Clarkesworld 148

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke weißt in seinem Vorwort wieder auf die alljährliche Auszeichnung der besten Titelbilder und der besten Kurzgeschichten im „Clarkesworld“ hin. Mit keinem Wort erwähnt er, dass er zumindest in dieser Ausgabe die bisherige Hinwendung zu originalen Geschichten zu Lasten der Nachdrucke abgemindert hat. Die beiden längsten Geschichten sind Nachdrucke allerdings aus den Jahren 2016 und 2018, was nicht unbedingt sein.  Zumindest bei einer der beiden Geschichten besteht zusätzlich die Wahrscheinlichkeit, dass der Leser sie in Neal Clarkes „Best Stories“ Anthologie noch einmal finden wird.

Chris Urie interviewt den umtriebigen und fleißigen Wesley Chu, der nicht nur über seine neuen Projekte spricht, sondern auch einen Einblick in die Verlagspolitik gibt.  Bis nächstes Jahr ist er noch durch mehrere Buchverträge gebunden, bevor er endlich frei schreiben kann.

Carrie Sessarego arbeitet in ihrem Essay den Unterschied zwischen Liebe und Romanzen in vor allem der cineastischen Science Fiction heraus und versucht deutlich zu machen, warum diese Themen die Leser/ Zuschauer weiterhin nachhaltiger ansprechen als  reine Actionszenen.  Kelly Robson schließt den sekundärliterarischen Teil auf der Suche nach positiven Utopien ab, die im  Genre viel schwieriger zu finden sind als ihre Gegenentwürfe. 

Die fünf neuen Geschichten sind alle eher kurz. So ist „Venus in Bloom“ von Lavie Tidhar  eher eine stimmungsvolle Vignette ohne richtige Handlung und leider ohne nachhaltige Hintergrundaktionen.  Ein alter Mann stirbt auf der Venus, die von Menschen in klassischen  Wolkenstädten bewohnt wird. Seine Verwandten nehmen Abschied.  Auch wenn die Prämisse stimmungsvoll  am Rande des Kitsches entwickelt worden ist, wäre es wahrscheinlich sinnvoller, aus dieser Idee eine Novelle zu machen, welche neben dem  abschließenden Tod des Protagonisten vor allem das Siedlerleben auf einer herausfordernden Welt beschreibt.

Jamie Wahls „Eater  of Worlds“ fällt in die gleiche Kategorie. Eine uralte intelligente Waffe fällt eher zufällig auf einen Planeten und beginnt sich zwecks Zerstörung zu replizieren.  Die Verteidigungswaffen versuchen sie zerstören, während die Waffe parallel die eigene Existenz und damit auch die eigenen Ziele hinterfragt.  Viele der aufgeworfenen Punkte sind aber eher unlogisch. So könnten die Verteidigungsmechanismen viel offensiver agieren, müssen aber noch auf Kali warten, bevor  sie mit der Waffe als Katalysator einen Prozess anwerfen. Dazu kommt, das das Objekt viel zu klein ist, um die theoretischen Zerstörungen hervorzurufen und es ausgerechnet im Körper eines Kindes abschließend feststeckt, das natürlich etwas Besonderes ist.

Schon die Grundidee ist nicht unbedingt neu, aber die Herangehensweise enttäuscht zusätzlich. Es ist in letzter Zeit leider nicht die einzige Kurzgeschichte in „Clarkesworld“, welche wissenschaftliche Grundlagen eher als lästiges Übel ansieht.

„The Ghosts of Ganymde“ von Derek Künsken  beschreibt aus der Gegenwart in eine ferne Zukunft extrapoliert den Konflikt Äthiopier und Eritrea auf dem Mond Ganymed.  Sie finden ein Monument, das eine unbekannte Rasse von einer anscheinend langen Zeit auf dem Mond zurückgelassen hat. Es beginnt die elektrischen Geräte der ehemaligen Flüchtlinge und jetzigen Siedler zu stören, was das Konfliktpotential zwischen den verfeindeten Stämmen erhöht. Ignoriert der Leser die Frage, warum die Flüchtlinge überhaupt quasi gemeinsam auf einem Mond sich ansiedeln, verfügt die Geschichte über eine Reihe von sehr starken Szenen.  Die Protagonistin ist von den ständigen Konflikten müde. Sie sucht eine friedliche Lösung für den Konflikt. Der Fund des Monuments soll die beiden Stämme gegen die möglichen „Geister“ vereinigen. 

Während die wissenschaftlichen Hintergründe der Geschichte überzeugend sind,  ist die Ausgangsprämisse hinsichtlich der genetischen Umformung der Flüchtlinge eher konstruiert, um sie in die Position zu bringen. Wie fast alle Texte dieser „Clarkesworld“ Ausgabe verfügt der Plot aber über starke Charaktere,  sowie in diesem Fall einem sehr gut beleuchteten Hintergrund.

Ray Naylers Text folgt sogar diesen Ideen. In „Fire in the Bond“ geht es um eine eher archaische Kultur auf einem Ernteplaneten. In einem Äquivalent zu Erntedank schleicht ein junger Mann zu seiner Geliebten, wobei diese Beziehung in den während der Geschichte erläuterten moralischen Regeln als verboten charakterisiert wird. Ray Nayler entwickelt den  Plo0t sehr ruhig. Das riesige Ernteschiff zu Beginn dient alleine der Atmosphäre.  Die Rollen vor allem zwischen den Arbeitern und ihren Roboherren warden langsam entwickelt. Dramaturgisch muss ohne Begründung noch zusätzlich erwähnt werden, das dieser Planet nicht nur einsam und alleine im All liegt, sondern weit weg von allen anderen Kolonien,  so dass sich niemand für die Vorgänge wirklich interessant.  Am Ende hat der Autor ein bitterböses Trickende für den Leser bereit. Es gehört eher in den Bereich der „Twilight Zone“, wird aber über den Plotverlauf hinweg sehr gut vorbereitet, so dass rückblickend viele kleine Bemerkungen einen doppelten Sinn machen. Eine der besten Geschichten dieser Ausgabe.      

Natalias Theodoridon starapziert die Geduld ihrer Leser.  „One´Burden, Again“ funktioniert im Grunde überhaupt nicht als wissenschaftliche Science Fiction Geschichte. Zwei Asteroiden Miener bruchlanden auf einem  viel versprechenden Asteroiden, der nicht nur über eine Atmosphäre, sondern auch Bewohner verfügt. Der Asteroid ist auf keiner Karte verzeichnet.  Die beiden Gestrandeten müssen überleben und einen Weg finden, den Asteroiden zu verlassen.  Gleichzeitig muss eine der Beiden mit ihrer persönlichen Vergangenheit klarkommen.  Die Anspielungen auf die griechische Mythologie sind offensichtlich.  Wie in den alten STAR TREK Folgen mit Captain Kirk scheint die griechische Mythologie im All wiederbelebt worden zu sein, wobei die Protagonisten alles akzeptieren und nichts hinterfragen. Leider ist es nicht zum ersten Mal eine durchwachsene, grundlegend unlogische Geschichte dieser immer wieder bei „Clarkesworld“ vertretenen Autorin. 


Auch wenn die Geschichte „Left to Take the Lead“ von Marissa Lingen erst Mitte 2018 erschienen ist, überzeugt diese Katastrophen-Coming-of-Age Story vor allem durch die überzeugenden Figuren. Es ist aber nicht der erste in sich abgeschlossene Text dieser Familiensaga. „Blue Ribbon“ hat die Autorin vorher veröffentlicht.  Ihre Familie ist nach einer Katastrophe quasi mittellos und die junge Holly muss sich ihre Collegeausbildung auf der ihr fremden Erde durch Farmarbeit verdienen, während ihr Onkel versucht, Geld zusammenzusparen, um das Familiengeschäft und vor allem deren Besitz wieder unter Kontrolle zu bringen.  Ihre Stieffamilie auf der Erde hat sie als Freundin, fast als Mitglied der Familie aufgenommen und sie erarbeitet sich das Geld für ihr Studium nicht als Sklavin, sondern tatsächlich als normale junge Frau aus ärmlicheren Verhältnissen. Nur muss sich Holly damit abfinden, dass viele Begriffe auf der Erde anders empfunden und behandelt werden als in den Kolonien draußen im All. Für Holly ist nicht nur deswegen die Erde eine gänzlich fremde Welt.  Dabei könnte die Geschichte in der Gegenwart spielen und der die Farm bedrohende Twister wird von Holly gedankliche Dimensionen umgesetzt.

Auch wenn die Story inhaltlich den typischen Gesetzen dieses speziellen Genres – Coming- of – Age – folgt und Holly aus den einzelnen Rückschlägen natürlich lernt, das man sich nur auf sich selbst verlassen kann, liest sich der Text relativ schwungvoll und spannend.

Der zweite Nachdruck „They have All one Breath“ von Karl Bunker setzt sich mit dem ewigen Konflikt zwischen der sensiblen Künstlerseele und einer durch Roboter bzw. künstliche Intelligenzen perfektionierten Welt auseinander.  Wie Marissa Lingen gelingt es Karl Bunker, einen sensiblen dreidimensionalen Protagonisten zu erschaffen,  der verzweifelt hofft, seine Skulptur mit Namen Geckos fertigzustellen und seine innere Leere zu füllen.  Seine Mutter ist an der Aufgabe gescheitert, verschiedene Tiere zu retten.  Seine Frau hat alle künstlichen Intelligenzen abgelehnt, nicht zuletzt daran ist ihre Ehe gescheitert.  Auch wenn viele dieser Empfindungen auch wie ein Klischee wirken könnten,  wirkt die Charakterisierung durch nuanciert genug, um die inneren Konflikte überzeugend darzustellen.

Wichtig ist, dass er einen emotionalen Mittelpunkt finden kann und das der Leser diesem Pfad auch folgt. Dabei ist es zusätzlich interessant, das die Maschinen ihm nur bis zu einem bestimmten Punkt folgen kann und anschließend akzeptieren, dass Kunst wertvoll, aber durch sie nicht reproduzierbar ist.  Damit weicht er die im Genre beliebte Idee der alles kontrollierenden Maschine deutlich auf. Karl Bunker ignoriert hintergrundtechnisch so sozialen wie politischen Strukturen seiner Gesellschaft und konzentriert sich auf diesen Konflikt zwischen Kunst und Maschine.

Marissa Lingen und Karl Bunker haben mit ihren Texten eindrucksvolle Protagonisten erschaffen,  die länger im Gedächtnis bleiben als einige Aspekte ihrer trotzdem lesenswerten und kurzweiligen Geschichten.

Zusammengefasst ist „Clarkesworld“ 148 eine gute erste Ausgabe für den kleinen Jubiläumsjahrgang 2019. Die Nachdrucke sind vielleicht zu „frisch“, aber die meisten der neuen Geschichten überzeugen mindestens auf der charakterliche Ebene. Das Titelbild ist stimmungsvoll und zeigt die Vielfältigkeit von Neal Clarkes Online Magazin weiterhin.