Genom

Alan Dean Foster

Mit “Genom” legt Alan Dean Foster den ersten Band einer neuen Trilogie vor, die im Gegensatz zu seinen sonstigen Arbeiten nicht in den Tiefen des Alls auf exotischen und von Foster faszinierend extrapolierten Planeten spielt, sondern auf der Erde in der nahen Zukunft. Die Warnungen vor einer kontinuierlichen globalen Erwärmung haben sich inzwischen bewahrheitet. Die Südstaaten, in denen die Geschichte mit einem Schwerpunkt in Savannah, Georgia spielt sind zu subtropischen Alpträumen geworden. Florida ist überflutet, die Everglades zu einer Uferlandschaft geworden. Die vielen unterhalb des Meeresspiels liegenden Städte gibt es in einer dem Leser vertrauten Form nicht mehr. Viele Menschen sind weg gezogen, der Rest besteht aus auf Stelzen erhöhten Häusern. Foster beherrscht immer noch die Kunst, das Vertraute mit dem Fremdartigen zu mischen. Auch wenn die Folgen dieser globalen Veränderung, einige sprechen von einer Katastrophe auf die Wirtschaft des industriellen Nationen größere Auswirkungen haben müsste, werden diese Hintergrundinformationen rein opportunistisch eingesetzt und runden das futuristische Bild dieser Trilogie ebenso wenig zufrieden stellend ab wie der Versuch, die politische Situation differenzierter darzustellen. Die USA sind Teil eines anscheinend nordamerikanischen Blocks, wobei nicht klar ist, welche Rolle die Nordamerikaner in dieser politischen Union spielen. Den asiatischen Gegenentwurf gibt es ebenfalls. Foster gilt generell als unpolitischer Autor, der jegliche Form von Kritik meidet und eher im Kleinen argumentiert. Diese Schwäche zeigt sich auch in den vorliegenden Romanen, denn im Gegensatz zu den ökologischen Veränderungen auf der Erde haben die Menschen die äußeren Planeten und Monde kolonisiert, ohne das es Wechselwirkungen bzgl. der irdischen Entwicklung gibt.

Wie eine Reihe anderer Autoren - siehe David Brin sowohl in “Kil´n People” als auch “Existenz” sowie mit Einschränkungen Ian McDonald in seiner Bric Staaten Trilogie versucht Alan Dean Foster das Bild einer anderen Menschen zu zeichnen, die entgegen ihres Strebens nach außen sich in ihrem Innersten im Grunde unumkehrbar verändert hat. Die zu akzeptierende Grundidee ist eine Gesellschaft, in der Plastikchirurgie nicht nur unendlich billig geworden ist, sondern die absichtlich Veränderung des Äußeren zu einem sozial politischen Maßstab geworden ist. In der Originalausgabe spricht Foster von einem “Melding” Prozess, der es den Menschen ermöglicht, den eigenen genetischen Code zu verändern und dadurch auf den ersten Blick grotesk erscheinende Geschöpfe zu erschaffen. Foster extrapoliert sehr geschickt und überzeugend die gegenwärtigen Körperkulte auf die nächste “natürliche” Ebene. Dabei reicht das Spektrum von den Hinzufügung tierischer Gene - Flügelmenschen, Amphibienwesen - mit einer idealisierten Anpassung an die veränderten Lebensumstände auf Fosters Erde über das Kopieren berühmter “Gesichter”, wobei dieser Aspekt in einer sich wandelnden Gesellschaft rückblickend fast antiquiert und wie ein Kompromiss der gegenwärtigen Lesergeneration gegenüber erscheint, bis klassischen Cyborgideen oder weiteren Gliedmaßen. So faszinierend wie erschreckend die Ideen sind, die Foster präsentiert, er kann sie als Autor nicht wirklich überzeugend umsetzen. Im Vergleich zu seinen insbesondere stilistisch wie erzähltechnisch deutlich stärkeren Kollegen bleibt Foster “Welt” über den bizarren Hintergrund hinaus zu bieder und zu bodenständig griffig.

Mit Whispr führt Foster einen kleinen Westentaschenganoven ein, der sich einen extra dünneren Körper hat gestalten lassen. Gemeinsam mit seinem Verbündeten Jiminy verfügen sie über ein Gerät, dass die Peacemaker genannten Ordnungskräfte abhält, die in einer solchen Gesellschaft fast automatisch anfallenden Toten zu bergen. Whispr und Jiminy wollen die Toten als genetische Pools nutzen und deren Überreste verkaufen. Als sie eine gefundene Hand verkaufen wollen, entdecken sie ein bislang unbekanntes Material, das anscheinend wichtige Informationen enthält. Kaum konnten sie es abrufen, suchen verschiedene Ordnungskräfte und Auftragsmörder nach ihnen. Trotz einer Reihe von interessanten Actionszenen fällt Foster leider von einem Klischee ins nächste. Viele der Szenen ziehen sich viel zu lang hin und im letzten Drittel des Buches mit der Vorbereitung auf einem Abstecher nach Afrika traut sich der Autor nicht mehr, weitere wichtige Informationen zu präsentieren. Positiv wie negativ leidet der Roman unter den Gesetzen eines ersten Teiles. Das liegt zum einen in der Grundstruktur des Buches. Foster nimmt sich positiv nicht die Zeit, seine Welt in allen Ausführlichkeiten zu erläutern. Auf Augenhöhe mit Whispr wird der Leser mit dieser exotischen Zukunft konfrontiert. Während Whispr als wenig erfolgreicher Gauner auf der untersten sozialen Stufe steht, darf der Leser dank der wechselnden Perspektiven verschiedene Blicke hinter die Kulissen riskieren. Im englischen Original hat der linguistisch talentierte Foster verschiedene Sprachen miteinander gemischt, um diese multikulturelle Gesellschaft noch mehr zu betonen.

Foster ist aber auch ein erfahrener wie auch stellenweise sehr typischer Autor. Neben den meistens überzeugenden exotischen Hintergründen braucht der Autor Identifikationsfiguren für den Leser und sich selbst. In diesem Punkt überzeugt “Genom” am wenigsten. Whispr ist ein opportunistischer Schurke, der mehrmals aktiv Menschen umbringt, um an ihre Körperteile zu kommen. Ihm fehlt eine gute Seite, die den Leser ansprechen könnte. Anscheinend hat sich Whispr für diesen “Beruf” selbst entschieden. Es gibt keine Hinweise auf Schicksalsschläge, welche das rücksichtsloser Vorgehen Whisprs und seiner Komplizen erklären könnte. Auch eine derartig negative Figur könnte funktionieren, wenn der Autor sie deutlich vielschichtiger und nuancierter beschreiben würde als es bei Whispr und seinen Genossen der Fall ist. Zu eindimensional, zu klischeehaft und selten wirklich überzeugend beschrieben basieren sie ihre Reaktionen in erster Linie auf wenig entwickelten Instinkten. Sich alleine auf die Informationen auf dem Datenträger zu verlassen, um Spannung zu zeugen, funktioniert bei einer solide geschriebenen Kurzgeschichte, aber niemals bei einem ganzen Roman. Spät, für diese Geschichte sogar zu spät, führt Foster eine hübsche Ärztin ein, die sich auf eine ganz spezielle Art der genetischen Medizin spezialisiert hat. Vielleicht wird sie im Mittelteil der Trilogie das notwendige Gegengewicht zu dem eindimensionalen und unsympathischen Whispr bilden. Mit Afrika reisen sie zu einem noch exotischeren Kontinent, wobei die Grundidee einer genetischen Chamäleongesellschaft auch schon zufrieden stellend in den immer noch gut wieder zu erkennenden USA umgesetzt worden ist. Es wäre schön, wenn Foster im Mittelteil seiner Trilogie die Handlung etwas variantereicher und vor allem im Detail origineller entwickeln würde.

“Genom” leidet wie schon angesprochen unter Fosters Hang zu einer belehrenden Geschwätzigkeit, die angesichts des interessanten Hintergrunds seiner Geschichte anfänglich noch zu ertragen ist. Aber der Mitte des Romans hat sich der Leser an die weniger skurrilen, als unsympathischen Figuren gewöhnt und erwartet eine dynamische Handlung, die im Foster konsequent verwehrt. Zusammengefasst ein weitere Beweis dafür, dass Alan Dean Foster seinen Zenit überschritten und im Grunde für seine immer noch guten Ideen einen jungen Co- Autoren benötigt, welcher aus diesen Geistesblitzen gut zu lesende Romane macht.              

Alan Dean Foster: "Genom"
Roman, Softcover, 352 Seiten
Bastei 2012

ISBN 9-7834-0420-7060