Die Schweinegötter und andere Visionen

Regina Miriam Bloch

Übersetzer und Herausgeber Detlef Eberwein stellt mit “Die Schweinegötter” phantastische Geschichten einer jüdisch- englischen Autorin Regina Miriam Bloch (1888 - 1938) vor.  Mit solchen wiederentdecken Perlen oder Anthologien nicht so präsenter Gegenden entwickelt sich Detlef Eberwein mehr und mehr zu einem kleinen Nachfolger Franz Rottensteiners, der in seiner sich über Jahrzehnte hinstreckenden beratenden Tätigkeit für verschiedene Verlage immer wieder nach dem Vergessenen innerhalb der Phantastik gesucht hat. 

Im Nachwort stellt der Herausgeber die ursprünglich im Fürstentum Schwarzburg- Sondershausen geborene Regina Miriam Bloch vor. Ihr Vater war Engländer und gab die Sportzeitschrift “Spiel und Sport” heraus. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs veröffentlichte sie neben zwei Bänden mit Kurzgeschichten auch verschiedene Artikel , Buchkritiken, Essays und Gedichte. Im sekundärliterarischen Bereich gehört eine Arbeit über den des international Sufi  Ordens Inayat Khan (1915) zu ihren bekanntesten Arbeiten. Nach dem Ersten Weltkrieg zog sie nach England. 

Aus der zweiten Sammlung “Strange Loves” stammt die quasi im Anhang abgedruckte Kurzgeschichte Zulailie Laila”, welche der Herausgeber auch im Internet dem Blog “Weird Women” entnommen hat. “Die Schweinegötter” ist bis auf eine gekürzte indische Ausgabe seit vielen Jahren nicht nachgedruckt worden. In Deutschland ist dieses kleine Bändchen mit einem markanten Titelbild das Debüt der Autorin. 

“Die Schweinegötter” besteht aus sechs Visionen und einem Epilog. Nicht selten entlässt die Autorin ihre Leser mit der Implikation, das es sich um einen Traum oder besser einen Alptraum handeln könnte. Im Gegensatz zu vielen anderen phantastischen Autoren fügt sie ihren  Texten nicht noch einen weiteren zynisch doppeldeutigen Epilog hinzu, sondern konzentriert sich auf eine Reihe leider wieder modern gewordener Themen, erzählt in einer distanzierten wie kompakten Form.  

Die Texte erschienen im Jahre 1917, als der Erste Weltkrieg sich weit weg von den patriotischen Siegeshymen auf beiden Seiten zu einem brutalen wie blutigen Stellungskrieg mit hohen Verlusten, aber keinen Landgewinnen und vor allem an der Westfront auch keinen Siegeschancen für eine der beiden Seiten entwickelt hat. Aus heutiger Sicht erinnert die erste Vision “Die Schweinegötter” aber auch noch an eine andere Entwicklung. Neid auf den Nachbarn prägt einen König. Im Nachbarland leben die Menschen friedlich, auf einem hohen Niveau. Reichtum scheint weniger eine Rolle zu spielen als eine sozial gefestigte Gesellschaft. Aus heutiger Sicht ein typisches, leider auch zeitloses Beispiel für die zahlreichen Despoten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie Husein oder Putin heißen. Die Angst, die Kontrolle zu verlieren und das ein Volk die ihm zugestandenen Freiheiten gegen die Obrigkeit ausnutzen könnte, die paranoide kontrollierte Isolation der eigenen Bevölkerung, aus Angst sie könnten sich vom Virus Demokratie anstecken lassen, ist wie damals auch heute ein brennendes Fanal menschlicher Dummheit. Gepaart mit Macht und entsprechenden Ambitionen die Fackel, die ganze Flächenbrände auslösen kann. 

Über den Neid der Herrschenden auf die Nachbarn, auf eine andere schöne Frau oder nur die Gier nach den Schätzen anderer berichten diese Geschichte. Einige der Schweinegötter im negativen Sinne sind klar zu erkennen. Nicht nur der Mammon, sondern auch der Krieg spielen eine wichtige Rolle. Angehiezt wird ihr Einfluss durch die Priesterkasten, welche bereit sind, entsprechende Menschenopfer zu bringen. Selbst eingekleidet in Gold und Silber haben sie sich von den Menschen genauso entfernt wie die Könige. 

In einigen der Visionen spielt Jesus Christus als nicht nur Gottes Sohn, sondern als Erlöser der Menschen eine markante, aber untergeordnete Rolle. Er ist genauso hilflos wie die wenigen aufgeklärten Menschen dieser Zeit und kann den bevorstehenden jeweiligen Untergang eines Stadtstaates, eines ganzen Landes oder auch nur eine Herrscherfamilie nicht verhindern. 

Mit dem Moloch aus Eisen und Stahl, seinem Flammen werfenden Maul hat die Autorin den Bogen zu den Kampfpanzern des Ersten Weltkriegs vor allem an der Westfront geschlagen. Angebetet von den verblendeten Herrschenden, gefürchtet vom einfachen Soldatenvolk entwickeln sie ein Eigenleben, heben sich vom Kriegsgeschehen ab und müssen am Ende sich doch beugen. Die Autorin konzentriert sich auf eine Reihe von intensiven sprachlichen Bildern und wie sie mehrfach erwähnt Visionen. Sie kann aber keine Alternativen anbieten oder Lösungen finden. 

Auch wenn die Texte nicht unbedingt nihilistisch erscheinen, stiehlt sich Regina Miriam Bloch an einigen Stellen auch aus der eigenen literarischen Verantwortung, in dem sie vor die weiblichen Träumer an entscheidenden Stellen aufwachen lässt.  

“Zulalie Laila” ist ein orientalisches Märchen nach der Tradition von “Tausendundeine Nacht”, aber nicht sklavisch den dortigen Vorgaben folgend. Eine bis dahin opportunistisch getriebene Kurtisane entdeckt die Spuren des Alters an sich, nachdem sie vorher in einer fremden Stadt ausgesetzt sich quasi nach oben in der Gesellschaft geschlafen hat. Ihr letzter Liebhaber soll der Tod sein. Der Tod reagiert nicht auf ihre perfekten und an Männer immer funktionierenden Verführungsversuche. Der Tod wird als schwarzes Kamel symbolisiert. Vielleicht ein Bogenschlag zu einer weiteren Anthologie mit nordafrikanischen phantastischen Texten, die Detlef Eberwein ebenfalls im “BOD “Verlag herausgegeben hat. Am Ende erhält die Kurtisane schließlich den gewünschten Besuch. 

Im Vergleich zu den Visionen ist “Zulalie Laila” der zugänglichere Text. Die Autorin arbeitet weniger mit Allegorien oder Metaphern, sondern beschreibt das Schicksal einer jungen Frau, welche die erste Jahre von den Männern benutzt worden ist, bevor sie dank ihrer Schönheit, aber auch rücksichtslosen Intelligenz sich emotional emanzipieren und gegenüber ihren Liebhabern eine gewisse Dominanz entwickeln konnte. Es passt zu ihrem Charakter, das sie ihren Abgang, den letzten Liebhaber selbst einlädt. Die Geschichte zeichnet sich durch ein sehr sensibles, für die Zeit modernes Frauenbild in einer allerdings klassisch klischeehaft sozialen Rolle aus und unterstreicht noch mehr als die plakativ visionären Schweinegötter, um welch erzählerisches Potential es sich bei der heute in Vergessenheit geratenen und durch dieses schöne Bändchen wiedertentdeckenswerte Autorin handelt.     

Die Schweinegötter und andere Visionen

  • Herausgeber ‏ : ‎ BoD – Books on Demand; 1. Edition (6. September 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 94 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 375431663X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3754316634
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