Androiden Band 1 "Wiederauferstehung"

Androiden Band 1, Titelbild, Rezension
Jean-Luc Istin

Mit dem Vierteiler „Androiden“ präsentiert der Splitter Verlag ein interessantes, vor allem für den europäischen Raum ungewöhnliches Experiment. Es handelt sich um vier abgeschlossene Geschichten von vier unterschiedlichen Autoren in vier Alben. Das gemeinsame Thema sind Androiden, wobei im vorliegenden ersten Band „Wiederauferstehung“ dieser rote Faden fast den interessanten, vielschichtigen Plot unterminiert und gegen Ende fast kontraproduktiv erscheint.

Herausgekommen ist zumindest im Auftaktband eine ungewöhnliche Geschichte, welche Ideen der „Schwermetal“ oder „Judge Dredd“ Comics visuell extrapoliert, aber eine Story erzählt, die tief verwurzelt nicht auf der „Matrix“ Generation aufbaut, sondern nicht nur wegen der Zitate von Isaac Asimov – die Robotergesetze werden eher pragmatisch, aber den ganzen Plot betrachtend richtig eingesetzt – und Philip K. Dick auf der Basis der Science Fiction vor allem der sechziger Jahre aufsetzt.

 Jean Luc Istin hat zusammen mit seinem Zeichner Jesus Hervas Millan einen vielschichtigen, paranoiden Plot erschaffen. Anfang und Ende der Geschichte bilden Meteoritenschauer anscheinend von Marsmaterial, welche der Schutzschirm der Erde nicht mehr abfängt. Auch eine im Orbit befindliche Station wird getroffen und stürzt vor New York ins Meer.

 Die futuristische Welt hat anscheinend den Tod besiegt. Die Menschen leben mehr als fünfhundert Jahre dank einer Wunderdroge, die sich als integraler Bestandteile der Geschichte als Teil einer Illusion darstellt, welche die Regierenden inszeniert haben, um den einzelnen Bewohnern eine Fiktion aufrechtzuerhalten, die zum Beispiel in dem auch kürzlich im Knaur veröffentlichten Buch „Mr. Sapien träumt vom Menschsein“ ebenso wie in dieser auch deutlich dynamischeren Geschichte auf eine interessante, spekulative Spitze getrieben worden ist.

 Wie bei Dick wird die Idee extrapoliert, ab welchem Moment der Mensch aufhört zu existieren und der Android in mehrfacher Hinsicht dessen Rolle übernimmt. Während Philip K. Dick in „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ diese These in einer auch durch die beiden „Blade Runner“ Verfilmungen vielschichtigen Art und Weise diskutiert und vor allem seine Charaktere in dem Schwebezustand zurückgelassen hat, ob sie wirklich Menschen oder Androiden sind, geht J.L. Istin in seiner Welt noch einen Schritt weiter.

 Seit fünfhundert Jahren gibt es in dieser Welt nicht nur keine natürlichen Tode, es gibt auch keine Geburten. Lin ist eine Polizistin, die mit ihrem Roboterbegleiter Mordfälle bearbeitet. In einer absurd erscheinenden Wendung soll sie den Tod des örtlichen Leiters für Comickunst untersuchen. Anscheinend ist dabei die Erstausgabe der „Fantastic Four“ gestohlen worden.

 Auf der zweiten Handlungsebene erwartet die Retrokünstlerin – sie restauriert alte Meister  - Anna ein Kind. Die erste Schwangerschaft seit eben diesen fünfhundert Jahren, obwohl ihr sexueller Kontakt zu ihrem Mann nicht mit dem Beginn der Schwangerschaft übereinstimmen kann.

 Die dritte Frauenperson ist eine Hackerin, die zusammen mit dem Leiter des Comicmuseums und einem dritten Mann – dieser nimmt in einer Schwebebahn Geiseln, um der Welt zu demonstrieren, dass die relativ unsterblich machende Droge eine Farce ist – am Tag des Absturzes der Raumstation in New York am Strand gewesen ist. Gemeinsam haben sie nach Überlebenden gesucht und dabei aus den Datenbänken natürlich passend ein schreckliches Geheimnis geborgen.

 Lange Zeit hält J.L. Istin die einzelnen Handlungsstränge voneinander getrennt und baut sehr komplex, aber nicht kompliziert ein vielschichtiges Portrait dieser perfektionierten technokratischen Zukunftswelt auf, deren Ordnung durch den mehr und mehr brüchig werdenden Asteroidenabwehrschild gestört wird. Die Mordermittlungen führen relativ schnell vor allem in Kombination mit der Geiselnahme und der Hinrichtung des Verbrechers die Polizisten Lin in die einzige in Frage kommende Richtung.

 Wie bei einer Zwiebel blättert J.L. Istin eine Information nach der Anderen auf, wobei Anne Schwangerschaft anfänglich irritiert und scheinbar absichtlich auf eine für den Leser möglicherweise „falsche“ Fährte lockt.

 Das Finale mit der öffentlichen Demonstration wirkt vielleicht ein wenig zu stark bemüht, entspricht aber der Verdummungspropaganda der Regierung, welche ein seit Generationen gehütetes Geheimnis durch den nächsten logischen Schritt nicht unbedingt lüften, sondern ungeschehen machen will. Interessant ist dabei die nicht unbedingt böswillige Intention der Regierung, sondern der fast verzweifelte Versuch, eine Normalität wieder herzustellen und der breiten Masse der Bevölkerung wieder eine erfüllende Aufgabe zuzuschanzen. Auch „Mr. Sapien träumt vom Menschsein“ versucht diese nicht unbedingt emotionale, aber intellektuelle Lücke auf eine vergleichbare Art und Weise zu füllen, wobei der Roman eine intime, in mehrfacher Hinsicht in die Vergangenheit dieser Welt greifende Geschichte ausführlich beschreibt, während der hier vorliegende Comic deutlich globaler, umfassender, vielleicht auch paranoider, aber effektiver die „Wiederauferstehung“ umzusetzen sucht.

 Aber es finden sich vor allem in der zweiten Hälfte auch viele Züge von Philip K. Dick in der Geschichte. Wie der Amerikaner etabliert J.L. Istin eine dem Science Fiction Leser vertraute Welt, wie sie Luc Besson vor allem in seinen SF Filmen „Das fünfte Element“ und „Valerian“ auf die Leinwand gezaubert hat.  Der Handlungsaufbau impliziert sogar eine „Matrix“ Variation.

 Während Dick konsequent bis paranoid immer wieder den Unterschied zwischen dem Androiden und dem Menschen aus wechselnden Perspektiven untersucht und analysiert hat, will Istin gar nicht diesen Weg gehen. Viel mehr untersucht er die Frage, ob eine Regierung berechtigt ist, ein Geheimnis zu bewahren und das eigene Volk manipulierend im Dunkeln zu halten, um den Selbsterhalt zu gewährleisten und vor allem ihre existentielle Sinnlosigkeit nicht zu sehr zu offenbaren? Der Autor liefert keine Antworten und sowohl der Handlungsverlauf wie auch der zugrunde liegende Titel dieser Geschichte implizieren einen konsequenten Neuanfang, der im Grunde ein Rückschritt ist und diese perfektionierte Kopie einer futuristischen menschlichen Gesellschaft bis in die kleinsten Details wie den Killerroboter ad absurdum führt.

 Im Gegenzug stellt sich für den Leser nicht die Frage, ob nach einem Zeitraum von mehr als fünfhundert Jahren basierend auf der angesprochenen Historie diese Gesellschaft nicht inzwischen ihre Existenzberechtigung nachgewiesen und sich selbstständig weiter entwickelt hätte. Damit wäre Istin wieder bei Dick angekommen, dessen „Kunstgesellschaften“ nicht selten perfekter, vielleicht weniger emotionaler, aber immer stabiler gewesen sind als die vom schwächsten Glied der Kette – dem Menschen – zusammengehaltenen sozialen Katastrophen, welche der Amerikaner aus seiner Gegenwart vor allem in den in den siebziger Jahren veröffentlichten Romanen entnommen und paranoid verfremdet hat.

Istin liefert in Begleitung von den teilweise großartigen wie großformatigen, an das englische „2000 AD“ erinnernden Zeichnungen eine dunkle, eine brutale Welt ab, die aus den technokratischen Fugen zu Lasten des „Menschen“ geraten zu sein scheint. Aber rückblickend macht sie als gigantische Bühnen eines Stücks, das von einem Narren inszeniert worden ist, sogar Sinn. Der große Kritikpunkt ist, dass Anne und Lis sich zu ähnlich sehen und der Leser sie nicht auf den ersten Blick als zwei Protagonisten erkennen kann. Diese Unterschiede werden später deutlicher, aber zu Beginn angesichts des vielschichtig aufgebauten Szenarios verwirrt diese Vorgehensweise.

Als Auftaktband ist „Androiden- Wiederauferstehung“ eine interessante, an die besten Science Fiction Geschichten erinnernde Actionstory mit einer nachdenklich stimmenden Komponente, wobei am Ende die Fäden zu schnell ineinander laufen. Aber zumindest für einen Teil dieser Gesellschaft verweigert der Autor ein vielleicht zu zynisch klingendes Happy End. Bis zu diesem Punkt hat Istin aber eine Story entwickelt, die angesichts ihrer Doppeldeutigkeit wie Komplexität vielen SF Büchern mit ähnlicher Ausgangsbasis in Nichts nachsteht und durch die Illustrierung sogar vor den Augen der Leser diese Welt zusätzlich unangenehm lebendig macht.

 

  • Gebundene Ausgabe: 64 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. September 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958395686
  • ISBN-13: 978-3958395688
  • Originaltitel: Androïdes
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