Clarkesworld 153

Neil Clarke (Hrsg.)

Im Nachwort spricht Herausgeber Neil Clarke über die Ehre, ausgezeichnet zu werden und die Schwierigkeiten, eine entsprechende Rede zu formulieren. Carrie Sessarego schreibt in ihrem  Essay „Love at Stake“ über die zwischenmenschlichen Beziehungen. In den letzten Ausgaben hat Neil Clarke angefangen, zwei Interviews zu veröffentlichen. Dabei spricht Chris Urie über die Kooperation von Amal El- Mohtar und Max Gladstone mit den beiden Autoren. Es ist ein sehr umfangreiches Gespräch, das vor allem aufzeigt, wie Menschen gut als Schriftsteller zusammenarbeiten können, die sich auch ansonsten gut verstehen.

Sehr viel interessanter ist das längere Interview mit der südkoreanischen Autorin Soyeon Jeong, die nicht nur in einer der letzten „Clarkesworld“ Ausgaben im Rahmen der Kooperation mit Südkorea eine Story veröffentlicht hat, sondern über die südkoreanische Science Fiction im Allgemeinen und die Möglichkeiten einer sozialen Kritik im  Besonderen spricht.

Es ist schade, dass Herausgeber Neil Clarke wie bei den chinesischen Geschichten auch bei den Arbeiten aus Südkorea nicht sorgfältiger die Übersetzungen lektoriert. So gehört wie in der letzten Ausgabe dieses Mal Myung- Hoon Bae und Jihyun Parks „The Peppers of GreenScallion“ zhu den stilistisch eher schwerfälligen Texten. Die Kolonisten auf dem Planeten GreenScallion führen Krieg gegeneinander. Sie werden aber von der Erde versorgt. Nur funktioniert diese Versorgung auf eine seltsame Art und Weise. Es wird meistens nur eine Sorte – entweder Fleisch oder Gemüse – über Wochen losgeschickt, so dass die Siedler zum Überleben im Grunde auf den alten Tauschhandel ausweichen müssen. Und gleichzeitig allerdings auch das gegenseitige Misstrauen überwinden. Während die politische Botschaft allgegenwärtig wie zeitlos ist, lässt die Umsetzung doch zu Wünschen übrig. Vieles wirkt leider sehr bemüht und am Ende ist es der übergeordnete, das Geschehen kommentierte Erzähler, der einer spannenden und nachhaltigen Plotentwicklung buchstäblich im Wege steht.

Auch mit dem Krieg setzt sich Andy Dudaks „Field Mice“ auseinander. In den Ruinen im mittleren Westen der USA sind es dieses Mal zwei Bundesstaaten, die miteinander kämpfen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob das Herausladen von Gehirnen nicht die ursprüngliche Identität eliminiert.  Die moralisch philosophische Frage wird dabei ambitioniert angesprochen. Der die Seiten wechselnde Geheimagent ist eine weitere Facette, die sich auf die praktische Anwendung konzentriert. Natürlich ist das Heraufladen eines Gehirns auch die beste Möglichkeit, sehr viel mehr nicht nur über diesen einen Spion  zu erfahren. Aber Andy Dudak macht aus dem Konzept sehr wenig und beginnt sich selbst im Weg zu stehen.

Robert Reed ist normalerweise mindestens ein verlässlicher Autor. Aber auch „Bonobo“ passt sich dem eher unterdurchschnittlichen Niveau dieser „Clarkesworld“ Ausgabe an. Die Tochter möchte sich in ein Tier verwandeln lassen.  Die Prozess umfasst weniger Tage als Jahrzehnte. Dadurch kann der Autor die Frage diskutieren, was einen Menschen wirklich ausmacht.  Der Leser erfährt auf der einen Seite von Tidys Plan, auf der anderen Seite verfolgt er die Reaktionen der Verwandten und Freunde. Robert Reed hat aber nicht einen einzigen sympathischen Charakter entwickelt und macht zusätzlich den Fehler, den Abschluss dieser Entwicklung mit dem Zusammenleben der „Bonobo“ Tierwesen nicht zu beschreiben, so dass der Leser am Ende irgendwie in der Luft hängen bleibt und Tidys Argumentationsketten buchstäblich ins Leere gehen.

Die längste Story dieser Ausgabe ist „Said of Angels“ von Eric Del Carlo. Eine führende religiöse Organisation muss quasi am Schreibtisch bestimmen, ob ein verstorbener Prophet heilig gesprochen soll oder nicht. Die Problematik bezieht sich weniger auf den Propheten, sondern auf das illegal besiedelte Sonnensystem, in dem die Menschen gerade dieses Wesen verehren. Mit den ersten beiden Texten verbindet die Novelle die Frage, welche Auswirkungen egal welche Entscheidung haben könnte. Eric Del Carlo bemüht sich, die einzelnen Fragen ausführlich und vor allem ambivalent zu behandeln. Der eigentliche Plot besteht allerdings fast nur aus distanzierter Beschreibung, was die ganze Geschichte unheimlich trocken und langweilig erscheinen lässt.

Bo Balder präsentiert dagegen eine ihre besten Kurzgeschichten im Rahmen ihrer „Clarkesworld“ Veröffentlichungen. Der deutsche Titel „Erdenweh“ ist Programm. Die Menschen bringen sich um, als sie erkennen, das eine Rückkehr auf die Erde nicht möglich ist. Diese depressive Erkrankung erfasst sogar Menschen, die niemals auf der Erde gewesen sind.  Bob Balder entwickelt die Entdeckung dieser seltsamen Erkrankung aus der Sicht der Psychologen hervorragend. Die einzelnen Versatzstücken kommen sehr langsam zusammen.  

Dabei werden in erster Linie Probleme aufgeworfen. Interessant ist, dass der Titel eine Anagramm ist, das den Text ein wenig mit Robert Reeds Geschichte verbindet. Die Auflösung ist nicht zufriedenstellend und wirkt zu einfach angesichts der Herausforderung, aber insgesamt hat Bo Balder eine einfache Idee überzeugend extrapoliert und eine Reihe von interessanten, hintergründigen Fragen aufgeworfen.

Aliete de Bodards „Two Sisters in Exile“ ist der einzige nachgedruckte Text dieser Ausgabe. Es ist eine weitere interessante Geschichte aus ihrem Xuya Zyklus, auf den die Nachdruck im „Forever“ Magazine auch mehrmals schon zurückgegriffen haben. Dabei geht es um lebendige Raumschiff, deren Geburt unter anderem in „Shipbirth“ beschrieben worden ist. Diese lebendigen Raumschiffe verbinden sich mit dem menschlichen Geist verbindet. In dieser Story geht es weniger um die Geburt, um den Beginn, sondern um das Ende. Die Kriegerin Nguyxen Dong muss ihr viertes Raumschiffes „The Two Sisters in Exile“ viel zu früh zu ihrer Beerdigung begleiten. Aliete de Board stellt sich den üblichen Fragen von Verlustängsten; vom dem Wenigen, das nach dem Tod bleibt und schließlich auch die Reaktion der Umwelt auf den frühzeitigen Tod eines kraftvollen Schlachtschiffs. Es ist eine poetisch anspruchsvolle, sehr gut geschriebene Geschichte, in der es weniger um die einzelnen Charaktere geht, sondern das ganze Universum, das mit jeder dieser überdurchschnittlichen Kurzgeschichten mehr und mehr an einzigartiger, exotischer Form annimmt.

Aliete de Bodard gehört mit dem zu früh verstorbenen Jay Lake zu den Autoren, die auf einer humanistischen, aber auch auf viele Situationen übertragbaren Ebene einzigartige Geschichten verfassen, bei den spektakuläre Ideen auf eine zutiefst menschliche Art und Weise erzählt werden.

Es ist schade, dass die Juni „Clarkesworld“ Ausgabe qualitativ zu den schwächsten Ausgaben dieses Jahres gehört, aber wenn nur ein Leser durch den Nachdruck Aliete de Boards deren Werk entdeckt oder dank des Interviews über die asiatische Science Fiction im Allgemeinen und in Südkorea im  Besonderen nachzudenken beginnt, dann hat Neil Clarke zumindest einen kleinen Teil seiner Aufgabe erfüllt.      

E Book, 122 Seiten

www.wyrmpublishing.com

 Clarkesworld Magazine Issue 153 (English Edition) von [Clarke, Neil, Palmer, Suzanne, Balder, Bo, Bae, Myung-hoon, Del Carlo, Eric, Reed, Robert, Dudak, Andy, de Bodard, Aliette]