Clarkesworld 110

Clarkesworld 110, Rezension, Thomas Harbach
Neil Clarke (Hrsg.)

Dieses Mal leitet der Herausgeber seine Herbst „Clarkesworld“ mit einem eher besinnlichen Vorwort ein. Es sind die sekundärliterarischen Artikel, die zu den besten Arbeiten  in diesem Bereich des !"Clarkesworld" Magazins im Jahre 2015 gezählt werden können.  „You wouldnt´be reading this if it weren´t für Buck Rogers”  ist ein provokanter, nicht ganz richtiger Titel. Natürlich hat Buck Rogers einen gigantischen Einfluss auf das Genre damit auch auf die gegenwärtige Science Fiction, aber der Schwerpunkt dieses Artikels von Mark Cole sind die Comicseiten der Tageszeitungen, in denen eine Reihe von Science Fiction Geschichten beginnend eben mit „Bluck Rogers“ über „Flash Gordon“ bis zu einem latent utopischen Exzess bei „Dick Tracy“ erschienen sind. Minutiös und ein wenig selbstironisch geht der Autor die verschiedenen Reihen durch, bevor er die gegenseitigen Einflüsse der literarischen SF eben mit den Strips der Tageszeitungen in der Zeit vor „STAR Wars“ herausgearbeitet hat. Es sind nicht alle Reihen erwähnt und der Fokus liegt einwandfrei bei den amerikanischen Strips (kein Hinweis auf „Dan Dare“ ), aber alleine als roter Faden durch diese wieder zu entdeckende Welt ist das Essay elementar.. Liu Cixin als frisch gebackener HUGO Gewinner analysiert die politische Situation in China, soweit es opportun ist und stellt einige der wichtigsten auch antiutopischen Arbeiten dagegen. Kurzweilig zu lesen, sehr pointiert eröffnet sich wie in fast allen „Clarkesworld“ Ausgaben das Tor zur asiatischen Science Fiction weiter. Das Interview mit Fran Wilde – nicht selten werden talentierte Kurzgeschichtenautoren nach ihrer ersten Romanveröffentlichung vorgestellt – gibt nicht nur einen Einblick in ihre Arbeitsweise, sondern einen Überblick über ihr Leben. Diese Vermischung von Fiction und Realität liest sich in erster Linie bei den Autoren gut, die nicht nur aus ihrem Leben etwas zu erzählen haben, sondern sich nicht unbewusst als Elfenbeinturmautoren sehen.

 In den beiden Nachdrucken geht es erstaunlicherweise melancholisch unterlegt und doch so unterschiedlich um das Ende eines Lebens bzw. einer Ära. Herausragend ist Tim Sullivans traurige, nachdenklich stimmende Novelle „Way down East“. Die Regierung heuert zwei Hummerfischer an, an Bord ihres Schiffes den einzigen auf der Erde lebenden Außerirdischen auf Hummerfang mitzunehmen. Die Regierung weiß nicht, woher er gekommen ist und was seine Mission ist. Die beiden skeptischen Fischer und die Beamten kommen sich auf dieser Fahrt aufs Meer heraus näher, während Tim Sullivan in dem traurig stimmenden Ende gegen alle Klischees agiert und keine „Cocoon“ Weisheiten präsentiert, sondern den Leser hinsichtlich der Vergänglichkeit allen Seins nachdenklich stimmen lässt. Diese Begegnung hinterlässt nicht nur in den beiden Fischern Eindruck und zwingt sie, ihr bisheriges ein wenig starrköpfiges Leben zu überdecken, sie wird auch manchen Leser beeinflussen, auf andere Menschen wieder zuzugehen und das Leben jede Minute als Geschenk und weniger als Bürde zu sehen. „One Last, Great Adventure“ aus der Feder Ellen Kushner und Ysabeau S. Wilce ist dagegen ein deutlich schwierigerer Text. Distanziert geschrieben und eher phlegmatisch aufgebaut beschreibt es die letzte Mission des namenlosen Helden, der eher den Klischees folgend und doch durch den distanzierten Aufbau dem Märchencharakter widersprechend eine Prinzessin retten und ein Ungeheuer bekämpfen muss. Diese die stilistische Überbetonung, den schwerfälligen Stil ist es vor allem in der Kombination mit Sullivans Novelle sehr schwer, sich dem Text wirklich nachhaltig zu nähern, so dass am Ende der Einblick in die Gedankenwelt des Helden verwehrt wird und die Energie dieser Geschichte im Grund verpufft.   

 Namoi Kritzers „So much Cooking“ ist eine eindrucksvolle Post Doomsday Geschichte, wobei das offene Ende den bevorstehenden Untergang eher impliziert. In Form eines Blogs beschreibt die Protagonisten Natalie geboren aus der Idee, exotische Gerichte zu entwickeln, die Isolation der Menschen nach einem anscheinend globalen Ausbruch einer besonders aggressiven Form der Vogelgrippe. Der einzige echte Schutz scheint der Aufenthalt in den eigenen vier Wänden zu sein. Was anfänglich noch als eine Art „Spiel“ angenommen worden ist, wird mehr und mehr zu einer Katastrophe, da die Nahrungsmittel langsam, aber nicht aufhaltbar zur Neige gehen – es gibt ab und zu Lieferungen nicht nur von Nahrungsmitteln, sondern auch einen Monat alten Zeitschriften -   und niemand weiß, wie lange diese Lage noch anhalten wird. Das offene Ende nimmt der eindringlichen Geschichte mit ihren nicht immer subtilen, aber effektiven Zwischentöne vielleicht die zynische Würze, aber Naomi Kritzer zeigt überdeutlich auf, wie brüchig insbesondere die so genannte Erste Welt geworden ist.

„Clarkesworld“ hat sich in den letzten Jahren als eine Art Plattform internationaler Science Fiction mit einem Schwerpunkt aus dem asiatischen Raum etabliert. „Your right Arm“ des malayischen Autoren Nin Harris ist ein komprimierter Abgesang an die Menschen. Durch Sonneneruptionen ist die Erde unbewohnbar geworden und anscheinend haben Fremde viele der Menschen abtransportiert, wobei diese nach und nach gestorben sind. Alleine den letzten Menschen haben sie systematisch auseinandergebaut und nur seinen rechten Arm erhalten, weil dieser ausgerechnet die Erzählerin der Geschichte gehalten hat. Es ist ein sehr komprimierter Text, der viele Ideen anreißt und nicht unbedingt einen zufrieden stellenden Hintergrund entwickelt. Aber vor allem ist es eine Liebesgeschichte aus der fernen Zukunft, die ein wenig wie eine Mischung aus den besten Kurzgeschichten Jack Vance vermischt mit dem Cyberpunk erscheint und durch den getragenen, futuristisch märchenhaften Stil überzeugen kann. In dieser Hinsicht wirkt sie wie ein Gegenentwurf zu „One Last, Great Adventure“ und es ist interessant, diese beiden von unterschiedlichen Helden und irgendwie auch Prinzessinnen handelnden Texte gegenüberzustellen.  

     Sara Saab ist im Libannon geboren und in Nord London aufgewachsen. Ihre Geschichte "In the Queue for the Worldship Munawwer" sprüht förmlich vor arabischer Melancholie. Die Erde ist Am Ende, die Menschen werden durch gigantische Weltschiffe evakuiiert, die teilweise nach einem festen Quotenschlüssel bis zu 900.000 Passagiere fassen. Wer zurück bleibt, hat wenig Überlebenschancen. Aus der subjektiven Perspektive eines der Offiziere an Bord des Schiffes, das vor der Küste des Libannons Passagiere aufnehmen soll, muss sie schwere Entscheidungen treffen. Mit Suraya hat die Autorin einen erstaunlich komplexen Charakter erschaffen, die an ihrer Aufgabe der Selektion - wobei die meisten Menschen in langen Schlangen stehen und stoisch auf die Rettung hoffen - scheitern könnte. Es wird impliziert, dass sie neben dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Familie möglicherweise krank ist. Die Idee, ihren Posten aufzugeben, um einen anderen Menschen zu retten, kommt ihr nicht. Ganz bewusst auch in Form von Berichten und damit einer Distanz gegenüber dem Leser wie in "So much Cooking" aufgebaut, zeichnet die Autorin ein durchaus ambivalentes Bild ihrer Mitmenschen und versucht die allgegenwärtige Tendenz der Selbstvernichtung an drastischen Bildern simplifiziert, aber effektiv darzustellen. In einfachen Worten beschreibt sie die Bürde der Verantwortung, das Ertragen von Leid auf beiden seiten und der Versuch, angesichts der Katastrophe menschlich und doch logisch zu handeln. Es ist eine unglaublich ergreifende Geschichte, die aus einer simplen Idee ein humanistisches Drama macht, das ein Spiegelbild der gegenwärtigen politischen Fehlentwicklungen vor allem in der Flüchtlingspolitik vor Ort ist. Die dritte Geschichte eines Nichtamerikaners stammt von Xia Jia, der auch das Essay über die politischen Wandlungen innerhalb seiner Heimat aus dem Blickwinkel der Science Fiction geschrieben hat. 

"If on a Winter's Night a Traveler" ist eine wunderschöne Allegorie über einen in der Isolation lebenden KÜnstler, den Kampf gegen das Vergessen und schließlich selbst in modernen Zeiten die Möglichkeit, diese Menschen zumindest intellektuell am Leben zu erhalten. Ohne konkret zu werden beschreibt der Autor den Fund eines kleinen Büchleins mit Gedichten einer unbekannten Künstlerin durch einen Büchereiangestellten, der sich in diese Verse verliebt. Sie findet einen Zettel in dem Buch. Eine Leihkarte. Voller Sehnsucht wartet sie auf den Menschen, zu dem die Büchereinummer paßt. Die phantastischen Elemente sind rar. Es geht eher um die Interaktion zwischen Leser und ihm unbekannten Künstler. Die Entwicklung einer Obsession und schließlich den Augenblick der Befreiung. Es ist eine interessante warmherzige Geschichte, wobei es sinnvoll wäre, diese Geschichte nicht im Internet zu lesen, sondern gedruckt am Besten in einer Zeitung oder vielleicht einem kleinen unscheinbaren Buch irgendwo in einem Regal in einer alten, vielleicht auch ein wenig muffig riechenden Bibliothek oder einem Antiquariat in einer Seitengasse, möglichst weit weg vom Internet. 

 "The Hexagonal Bolero of Honeybees" von Krista Hoeppner Leahy  ist wahrscheinlich die am ehesten surrealistische Geschichte. Das Thema Apokalypse durchzieht die ganze Ausgabe in verschiedenen Variationen, aber in Leahys Geschichte ist die Erde im Grunde nicht mehr zu erkennen. Alleine in Gewächshäusern kann die Natur sich noch entwickeln. Frauen sind zu Bienen "weiter gezüchtet" worden, welche die Pflanzen bestäuben. Oder die Pflanzen werden per Hand bestäubt. Die Geschichte setzt sich mit zwei Menschen auseinander, welche natürlich die beiden Methoden nutzen. Um sie herum zerfällt nicht nur die äußere Welt, sondern auch im Gewächshaus macht sich die Fäulnis breit.  Ihre Protagonisten wirken allerdings teilweise wie Chiffren, die auf Sekundärdialoge in Form von Zitaten zurück greifen. Auf der anderen Seite verzichtet Leahy auf klassische romantische Elemente und versucht aufzuzeigen, dass der Mensch sicherlich der größte Feind des Menschen ist, aber auch über den am stärksten entwickelten Überlebenswillen in dieser bizarren, aber intelligent extrapolierten Zukunft verfügt.

 Zusammengefasst nicht zuletzt dank der thematischen Konzentration auf verschiedene Post Doomsday Szenarien zeigt Clarkesworld 110 auf, dass in vielen angeblich nicht mehr aktuellen Themen wie First Contact oder der Apokalypse noch sehr viel Potential steckt. Der Leser mag kaum glauben, dass hinter dem eher an eine Fantasy Geschichte erinnernden Titelbild einer der besten Ausgaben dieses Magazines im Jahre 2015 mit nachdenklich stimmenden Kurzgeschichten und Novellen steckt.     

 

 

 

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