Nigel Kneale hat übrigens wie Pete Watkins – er hat ebenfalls bei der BBC mit dem Aufsehen erregenden „The War Games“ begonnen – die Entwicklungen der Zeit sehr genau beobachtet und mit einer Mischung aus Satire/ Mahnung extrapoliert.

In „Quatermass“ hat Nigel Kneale die Ängste einer anderen Generation inklusiv des langen Einfluss des Zweiten Weltkriegs in kraftvolle Bilder gefasst. Jetzt warnt er nicht alleine vor den Folgen der Realityshows und der Extrapolation der Sexualität in Form von Pornographie, freiem ungebundenen Sex und schließlich dem Einfluss der Drogen. Andy Murray versucht immer wieder Nigel Kneales Vorreiterrolle herauszuarbeiten, wobei er fast ein wenig borniert andere Autoren und Filme ignoriert. Die Idee der Realityshow hat Nigel Kneale nicht als Erster aufgegriffen. Robert Sheckley hat es in seiner mehrfach verfilmten Geschichte „Das zehnte Opfer“ auf eine erste Spitze getrieben. Die erste Verfilmung mit dem gleichen Titel stammt aus den sechziger Jahre, bevor Nigel Kneale sein eigenes Drehbuch verfasst hat. Die Menschenjagd steht nicht im Mittelpunkt seiner Geschichte, aber die Produzenten einer fiktiven Fernsehshow müssen unter ihre „Opfer“ einen Mörder, um die Dramatik zu erhöhen. Natürlich ist es eine originelle Variation des bekannten Stoffes, aber es ist nicht die originäre Schöpfung, die Murray Nigel Kneale immer wieder unterschiebt.

Ohne Frage ist Nigel Kneale ein populärer wie bekannter Drehbuchautor, der eine Reihe von meisterlichen Stoffen erschaffen hat. Aber an einigen Stellen versucht Murray angesichts der verschiedenen Frustrationen von nicht realisierten Kinofilmen und/ oder den eingeschränkten Produktionsbedingungen bei der BBC die Rolle des Drehbuchautoren in seinem bürotechnischen Elfenbeinturm zu sehr zu extrapolieren und damit der Realität des Fernsehshowbusiness zu entziehen.

Es ist immer schwierig, alleine von einem Drehbuch oder der Überarbeitung eines Kinofilms alleine auf die besonderen Merkmale umzuschwenken und sie zu extrahieren. Da Murray vor allem Nigel Kneale ein Denkmal setzen wollte und seinen ohne Frage umfangreichen Einfluss auf die vor allem britischen Fernsehlandschaft herausstellen musste, ist es wichtig, dessen Werk gegen andere lang laufende Schöpfungen zu stellen. Ein weiterer roter Faden ist die „Dr. Who“ Serie, welche die BBC produzierte. Mehrmals hat Nigel Kneale auch öffentlich die Serie als zu brutal für Kinder abgelehnt. Als die Zuschauerzahlen schwanden, haben sich die Produzenten sehr gut in diesem Buch herausgearbeitet an den „Quatermass“ Filmen mit der Erschaffung der UNIT und den verschiedenen Invasionen auf britischen Boden orientiert. Ein gefundenes Fressen für Nigel Kneale, der zumindest zeitweilig das Gefühl hat, recht zu haben. Im Umkehrschluss wird aber nicht die Frage gestellt, ob eine lang laufende „Quatermass“ Serie durch die eingeschränkten Themen den gleichen Erfolg wie „Dr. Who“ gehabt hätte. Die Wechselwirkungen der beiden Science Fiction Serien werden immer wieder beschrieben, bleiben aber in einem ausschließlich theoretisierenden Raum stecken.

Ein weiterer roter Faden ist Nigel Kneales freiem Werk ist die Begegnung mit dem Übernatürlichen. Aus den „Quatermass“ Filmen ableitend kann auch davon gesprochen werden, dass die Marsianer vor allem in „Quatermass and the Pit“ den Götzenbildern des Teufels entsprechen. Eine Reihe von Geistergeschichten bzw. Texten, in denen sich der Brite mit dem Aberglauben des auch gebildeten Menschen auseinandersetzte, bilden thematisch eine vielschichtiges Gesamtbild. Wie bei seinen Mediensatiren ist es schade, dass die meisten der Fernsehserien nicht mehr vorhanden sind.

Nigel Kneales Karriere hat sich über einen Zeitraum fast von vierzig Jahren beginnend Anfang der fünfziger Jahre und endend Ende der siebziger/ Anfang der achtziger Jahre hingezogen. Auch wenn es die Kritiker nicht immer so gesehen haben – siehe die erfolglose Satire „Knigvig -, hat Nigle Kneale manchmal auch unbewusst den Zeitgeist getroffen und karikiert. Im Gegensatz zu vielen Sitcoms hat er wie der Autor richtig herausarbeitet vieles aus einer erstaunlich „erwachsenen“, nicht distanzierten und vor allem nicht belehrenden Perspektive betrachtet. Erwachsen erscheint auf den ersten Blick paradox, aber Nigel Kneales Figuren haben ihre Erfahrungen dem Leben entnommen und im direkten Vergleich zu vielen anderen Fernsehserienautoren hat der Brite nicht auf ein dogmatisches Pferd gesetzt, das die Zuschauer quasi stellvertretend für die Protagonisten nur in eine eingeschränkte Richtung galoppieren lässt. Diese intellektuelle Freiheit basierend auf den genau dieses demokratische Denken negierenden ersten Adaption von Werken wie „1984“ zieht sich von seinen bekanntesten Schöpfungen wie „Quatermass“ –immer ein Querdenker, ein Freigeist und vor allem als Mann der Wissenschaft zwischen Hoffnung und Angst stehend – bis zu seinen heute unbekannten Drehbüchern, von denen einige wenige zumindest in Buchform erschienen sind.

Andy Murray differenziert dabei sehr stark zwischen den Drehbüchern für die BBC und später auch ITV, sowie seinen Arbeiten fürs Kino. Hier erwartet Nigel Kneale, dass er als Drehbuchdoktor auch noch einmal „überschrieben“ wird. Aufgrund seines Rufs sind seine Drehbücher fürs Fernsehen entweder überwiegend so adaptiert oder die Projekte aufgrund von Angst bei den Vorgesetzten oder zu hohen Budgets eingestellt worden. Diese Vermischung, diese „Verweichlichung“ in einem direkten Vergleich mit den Kinofilmen gibt es nicht. Daher lässt sich Nigel Kneales Intention wahrscheinlich am ehesten an diesen Arbeiten ableiten und es ist kein Zufall, dass sie auch im Mittelpunkt dieser lesenswerten, in kritischer Hinsicht aber teilweise auch zu ambivalenten Studie stehen. Das britische Kino im Allgemeinen und die wenigen Exkurse nach Hollywood – Kneale hat für John Carpenter ja „Halloween III“ verfasst und an einem Remake der „Creature oft he Black Lagoon“ für John Landis gearbeitet – haben ihn Nigel Kneale eine Sehnsucht nach der überschaubaren „Fernsehlandschaft“ hinterlassen, wobei das meiste Geld allerdings von den Filmproduzenten in seine Kassen geflossen ist. Die Ähnlichkeiten zwischen „Jäger des verlorenen Schatzes“ und den ersten/ zweiten „Quatermass“ Filmen ist zumindest gut begründet, aber es gibt einige Dutzend andere Quellen inklusiv verschiedener Serial, die ebenfalls Spielberg/ Lucas als Inspiration gedient haben könnten. Der zu enge Hinweis auf Nigel Kneales Drehbuch wirkt kontraproduktiv und scheint auf eine in diesem Fall Scheuklappenperspektive hinzudeuten.

Im Zuge des langen, wahrscheinlich für die Neuauflage geschriebenen Epilogs relativiert der Autor einige seiner Aussagen. Er gibt zu, das Nigel Kneale nicht immer nur der professionelle Gentlemen hinter der Schreibmaschine gewesen ist, sondern das anscheinend die Zusammenarbeit mit ihm immer um die Sache gehend und nicht auf einer persönlichen Ebene auch als herausfordernd angesehen werden kann. Dieser leider nur ambivalent beschriebene „Ruf“ hat anscheinend Projekte in den späteren Jahren schwierig bis unmöglich gemacht, wobei auch die Fernsehproduzenten die Budgets für Nigel Kneales Drehbücher nicht zusammen bekommen haben.

So bleiben viele Projekte in ihren Ansätzen stecken. Die Faszination dieses Buches liegt in der Tatsache begründet, dass Murray ihren Inhalt basierend auf Entwürfen, Drehbüchern oder manchmal auch nur verbaler Kommunikation zusammenfasst und sie in das umfangreiche Werk Nigel Kneales eingebaut.

Immer wieder verweist der Autor auch auf die literarischen Erfolge der anderen Familienmitgliedern beginnend mit seiner Ehefrau, die den Bestseller „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ verfasste, sowie seines Sohnes. Diese Exkurse – Nigel Kneale hat niemals direkt mit seiner Frau oder seinem Sohn zusammengearbeitet – runden die Betrachtung eines der ohne Frage wichtigsten phantastischen Fernsehautoren Großbritanniens ab, der sich niemals als echter Science Fiction oder Horror Fan angesehen hat.

Das handliche Taschenbuch ist reichhaltig bebildert. Zusammengefasst bietet Andy Murrays Essay nicht nur Nigel Kneale Fan wichtige neue Informationen, sondern gibt es einen nachhaltig umfassenden Überblick über dessen heute teilweise unbekanntes und von der BBC gelöschtes Werk. Hinzu kommt der Blick hinter die Kulissen der britischen Fernsehproduktionen beginnend in der Kinderschuhen nach dem Zweiten Weltkrieg und endend in teilweise unbeweglichen Molochs, die ohne Mut und Phantasie ungewöhnliche Projekte nicht mehr realisiert haben.

  • Taschenbuch: 300 Seiten
  • Verlag: Headpress; Auflage: 2nd ed. (1. Juni 2017)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1909394467
  • ISBN-13: 978-1909394469
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