Joyland

Cover Joyland von Stephen King
Stephen King

Stephen King zweiter in den USA bei "Hard Case Crime" - der erste war "Colorado Kid", die bislang am erfolgreichste Veröffentlichung des spezialisierten Verlages - veröffentlichter Roman "Joyland" ist vieles, aber eines auf keinen Fall: ein klassischer Hardboiled Krimi. Mit viel manchmal ein wenig melancholischer Altersweisheit ist es die Geschichte eines inzwischen ergrauten Schriftstellers, der weniger Erfolg als Stephen King gehabt hat. Gemeinsam blicken Protagonist Devin Jones und Stephen King auf den Sommer 1973 und den Herbst 1974 im traurigen Epilog zurück. "Joyland" ist aber mehr als die Rekapitulation eines zufriedenstellenden Lebens. Natürlich ist "Joyland" ein Krimi- es spricht für Kings Routine als Schriftsteller, dass die Massenmorde an jungen Mädchen im Grunde für den Plot nur aus Erwartungsgründen eine Rolle spielt. "Joyland" hätte auch ohne die Amateurmittlungen von David Jones und seinen Freunden funktioniert. Aber "Joyland" ist noch mehr. Nach Ende des Sommers, wenn sich Devin Jones entschließt, mit einer Handvoll Kollegen im Vergnügungspark am Meer zu überwintern, die Fahrgeschäfte zu warten und die Schäden zu reparieren, kommt ein Gefühl auf, eine moderne Variation von "Shining" zu lesen. Stephen King kopiert sich aber nicht selbst. Er übernimmt Elemente, die im mehrfach verfilmten Buch funktioniert haben, zerlegt sie und baut sie ein wenig zu funktionell wieder zusammen. "Joyland" enthält Elemente einer Geistergeschichte, die vor einem realistischen Hintergrund auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Damit rückt die Mischung aus Realismus und Mystik den Plot nahe an „Die grüne Meile“ heran. Im Vergleich zu anderen Stephen King Werken werden diese wahrscheinlich beabsichtigten Anlehnungen nur den eingeweihten King auffallen. Sie dienen an keiner Stelle dem Selbstzweck.

 Devin Jones neuer Kollege sieht das letzte in der Geisterbahn des "Joylandes" ermordete Mädchen. Ein behinderter Junge erhält in der Nacht, in welcher sich verschiedene Schicksale erfüllen, anscheinend einen Hinweis von einem gerade Hunderte von Meilen entfernt verstorbenen Mannes. Rationale Erklärungen bietet der Autor seinen Lesern nicht an. Er will es nicht. Genauso gut hätte es ein Bauchgefühl sein können, dass Jones aus seiner schwierigen Situation rettet. Und das er gerettet wird, macht Stephen King mit seinen geschickt gewählten Sprüngen innerhalb der Erzählzeit überdeutlich. Immer wieder bricht Jones aus den siebziger Jahren aus und zeigt erschütternd realistisch, das das Leben ein Geschenk ist, dass man für eine unbestimmte Zeit geliehen bekommen hat. Der einundzwanzig Jahre alte Jones des Jahres 1973, schwer an Liebeskummer der ersten gescheiterten Beziehung leidend, kann das weder erkennen, verstehen oder verarbeiten. Der inzwischen ergraute eigentliche Erzähler Jones versucht die damals beinahe den Lebensmut nehmende Liebesgeschichte zu relativieren, in dem er die Ereignisse fast sachlich distanziert gegenüber stellt. Liebe ist Leid und doch erfüllend zugleich. Innerhalb eines Jahres wird Jones erwachsen werden. Er ahnt es an dem ersten Tag, an dem er das "Joyland" besucht und als Angestellter einen freien Zugangspaß erhält, noch nicht. Am Ende dieses einen Jahres wird er zum Mann geworden sein. Eine deutlich ältere Frau wird ihn entjungfern. Ohne Kitsch oder Pathos beschreibt King diese Liebesgeschichte, die keine Vergangenheit kennt und keine Zukunft hat. Nur der Moment zählt. Er wird einem schwerstkranken Jungen den schönsten Tag seines sehr kurzen Lebens beschert haben. Es ist unglaublich intensiv und emotional, wie das "Joyland" für den kranken Jungen zum Leben erwacht. Dabei umschifft King jeglichen Kitsch. Der Junge ist nicht nur dankbar, er wird aus seiner körperlichen Lethargie für einen Moment aufgeweckt. Dabei handelt es sich - tragisch - um einen Jungen, der sich intensiver mit seinem Schicksal auseinandergesetzt hat als es seine Mutter wahr haben möchte. Mit der Abschlussszene rührt King ohne Frage auch seine gestandenen Leser zu Tränen. Nicht nur für Jones ist es ein Abschied vom Vergnügungspark am Meer. Im Grunde schließt Stephen King das Kapitel in seinem umfangreichen Werk. Keine Clowns wie in "Es" werden den Leser mehr schockieren können. 

Zwischen dem Jungen und dem Erzähler steht mit dessen Mutter eine interessante, erstaunlich dreidimensional gezeichnete Frau, die als Tochter eines der bekanntesten Laienprediger der USA - Religion ist und bleibt für King Kommerz - ihre wilde Zeit hinter sich gelassen hat. Auch wenn die Pflege ihres Sohnes ihr den Bewegungsraum genommen hat. Auch wenn sie sich mit ihm in dem großen Haus in der Nähe des Vergnügungsparks eingeschlossen und zeitweise mit ihrem Vater gebrochen hat, ist sie unglaublich gereift und empfindet die zu kurze Zeit mit ihrem Sohn als Erfüllung und nicht Last. An ihr reift auch der Erzähler. 

Hinsichtlich der Figurenkonstellation ist der Killer der am schwächsten, am klischeehaftesten gezeichnete Charakter. Stephen King scheint hier die Lust verloren zu haben. Der Mord am Mädchen in der Geisterbahn ist der rote Faden, der die Handlung zusammenhalten sollte. Die Recherchen von Jones Freundin zeigen auf, dass es sich um keine Einzeltat handelt, sondern dass der Mörder öfter zugeschlagen hat. Die Kette bricht aber mit dem Mord im "Joyland" ab. Die nachgeschobene Erklärung des Täters ist wenig überzeugend. Auch die Wandlung dieser Figur - er muss, um Spannung zu erzeugen, ja mit dem "Joyland" zu tun haben und Jones muss ihn zumindest kennen - vom hilfsbereiten Menschen zum Psychopathen, der seine wahre (?) Natur präsentiert, erfolgt so schnell und hektisch, dass der Roman während des Showdowns deutlich an Faszination verliert. Erst mit dem Epilog kann Stephen King seine Leser einfangen. Wie schon angesprochen ist das Krimielement das schwächste Glied des Romans.

Eher pragmatisch werden übernatürliche "Möglichkeiten" durchgespielt. Dabei reicht das Spektrum von pointierten Hinweisen der "Joyland" Wahrsagerin, die in neunzig Prozent der Fälle falsch liegt, aber Davis sein Schicksal und seine Herausforderungen korrekt vorhersagt, über die erste Geistererscheinung, die nur Jones Freund anscheinend gesehen hat, bis zur finalen Rettung durch einen Frischverstorbenen.  King konkretisiert die übernatürlichen Phänomene nicht sonderlich, streut aber fast sadistisch ausreichend Hinweise aus, so dass Leser und Erzähler sie nicht ignorieren können. Sie unterstreichen die melancholische Stimmung des ganzen Romans.

Ein wichtiger Aspekt ist aber das "Joyland" selbst. Diese einzigartige Mischung aus Vergnügungspark mit einem großen "Spaß" Faktor, Kommerz, Familienunterhaltung und Überbleibsel einer Vorinternetära wird von King mit einer Mischung aus kindlicher Freude und Angst einflössenden "Wesen" mit zahlreichen Armen( Angestellten) beschrieben. Der Autor schaut nicht tief hinter die Kulissen, zeichnet aber ein dreidimensionales Bild des Lebens der Angestellten, die in ihren Kostümen und Verkleidungen selbst mit schlechter Laune ein Lachen auf die Gesichter ihrer Kunden zaubern müssen. In seinem Nachwort zeigt King auf, dass er teilweise den Jargon der Jahrmarktangestellten nur in soweit veränderte wie es für den Plot notwendig gewesen ist. Ansonsten hat er den Slang dieser im Grunde in der Isolation ihrer Parks lebenden "Familie" beibehalten.  

 

Was „Joyland“ aber zu einem der besten Stephen King Romane insbesondere im Vergleich zu „Under the Dome“ macht, ist die souveräne, sehr ansprechende, unglaublich persönliche Erzählposition des Autoren. „Joyland“ wirkt teilweise autobiographisch, als wenn King einem jüngeren Ich aus einer Parallelwelt wohlwollend über die Schulter geschaut hat. Es ist eine überzeugende „Coming of Age“ Geschichte mit dreidimensionalen, sehr menschlichen Protagonisten, denen mancher Leser in Wirklichkeit gerne begegnet wäre. Sie spielt vor einem dreidimensional, aber trotzdem sehr viel Phantasie ermöglichenden Hintergrund. Sie überzeugt weniger hinsichtlich der Spannungskurve als in Bezug auf die Atmosphäre und die Interaktion sehr viel klar von einander unterscheidbarer Figuren.  

  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (17. Juni 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453268725
  • ISBN-13: 978-3453268722
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