Professor Zamorra 52 "Nevermore"

Simon Borner

In den achtziger Jahren schuf Dick Mantena mit „Die fünf letzten Tage des Edgar Allen Poe“ ein auch heute noch faszinierendes, provozierendes Comic, dem Simon Borner mit dem Zamorra Roman „Nevermore“ eine auf jeden Fall interessante Variation hinzugefügt hat. Auch wenn Poe und seine letzten, nicht klar zu verfolgenden letzten Tage vor seinem Tod sich wie ein roter Faden durch die Handlung ziehen, hat Simon Borner mit der Zwiebelschalenidee verschiedener Universen, dem modernisierten Frankenstein Mythos und schließlich auch einigen Anspielungen an den Aberglauben aus Stephen Kings „Pet Sematary“ ausreichend Töpfe, aus denen er einen kurzweilig zu lesenden, teilweise sehr stimmungsvollen Roman zusammensetzt, in dem Professor Zamorra ein wichtiges Glied, aber nicht der Punkt ist, um den sich alles dreht

Die größte Schwäche leider nicht nur in diesem von Simon Borner verfassten Roman ist das Ende. Zu abrupt nach der langen, soliden Exposition, zu glatt und vielleicht auch zu vorhersehbar hätte der Autor sich hier mehr Mühe geben sollen, um „Nevermore“ zu einem überdurchschnittlichen Beitrag zur „Zamorra“ / Zaubermond Reihe zu machen. Der unter dem Pseudonym Simon Borner schreibende Christian Humberg hatte schon in seinem Mehrteiler „Gotham Noir“ ein vergleichbares Problem. Um fünf Teilromane hat er ein Finale aufgebaut, dass zu schnell und zu glatt von statten ging.

Bis zu dem schwachen Ende gehört aber „Nevermore“ trotzdem zu den gelungenen, in diesem Fall aber auch die Reihe abschließenden Beiträgen, da der Zaubermond- Verlag mit dem vorliegenden 52. Abenteuer die Taschenbücher einstellt.Auf der Suche nach übernatürlichen Phänomen den Hinweisen eines Freundes folgend hat Professor Zamorras Wagen in der Nähe der kleinen Gemeinde Nevermore einen seltsamen Unfall. Nevermore scheint mitten in den USA und doch irgendwie am Rande der Ewigkeit liegen. Er wird vom einzigen Gasthaus nicht unbedingt mit Freude empfangen, abends warnt ihn die attraktive, aus dem Nichts kommende Tessa Graystone vor dem Hierbleiben und am nächsten Morgen steht sein Wagen wie neu vor der Tür. Alles ist für seine Abfahrt bereit. Als er Terra Graystone besucht, kommt ihm einiges komisch vor. Zusätzlich begegnet er dem jungen Literaturwissenschaftler Reynolds, der durch seine Arbeit über Edgar Allen Poe zum Ort gelockt worden ist. Anscheinend hat Poe einige Tage hier verbracht, um sich nicht mit dem Tod seiner jungen Frau abfinden zu müssen.

Um Spannung zu erzeugen, baut Simon Borner noch eine Mordserie an den Bewohnern des kleinen Ortes ein. Gleich im Auftakt kann der Leser die später sich entfaltende Grundprämisse erkennen, was nicht unbedingt die Spannung fördernd ist, aber den Gesetzen des Heftromans entspricht. Dadurch werden Zamorra, Graystone und Reynolds als potentielle Verdächtige verhaftet. Im wichtigen Mittelteil macht Simon Borner im Kern alles richtig. Nach und nach öffnet er seine Figuren nicht nur Zamorra, sondern vor allem dem Leser. Reynolds ist dabei für den Hintergrund zuständig. Zusammen mit einer in der Vergangenheit spielenden, gut eingeflochtenen Nebenhandlung erfährt der Leser sehr viel über Edgar Allen Poe, seine Werke und vor allem den Zusammenhang mit „Nevermore“. Ein wenig bemüht erscheint es, dass Poe sein berühmtes Gesicht „The Raven“ mit dem Ort verbunden hat, da es thematisch nicht hundertprozentig zur eigentlichen Handlung passt. Dank guter Recherche hinsichtlich der letzten Tage von Edgar Allan Poe erscheint diese Brücke sogar plausibel und mit dem ersten Hinweis aus den Namen des örtlichen Pubs „The Pint and the Pendellum“ ist die einzigartige Morbidität von Poes Geschichten ein zusammenhängendes Bindeglied zwischen den einzelnen Schicksalen. Terra Graystones Motive sind ebenfalls nachvollziehbar. Hier spielt Simon Borner mit der Erwartungshaltung des Lesers und zeigt die junge Frau ausgesprochen ambivalent, emotional und vor allem dreidimensional.

Eine vergleichbare Wandlung durchläuft der örtlichen Polizeichef Palmer, der vom reinen Handlanger zu einer sich eigenständig entscheidenden Persönlichkeit entwickelt. Mit dem Oberhaupt Dunkirk einer reichen, seit Generationen den Ort am Leben erhaltenen Familie fügt Simon Borner zumindest keinen klischeehaften „Antagonisten“ hinzu. Wie alle Figuren bis auf Professor Zamorra, der als Bindeglied fungiert, hat auch Dunkirk ein klassisches Motiv. Im Gegensatz allerdings zu vielen anderen Horror- Romanen ignoriert der Fanatiker nicht die Fehler der Vergangenheit, sondern scheint mit einer allerdings eher angedeuteten wissenschaftlichen Methode aus ihnen lernen zu wollen. Die Folgen kann der Leser auf Augenhöhe mit den Protagonisten gegen Ende des Romans erkennen. 

In diesem Reigen ist Zamorra ein erstaunlich zurückhaltender Charakter. Nicht selten fügt er die einzelnen Mosaikstücke zusammen, schaut hinter die Kulissen der auf der einen Seite so Charakterstarken, auf der anderen Seite aber auch verletzten, einen schwierigen einsamen Kampf ausfechtenden Tessa Graystone. Durch die Telefonate mit Nicole, welche dem Geschehen aus dem fernen Paris eher ungläubig gegenübersteht, erhält er mittels Fernunterricht wichtige Hinweise und Informationen, die er in der finalen, von ihm mittels Merlins Stern aktiv gesteuerten Auseinandersetzung aktiv einsetzen kann. Diese Zurückhaltung tut dem Plot nicht nur gut, er ermöglicht den gut beschriebenen, sich teilweise positiv gegen den ersten Eindruck wandelnden Protagonisten eine dem Plot zugute kommende Entwicklung.

 Hinsichtlich der Gemeinde allerdings fällt es dem Leser schwer, sich ein umfassendes Bild von der Größe bzw. ehemaligen Größe der Gemeinde/des Dorfes Nevermore zu machen. An einigen Stellen hat man das unbestimmte Gefühl, es handele sich um eine Kleinstadt mit ehemals mehr als tausend Einwohnern, an anderen Stellen wird der Eindruck erweckt, nur eine Handvoll verstörter, auf ein Ereignis wartender Seelen würden in Nevermore wohnen. Diese Ambivalenz passt vielleicht auch sehr gut zu der dunklen, nihilistischen, morbiden Atmosphäre, in welche allerdings der Mörder eher notdürftig und spannungstechnisch nicht einmal notwendig eingebaut worden ist. Simon Borner will immer wieder auf die mögliche Katastrophe hinweisen, wobei die vorliegende Variation des Frankenstein Mythos eigentlich ausreichend ist, um den Leser bei der Stange zu halten.

Anstatt auf klassische Stephen King und den Frankenstein Mythos positiv folgende Ideen zu setzen, hat Simon Borner mit dem Rückgriff auf das mehrfach in der „Professor Zamorra“ eingesetzte Zwiebeluniversenmodell gesetzt. Damit hat der Autor ohne Frage auf der einen Seite mehr Variationsmöglichkeiten, auf der anderen Seite sollte es nicht als Einbahnstraße beschrieben werden, denn hinter dem Riss zwischen den Universen muss nicht folgerichtig nur Böses lauern. In „Nevermore“ benötigt Simon Borner aber diese Variation. Ein einsamer Höhepunkt ist nicht das Ende, sondern die Mitte des 19. Jahrhundert spielende erste Erweckungssequenz mit den tragischen Folgen, dem Versuch eines Exorzismus und schließlich dem Verfall in den Wahnsinn. Auf wenigen Seiten entwickelt Simon Borner neben einem hohen Tempo und griffigen Charakteren eine einzigartige fast erdrückende Atmosphäre. Die Handlungen  der beiden „Kontrahenten“ sind jederzeit nachvollziehbar und im Vergleich zum angesprochenen, zu hektischen Ende setzt Simon Borner hier nach Zweidritteln des Romans den eigentlichen Höhepunkt der Handlung.

Zusammengefasst ist es nicht der erste Roman, in dem Simon Borner den ihm zur Verfügung stehenden Raum de Taschenbücher sehr positiv ausnutzend verschiedene bekannte Universen mit Professor Zamorra und seinem Kampf gegen das Böse verknüpft hat Mit dem gut entwickelten Hintergrund, den vor allem dreidimensionalen Charakteren und der über weite Strecke überzeugenden dunklen Atmosphäre dieses wirklich aus Poes bizarrer Phantasie entstiegenen Ortes hält „Nevermore“ eine Reihe von lesenswerten Trümpfen in der Hand. Nur das wie angesprochen zu hektische Ende, die nicht ganz befriedigende, zu lange aufgebaute finale Auseinandersetzung trüben das ansonsten positive zufrieden stellende Lesevergnügen eines der besten Professor Zamorra Taschenbücher der letzten Jahre.  

Zaubermond Verlag, Taschenbuch,

210 Seiten

www.zaubermond.de

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