Am Ende von Torsten Seiferts Roman bleiben zwei Erkenntnisse über. Die präsentierten Fakten könnten in der fiktiven Umgebung dieser Geschichte nur eine weitere Seite im Mysterium des Schriftstellers B. Traven sein. Oder auch eine Erweiterung der bestehenden Legenden und der nicht vom Autoren, aber anderen Experten recherchierten Fakten. Zum Kern der Wurzeln des wahrscheinlich 1882 als Hermann Otto Albert Maximilian Feige geborenen B. Traven alias Ret Marut dringt Torsten Seifert während des finalen Showdowns buchstäblich in der Grube nicht richtig vor. Eine andere These überdeckt diese inzwischen so gut wie bewiesenen Recherchen nicht nur der Engländer Wyatt und Robinson, sondern auch des Literaturwissenschaftlers Jan- Christoph Hauschild.
Es ist die Suche nach einem Geist, welche den Protagonisten / Reporter Leon erst aus Los Angeles im Auftrag seiner Zeitung nach Mexiko zu den Dreharbeiten von „Der Schatz der Sierra Madre“ – natürlich basierend auf dem Roman Travens – führt, schließlich nach Europa und zurück nach Mexiko. Am Ende wird er einige Antworten auf seine Fragen gefunden haben. Aber in einer vielleicht ein wenig kitschigen zweiten Handlungsebene auch seine große neue Liebe, die exotische wie lebensbejahende Maria. Eine Frau mit einer Vergangenheit, die teilweise B. Travens politischer Vergangenheit in nichts nachsteht.
Die Liebesgeschichte ist das grundlegend schwächste Element des ganzen Romans. Im Gegensatz zu den tragischen Helden, die B. Traven so gerne für wenige Minuten ins Rampenlicht gezerrt hat, um sie dann an den typischen menschlichen Schwächen scheitern zu lassen, räumt der Autor zu viele Hindernisse dieser Beziehung aus dem Weg. Dabei spielt der Faktor Zufall eine große Rolle. Vor allem nach dem ersten Drittel des Romans hätte Maria sehr viel mehr als eine attraktive intelligente Frau am Filmset. Auch als ihre Vergangenheit in Form eines Briefes erweitert wird, verliert sie nicht an Faszination. Es ist der Drang des Autors, diese Handlungsebene abzuschließen, welche ihren Charakter unterminiert. Dabei ist so viel Potential in ihrer Vergangenheit und Gegenwart vorhanden, das einen B. Traven auf die Palme gebracht hätte. Wie an einigen anderen Stellen scheint der Autor sich mit Kompromissen zufrieden zu geben, die einen seichten Roman vor einem überwiegend realistischen und meistens gut recherchierten Hintergrund ergeben, aber eben nicht in diese dramaturgisch so einzigartige verstörende Tiefe gehen, die B. Travens politisch nicht unumstrittenes Werk so ausgezeichnet haben.
Die Suche nach B. Traven ist in sehr unterschiedliche Etappen eingeteilt. An einer Stelle vielleicht auch aus spannungstechnischen Gründen holt den vielschichtigen Leon seine mittelbare Vergangenheit ein, was nach einem Krankenhausaufenthalt nicht zum letzten Mal mit einem Abstecher über die mexikanischen Sitten/ Gebräuche, ihre Lebensart nicht bedingt weiter zu einem potentiellen Ziel führt, das der Protagonist nicht alleine stehend gleich zu Beginn seiner Suche als unwahrscheinlich abgehackt hat. Es ist möglich, dass B. Traven auch aus seiner Zeit als Schauspieler mit überschaubaren Erfolg die Verwandlung liebt und sich verkleidet/ affektiert unter das Volk mischt. Dass er die Suche nach sich selbst von Beginn an als Farce zu entlarven und die Öffentlichkeit zu entmutigen sucht.
Interessant ist, dass dabei ein Ansatz gar nicht zu Sprache kommt. Es gibt Thesen, die diese Figur als Inkarnation B. Travens ausschließen. Aber die Traven Forschung hat festgestellt, dass der Schriftsteller anscheinend ein Arbeiterkind gewesen ist . Zwar hat er sich früh gewerkschaftlich engagiert, aber es ist ein weiter Schritt von einem im brandenburgischen Schwiebus geborenen Sohns eines Töpfers und einer Fabrikarbeiterin bis zu einem populären wie geheimnisvollen Schriftsteller, der im Umkehrschluss wie impliziert aber eines seiner bekanntesten Bücher dem Mund eines Seemanns abgelesen und mit einer in der Internierung geschriebenen zweiten Hälfte zusammengefasst hat.
Das erste Drittel des Buches beschäftigt sich nur mittelbar mit Traven. Am Set von „Der Schatz der Sierra Madre“ lernt Leon vor allem Bogart kennen, mit dem er die Leidenschaft fürs Schachspielen teilt. Es ist ein ambivalentes Portrait, das der Autor hier zeichnet. Die einzigartige Atmosphäre wird allerdings durch einige Ungenauigkeiten unterminiert. So müsste Bogart Truman Capote erst einige Jahre später bei den Dreharbeiten zu „Beat the Devil“ kennen gelernt haben, als er für Huston ein verhunztes Drehbuch aus dem Feuer retten sollte. Ende der vierziger Jahre hat Capote noch nicht viel mit Hollywood zu tun und scheint auch nicht in deren Kreisen verkehrt zu haben.
Seifert lässt sich viel Zeit. Konzentriert sich auf die bekannteren Bogart und John Huston als einführendes Element. So macht Bogart Leon mit Travens Büchern vertraut, während er immer wieder im Schachspiel gegen den jungen Reporter verliert. Positiv ist, dass der Autor in diesen Passagen die inzwischen legendären Überfiguren erdet und Leon als polarisierendes Element einsetzt, dass die Schwierigkeiten der Dreharbeiten in extremen Gebieten für den Leser verständlich machen.
Auf der anderen Seite greift Seifert aber auch auf verschiedene Quellen zurück. So hat Huston nur wenige Tage geglaubt, dass Hal Croves als Travens rechte Hand vielleicht der Schriftsteller sein könnte. Die Art der Verneinung wird im Laufe des Buches zu einer möglichen Bejahung, bevor der Autor auch dieser bekannten Idee zumindest in der Theorie den Boden wieder entzieht. Außeracht wird die Theorie gelassen, dass Mitglieder von Hustons Crew vielleicht doch der Meinung gewesen sind, es könnte sich bei Croves um Traven handeln. Nicht nur an dieser Stelle scheint der Autor eher Tapio Helens Essay zu folgen anstatt auf Hauschild zurück zu greifen.
Diese elementare sowohl in persönlicher als auch hinsichtlich seiner Suche lange Einführungssequenz endet auf dem süßsauren Tonfall, den Travens Geschichten von vom Leben gezeichneten Verlierern auch heute noch so interessant machen.
Der Abstecher ins Wien des vierten Mannes mit den Bezügen sowohl zu den Nationalsozialisten als auch die wilde Zeit der Räterepublik dient vor allem dazu, dass der Leser mit Travens Vergangenheit und vor allem den politischen Wurzeln seines Werkes vertrauter wird. Seifert baut nicht die morbide Atmosphäre des Carol Reed Klassikers auf, sondern versucht nicht nur in diesen Abschnitten den historischen Hintergrund der geteilten Stadt aufzuhellen. Es ist eine traurig faszinierende Episode, die nicht zuletzt durch das nasskalte europäische Wetter sich vom in mehrfacher Hinsicht heißen Mexiko unterscheidet.
Am Ende fallen die potentiellen Versatzstücke und Hinweise relativ schnell, für einen derartig „gesuchten“ Autoren in einem unbestritten korrupten Land zu schnell zusammen. Das vorläufige Ende ist fatalistisch. Es ist nicht das einzige Mal in dem Buch, dass Torsten Seifert auf das eher typische als effektive Handwerk des Schriftstellers zurück greift und seinen Protagonisten in einer Gefahrensituation zurücklässt, aus welcher er im nächsten Kapitel erwacht.
Torsten Seifert geht als Autor einen überzeugenden Weg. Er spricht keine Traven Fans an. Dazu sind die hier mehr oder minder verklausuliert präsentierten Informationen spätestens aus dem im Anhang angesprochenen, grundlegenden Werk von Jan Christoph Hauschild inzwischen zu bekannt. Das Mysterium Traven ist keines mehr. Auch die Verweise und Zitate aus seinen Büchern dienen mehr dazu, den oberflächlich Interessierten auf diesen Schriftsteller wieder aufmerksam zu machen. Für die Werke gelesen oder wahrscheinlich angesichts der brisanten wie politisch linksstehenden Inhalte studiert hat, wird den Zitaten wenig bis gar nichts entnehmen können.
Viel eher wirkt „Wer ist B. Traven?“ wie eine unpolitische Hommage an diese hier zitierten Arbeiter. Mit dem Reporter Leon verfügt er über eine Figur, welche zwar spanisch leidlich spricht, für den aber dieses hier beschriebene Mexiko mit seinen schmierigen Kneipen, den maskierten Ringern, dem blutigen und abstoßen Stierkampf, der Armut und des Reichtums ein exotischer surrealistischer überlebensgroßer Jahrmarkt geworden ist, auf dem man sich freuen, aber auch fürchten kann. Immer an der Grenze zur Belehrung stellt Seifert in zahlreichen, in den Plot eingebundenen kurzweilig zu lesenden Exkursen mittels Erklärungen dieses Mexiko nicht nur dem Protagonisten, sondern auch dem Leser vor. Das macht einen wichtigen Teil dieses lesenswerten, vielleicht nicht gänzlich befriedigenden, aber erstaunlich vielschichtigen Romans aus.
Vor allem aber wird er neue Leser zu B. Traven bringen, dem radikalen Exilanten, der eingesehen hat, das die Revolution ihre Kinder nicht immer frisst, sondern sie durch das kurzzeitige Erreichen ihrer Ziele wieder genügsam macht.
Aber auch den berichtenden Schriftsteller B. Traven hat die Zeit überholt, wie der Misserfolg seines letzten nach Jahren des Schweigens veröffentlichten Romans belegt. Über diese Fakten schweigt der vorliegende Roman, denn Leon hat am Ende ja nicht nur die Liebe, sondern auch Antworten gefunden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und nur das eigene Gemüt beruhigen.
- Gebundene Ausgabe: 269 Seiten
- Verlag: Tropen; Auflage: 1. Druckufl. (14. Oktober 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3608503471
- ISBN-13: 978-3608503470