Die Quelle des Einhorns

Fletcher Pratt

Nach „Der blaue Stern“ veröffentlicht der Apex Verlag mit „Die Quelle des Einhorns“ den zweiten wichtigen phantastischen Meilenstein in Fletcher Pratts Solokarriere. Die meisten Arbeiten hat der Amerikaner zusammen mit deCamp im Genre vorgelegt. Daneben hat er eine Reihe von historischen Romanen alleine verfasst.

Herausgeber Christian Dröge hat den ursprünglich in den Staaten 1948 veröffentlichten Roman nach der Erstveröffentlichung im Heyne Verlag für die Neuauflage noch einmal sorgfältig durchgesehen.

Der Plot ist auch heute noch zugänglicher als „Der blaue Stern“. Interessant ist weiterhin, das das Buch zwischen „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ erschienen ist. Die Idee eines Bildungsromans ist nicht von der Hand zu weisen. Während Tolkiens „Der Herr der Ringe“ erst seine ganze Mittelerdewelt offenbarte und vor allem erwachsene Themen in die Handlung streute, agiert Fletcher Pratt in diesem stilistisch durch die fast übertriebene Nutzung einer archaisch künstlichen Stils herausfordernden Roman gleichzeitig auf zwei konträren Handlungsebenen.

Der junge Airar Alvarson wird von den Steuereintreibern des Königs von seinem Hof vertrieben. Mit viel Glück und Überlebenswillen schafft es der Antiheld an die Spitze der Rebellion.  Fletcher Pratt relativiert allerdings diese brachiale mittelalterliche Methode, die Löcher in den eigenen Kassen zu stopfen, in dem die Steuereintreiber von einem Eroberer kommen und sich Alvarson weigert, das Knie vor den Siegern zu beugen und ihnen als Leibeigener zu dienen.

Der Anfang des Romans ist dunkel und brutal, soweit es für einen außerhalb der Pulpmagazine in den vierziger Jahren veröffentlichten Text opportun ist. Ganz bewusst zeichnet Fletcher Pratt anfänglich alles in schwarz und weiß. Die Grenzen sind klar gezogen.

Im Gegensatz allerdings zu vielen Heroic Fantasy Abenteuern mit Überhelden beginnt der Autor die handlungstechnischen Gewichte mehr und mehr zu verschieben. Der dickköpfige Alvarson muss ja nicht nur mit dem  Verlust des elterlichen Hofes und damit seiner bäuerlichen Existenz klar kommen. Auch bei den Rebellen stößt er nicht gleich auf Gegenliebe oder wird nach kurzer Zeit als eine Art Anführer/ Herold akzeptiert. In dieser Männergemeinschaft muss er sich weniger mit roher Kraft oder Sturheit durchsetzen, sondern er lernt auf dem Weg nach „oben“ Kompromisse einzugehen und Umwege zu gehen, die er vorher niemals genommen hätte.

Interessant, aber zu wenig nachhaltig diskutiert ist die Idee, dass eine reine demokratische Gesellschaft während einer Rebellion nicht funktionieren kann. Dem Druck der Unterdrücker muss eine idealisierte und vielleicht auch zu schematisch dargestellte Mischung aus Brüderlichkeit und Oligarchie gegenüber gestellt werden. Fletcher Pratt verbindet das mit einer für die Zeit interessanten, aber auch herausfordernden Idee. Wie die USA während des gerade zu Ende gegangenen Zweiten Weltkriegs gegen die Nazis und Japaner viele Opfer bringen mussten und manches demokratisches Grundrecht eingeschränkt worden ist, fühlt sich Alvarson mehr und mehr auf dem Weg an die Spitze der Rebellion eingekesselt.

In diesem realistisch geschriebenen Abschnitt des Romans versucht der Autor wie auch in „Der Blaue Stern“ viel zu viel. Zu viele Informationen, zu viele Handlungsschauplätze und vor allem ein fast chaotisch komprimiert erscheinender chaotischer Reiseweg fordern die Leser mehr heraus als das er nachdenklich gestimmt und belehrend unterhalten wird.

Das phantastische Elemente – die Quelle des Einhorns – ist eng auch mit den drei sehr verschiedenen Frauen verbunden, die Alvarsons Weg kreuzen.

Eine junge Fischerin, die seinem sozialen Standard entspricht. Eine Söldnerin, die sich als Mann und Captain verkleidet, um nicht nur zu überleben, sondern für ihre Heimat zu kämpfen und schließlich die Prinzessin, die als Rückgriff auf die angesprochenen sozialen Themen nur in einem Märchen einen Mann außerhalb ihres Standes heiraten würde. Fast fatalistisch, aber auch realistisch stellt Fletcher Pratt da, das sein sozialer Aufstieg unabhängig von den Zwängen einer oligarchischen „Demokratie“ beim Adel seine Grenzen findet.    

Wie bei „Der blaue Stern“ ist „Die Quelle des Einhorns“ nicht nur ein phantastisches Element, sondern gleichzeitig ein integraler sozialer Teil des Buches. Diese von Legenden und Mythen umwobene Quelle ist gleichzeitig die “Machtzentrale“ des Reiches. Wer die Strapazen einer Reise auf sich nimmt und aus dem Wasser dieser Quelle trinkt, wird nicht nur inneren Frieden finden, sondern in der Lage sein, die „Welt“ zu ordnen.  Das bedeutet, Frieden zu schenken und die sinnlosen Kriege zu beenden. Allerdings kann diese Quelle nicht die Persönlichkeit des Besuchers verändern. Damit unterminiert Fletcher Pratt fast absichtlich die grundlegende Intention seiner Arbeit und rückt die Geschichte zurück in den Bereich des pragmatischen Egoismus.

Die Ambivalenz hinsichtlich der Beantwortung der vom Autoren und damit auch seiner Zeit aufgeworfenen Fragen nach einer herausfordernden Lektüre ist teilweise ernüchternd, um nicht zu sagen, auch enttäuschend. Fletcher Pratt wirft eine ganze Reihe von nicht nur sozialen Themen in den Ring und bietet vor allem in der ersten Hälfte eine Art perfekten Sturm als Auslöser eines Reifeprozesses an. Der mittlere Abschnitt des Romans konzentriert sich eher auf Stimmungen als die Handlung, bevor das Geschehen im letzten Drittel zwar an Tempo gewinnt, die Ausblicke aber auch immer vager werden und abschließend dem Leser eine eigene Entscheidung aufzwingen.

Interessant ist, dass Fletcher Pratt immer impliziert, dass Rationalität und die Suche nach neuen Erkenntnissen einen Menschen mehr antreiben als alle Kriege, welche er führen kann.  Dazu integriert er die magische Perspektive, in dem er den freien Willen dem Einfluss des Wasser aus der Einhornquelle unterordnen lässt. Wer das Wasser ja trinkt, soll den Menschen Frieden bringen, aber auch Frieden erlangen. Und das kann dem eigenen Willen vor allem in einer kriegerischen Ära entgegen stehen.

Fletcher Pratt sieht seinen Roman in einer Art Kontinuität zu vor allem Lord Dunsany. In einem Vorwort zur englischen Erstausgabe hat er auf dessen Werk und Anschauungen hingewiesen. Es ist nicht notwendig, diesen heute fast vergessenen Autoren zu kennen, aber vor allem einige dessen allerdings viktorianischer Ideale und Ideen hat Fletcher Pratt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg übertragen und deutlich gemacht, dass freier Wille nur in einer Gemeinschaft und nicht als reiner Egoismus nachhaltig und vor allem gewinnbringend funktionieren kann.

Diese im Grunde simple Botschaft hat der Autor in einem umfangtechnisch erstaunlich kompakten,  fast komprimierten Roman eingebaut, der auch heute noch lesenswert, wenn auch selbst in der durchgesehenen Neuausgabe stilistisch herausfordernd ist.

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(OT: Well Of The Unicorn)

Apex Fantasy-Klassiker - Band 14

(Apex-Verlag - 2020)

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Joachim Pente

ISBN: 978-3-7502-6989-7

Paperback - 528 Seiten

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