Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Süd- Afrika

Jules Verne

1872 veröffentlichte Jules Verne einen ungewöhnlichen Abenteuerroman, dessen politisches Potential als Verarbeitung des englisch/ französisch/ russischen Konfliktes der Autor niemals überzeugend heben konnte: Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika. Es geht um die Vermessung eines Meridiankreises. Die Einführung dieses metrischen Systems lief Mitte des 19. Jahrhunderts nicht ohne Probleme ab. Während die Briten anscheinend trotz eines Jahrzehnte langen Widerstandes, den Jules Vernes mit pointierten Bemerkungen als englischen "Stolz" entlarvt. Der Autor nimmt sich auch mittels einer Zeichnung sehr viel Zeit, diese genaue Vermessung der Erdoberfläche in Details zu beschreiben. Vielleicht wirkt diese Detailbesessenheit insbesondere aus heutiger Sicht ein wenig zu überzogen, aber Jules Verne versucht aus dem auf den ersten Blick nicht sonderlich interessanten Szenario das Meiste herauszuholen.

Eine Kommission aus drei Russen und drei Engländern trifft sich in der Kapkolonie Südafrika, um einen Meridiankreis zu vermessen. Die englischen Astronomen Colonel Everest, William Emery und Sir John Murray sind als erste an dem Treffpunkt angekommen. Sie werden von dem Buschmann und Jäger Mokum begleitet, der die ganze Expedition eher staunend betrachtet. Kurze Zeit später treffen die drei Russen Matthias Strux, Nikolaus Palander und Michael Zorn ein. Ein neutraler natürlich französischer Wissenschaftler ist als eine Art Beweis führendes neutrales Gremium ebenfalls bei der Expedition dabei.
Anfänglich beschreibt Jules Verne die Differenzen zwischen den beiden an einem gemeinsamen Ziel arbeitenden Gruppen. Diese internen Spannungen manifestieren sich am meisten in den jeweiligen Anführern der kleinen Gruppen Everest und Strux, wobei die unterschiedlichen Nationalitäten von Beginn an eine weniger entscheidende Rolle spielen als die Differenzen hinsichtlich der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Dabei wirkt das teilweise weltfremde Benehmen der Forscher insbesondere auf die gegenwärtige Lesergeneration mehr als befremdlich. Jules Verne kann als Autor auch zu wenig mit der Mentalität der Russen und Engländer anfangen, als das er ihre Charaktereigenschaft sanft überspitzend beschreibt. Vieles wirkt bieder, der Leser kann sich nur schwer auf die einzelnen Figuren einstellen. Er greift immer wieder auf Klischees wie den jede Art von Getier jagenden Engländer, der im entscheidenden Moment überfordert erscheint, zurück. Oder stellt einen anderen Forscher als derartig realitätsabwesend dar, das er Tage lang im unwegsamen Gelände seinen Gedanken nachhängt. Er trinkt nichts, er isst nichts und hat sich von der Gruppe abgesondert. Natürlich wird er rechtzeitig vor dem Tod gefunden und wieder in den Schoß der Gruppe zurück gebracht.

Kaum hat sich die Gruppe auf eine progressive Arbeitsweise geeinigt, bricht der Krimkrieg aus, von dem sie Forscher aus der Zeitung erfahren. Interessanterweise und von Jules Verne nicht auffällig betont kämpfen ja die Engländer - es nehmen drei Engländer an der Expedition teil - und die Franzosen - der "Neutrale" - gegen die Russen, von denen jetzt eine Minderzahl an der Expedition teilnimmt. Natürlich zerfällt die Gruppe nach dem Aufflackern der nationalen Interessen, obwohl beide Teams weiter am gleichen Projekt arbeiten. Jules Verne führt eine Reihe von eher plakativen Argumenten an, die Zusammenarbeit zu beenden, obwohl sich die Differenzen auf eine rein verbale Ebene beschränken. Das die beiden Teams in Südafrika bleiben, ist eher dem Plot geschuldet als das es überzeugend erscheint. Beide Teams arbeiten weiter an der Vermessung des Meridians und kommen sich zumindest in der Theorie in den schwierigen Abschnitten in die Quere.
Klischeehaft müssen sich die Europäer unabhängig des Konfliktes auf der Krim wieder miteinander verbünden, als ein einheimischer Stamm - die Makololos - die Eindringlinge bedroht. Den Engländern gelingt es, die Russen aus einer bedrohlichen Situation zu befreien und gemeinsam setzen sie das Vermessungsprojekt fort. Ab diesem Augenblick beschränken sich die Gefahren in erster Linie auf die herausfordernde Landschaft sowie eine Reihe von wilden Tieren.

Wie schon angesprochen leidet "Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika" unter dem eher statischen Plot. Positiv gesprochen müssen und können die Wissenschaftler die ihnen von außen aufgedrückten, in erster Linie semipolitischen Differenzen überwinden und sich am Ende des Romans wieder als Männer der Wissenschaft präsentieren. In seinen vielen Romanen hat Jules Vernes die nationale und nationalistische Politik immer wieder separiert und den Mut des Individuums glorifiziert. So umrundet zwar ein typischer Engländer die Welt in achtzig Tagen. Aber nicht, um seiner Regierung oder gar der Königin Ruhm und Ehre zu bringen, sondern aufgrund einer Wette. Kapitän Nemo hat nach seinen schlechten Erfahrungen sich zu einem freien Menschen erklärt und den einzelnen Nationen abgeschworen. Und die drei Engländer und die drei Russen mit dem immer mehr in den Hintergrund tretenden Franzosen sind in dieser Hinsicht Neutrums. In Hinblick auf die politische Dimension des Krimkrieges verschenkt Jules Verne ausgesprochen viel Spannungspotential. Die Erwartungshaltung des Lesers wird zu wenig befriedigt. Dafür überwiegen die teilweise sehr ausführlichen Beschreibungen der Vermessungsarbeit sowie des von der Natur her einzigartigen Landstrichs, den die drei Forscher durchqueren. Ihre eigentliche Arbeit ist weniger spannend oder interessant, sondern verliert nach der anfänglich ausführlichen Beschreibung schnell an Faszination. Auch die ausführlichen Jagdbeschreibungen insbesondere in der ersten Hälfte des Buches wirken weniger frisch als zum Beispiel bei Sir Henry Rider Haggard, welcher wie kaum ein anderer Abenteuerschriftsteller dieses Sujets in seinen zahllosen Abenteuergeschichten exotisch, farbenprächtig und unangenehm realistisch beschrieben hat. So wirken viele Szenen fragmentarisch.
Technische Ideen gehören ohne Fragen zu den Stärken Jules Vernes. Im vorliegenden Band findet sich nur eine Idee: ein zerlegbares Boot, mit dem die Expedition Teile der Reise zurücklegen kann. Zusätzlich dient es manchmal als Schild gegen die angreifenden Wilden.

Die Zeichnung der Figuren ist erstaunlich schwach. Natürlich werden die landesspezifischen Klischees vor allem in der ersten Hälfte des Buches bedient, aber vier der sieben Expedition Mitglieder sind so oberflächlich und eindimensional charakterisiert, dass sie im Gedächtnis des Lesers verschwimmen. Die beiden Anführer der Gruppen sind zumindest nuancierter gezeichnet. Ihre unterschiedlichen Führungsstile – der Engländer grunddemokratisch; der Russe eher egoistisch auf die eigene Person fokussiert – repräsentieren zumindest in Jules Vernes französisch eingefärbter Welt die Stärken und meistens die Schwächen ihrer Nationen. Was dem Roman fehlt ist ein satirisches Element. Anstatt die nationalen Eitelkeiten in der ersten Hälfte des Buches satirisch zu überspitzen, um die „Forscher“ in der zweiten Hälfte des Buches zu modern denkenden, über den nationalen Konflikten stehenden Weltbürgern zu machen, differenziert der Autor zu wenig. So bleibt vieles ungesagt oder von Jules Verne eher zur Seite gedrückt.

Zusammengefasst ist „Abenteuer drei Engländer und dreier Russen in Südafrika“ ein durchschnittliches Jules Verne Abenteuer, das eine interessante, aus heutiger Sicht bizarre, aber für die Vermessung der Welt notwendige „Handarbeit“ sehr ausführlich und detailliert beschreibt. Darüber hinaus werden allerdings zu viele Klischees angeboten, als das zumindest geradlinig und nur mäßig belehrend geschriebene Buch restlos überzeugen kann.

Jules Verne: "Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Süd- Afrika"
Roman, Hardcover, 288 Seiten
Salzwasser- Verlag 2011

ISBN 9-7838-6444-0823

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